Temuchin schien mit dieser Erklärung zufrieden zu sein, denn er wandte sich wortlos ab.
Die Nomaden plünderten inzwischen die Farm. Das Vieh hatte seinen Stall unter dem gleichen Dach, und alle Tiere waren umgebracht worden, als die Soldaten ins Haus eindrangen. Wenn Temuchin den Befehl gab, alle zu töten, wurde dieser Befehl genauestens befolgt.
„Fesselt den Gefangenen und bringt ihn her“, sagte Temuchin dann.
Die Soldaten schütteten dem Farmer mehrere Eimer Wasser ins Gesicht, bis er wieder zu Bewußtsein kam. Dann fesselten sie ihm die Hände auf den Rücken und schleppten ihn vor Temuchin.
„Sprichst du die Zwischensprache?“ wollte Temuchin von ihm wissen. Als der Farmer etwas Unverständliches antwortete, schlug der Nomadenführer ihn ins Gesicht; der Mann fuhr zusammen, sprach aber im gleichen Dialekt weiter.
„Der Narr kann nicht sprechen“, stellte Temuchin fest.
„Vielleicht verstehe ich ihn“, meinte einer der Offiziere.
„Seine Sprache erinnert an die des Schlangenclans im Osten.“
Tatsächlich war eine Verständigung möglich. Der Farmer begriff, daß er ein toter Mann war, falls er sich weigerte, den Fremden zu helfen. Temuchin versprach ihm nichts für seine Hilfe, aber der Tiefländer befand sich in schlechter Verhandlungsposition und stimmte rasch zu.
„Sag ihm, daß wir zu den Soldaten wollen“, befahl Temuchin, und der Gefangene nickte eifrig. Als Farmer betrachtete er Soldaten, die nur kamen, um Steuern einzutreiben, als natürliche Feinde.
„Dort soll es viele Soldaten geben — zwei Hände, vielleicht sogar fünf. Sie sind bewaffnet und leben in einem befestigten Lager. Sie haben irgendwelche Waffen, aber ich werde aus der Beschreibung, die dieser Kerl davon gibt, nicht recht schlau.“
„Fünf Hände Männer“, wiederholte Temuchin langsam. Er lächelte. „Ich habe Angst.“
Die Nomaden brüllten vor Lachen, und Jason sah sich verständnislos um. Das Lachen verstummte sofort, als zwei Soldaten herankamen, die ihre Kameraden stützten. Einer von ihnen hüpfte auf einem Bein heran, um nicht mit dem anderen auftreten zu müssen. Als er vor Temuchin stand, erkannte Jason den Mann, der im Kampf mit dem Farmer am linken Bein verwundet worden war.
„Was hast du?“ fragte Temuchin ernst.
„Mein Bein.. .“, antwortete der Mann keuchend.
„Zeig es mir“, befahl der Kriegsherr, und das Bein wurde rasch freigelegt.
Die Kniescheibe war zersplittert und hatte an einigen Stellen die Haut durchbrochen. Der Krieger mußte unglaubliche Schmerzen haben, aber er wimmerte nicht einmal. Jason erkannte, daß mehrere komplizierte Operationen nötig gewesen wären, um das Bein wieder beweglich zu machen. Er fragte sich, welches Los dem Verwundeten in dieser barbarischen Umgebung bevorstand.
„Du kannst nicht gehen, du kannst nicht reiten, du kannst nicht kämpfen“, stellte Temuchin fest.
„Das weiß ich“, antwortete der Mann und richtete sich auf.
„Aber wenn ich sterben muß, will ich im Kampf sterben und mit meinen Daumen begraben werden. Wenn ich keine Daumen habe, kann ich kein Schwert halten, um in der Unterwelt mit den Dämonen zu kämpfen.“
„So soll es geschehen“, erwiderte Temuchin und zog sein Schwert. „Du warst ein guter Soldat, und ich wünsche dir für kommende Schlachten alles Gute. Ich kämpfe selbst mit dir, denn es ist eine Ehre, von einem Kriegsherrn besiegt zu werden.“
Der Zweikampf war blutiger Ernst, und der Verwundete kämpfte gut. Aber er war zu unbeweglich, so daß Temuchin ihm nach kurzer Zeit sein Schwert ins Herz stoßen konnte.
„Ich habe einen zweiten Verwundeten gesehen“, stellte Temuchin fest. Er hielt noch immer das blutige Schwert in der Hand. Der Mann mit dem gebrochenen Arm trat vor.
„Der Arm heilt von selbst“, behauptete er und wies auf seine Schlinge. „Die Haut ist nicht verletzt. Ich kann reiten und kämpfen, aber keinen Bogen halten.“
„Wir brauchen jeden Mann“, entschied Temuchin. „Du reitest mit uns weiter. Wir brechen auf, sobald dieser Mann begraben ist.“ Er wandte sich an Jason.
„Du bleibst jetzt in meiner Nähe“, befahl er ihm. „Wir suchen nach diesem festen Platz, wo es Soldaten gibt. Die Wiesel haben bisher nur einsam gelegene Häuser überfallen, weil sie nicht den Mut hatten, mehr als zwei oder drei Moropen nach unten zu schicken.. Aber sie haben auch mit Soldaten gekämpft und dabei Schießpulver erbeutet. Als ich dieses Pulver angezündet habe, ist es nur verbrannt, anstatt zu knallen.
Trotzdem schwören die Wiesel, es sei explodiert, und ich glaube ihnen. Sobald wir Schießpulver erbeutet haben, mußt du es zur Explosion bringen.“
„Wird gemacht“, versprach Jason ihm.
Sie ritten bis nach Mitternacht durch den Wald, bevor ihr Gefangener unter Tränen zugab, daß er sich in der Dunkelheit verirrt hatte. Temuchin schlug ihn nieder und befahl seinen Männern widerwillig eine Rast bis zum frühen Morgen. Der Regen hatte wieder begonnen, und Jason verbrachte einige ungemütliche Stunden unter tropfenden Zweigen.
Im Morgengrauen ging der Ritt weiter durch den Nebel. Der Gefangene klapperte vor Angst und Kälte, bis sie endlich auf einen Fußpfad stießen, der ihm bekannt vorkam. Dann strahlte er wieder und deutete eifrig nach vorn.
Plötzlich waren dort Stimmen zu hören. Zweige knackten laut.
Temuchins Krieger erstarrten augenblicklich, und er hielt dem Gefangenen sein Messer an die Kehle. Die Stimmen wurden lauter; dann bogen zwei Männer um einen Felsen. Sie gingen einige Schritte weiter, bevor sie merkten, daß sie nicht länger allein waren. Doch dann war es für sie zu spät.
„Was haben sie da in der Hand?“ fragte Temuchin.
Jason glitt aus dem Sattel und ging auf den ersten Toten zu.
Der Mann trug einen Brustharnisch aus Stahl und einen Stahlhelm; seine übrige Bekleidung unterschied sich kaum von der des Farmers. An seinem Gürtel hing ein kurzes Schwert.
Das Ding in seiner Hand war ein primitiver Vorderlader.
„Das ist ein ›Gewehr‹“, erklärte Jason dem Nomadenhäuptling und hob die Waffe auf. „Es wird mit Schießpulver geladen und schleudert ein Stück Metall fort, das tödlich sein kann. Pulver und Ladung werden hier hineingestopft. Zieht man dann diesen Hebel zurück, erzeugt dieser Stein einen Funken, der das Pulver entzündet, so daß die Ladung aus dem Rohr geschleudert wird.“
Als Jason den Kopf hob, stellte er fest, daß Temuchins Krieger ihn mit gezückten Schwertern beobachteten. Er ließ das Gewehr fallen und zog zwei Beutel aus dem Gürtel des Toten. „Das habe ich mir gedacht: einer enthält Kugeln und Stoffetzen, der andere Pulver.“ Er reichte Temuchin den kleinen Beutel.
„Das ist nicht viel Schießpulver“, meinte der Nomadenführer enttäuscht.
„Für diese Gewehre braucht man nicht viel. Aber ich bin davon überzeugt, daß es dort mehr gibt, wo diese Männer hergekommen sind.“
„Das glaube ich auch“, stimmte Temuchin zu und ließ seine Männer weiterreiten, nachdem die beiden Leichen in einem Gebüsch am Weg versteckt worden waren.
Zehn Minuten später erreichten sie den Rand einer großen Lichtung, die an einer Seite von einem Fluß begrenzt wurde.
Am Ufer stand ein massives Steingebäude, aus dessen Mitte ein hoher Turm aufragte. Zwei Gestalten waren auf dem Turm zu sehen.
„Der Gefangene sagt, daß hier Soldaten leben“, übersetzte der Offizier.
„Frag ihn, wie viele Eingänge es gibt“, befahl Temuchin.
„Er weiß es nicht“.
„Töte ihn.“
Ein Schwert zuckte herab, und die Leiche wurde ebenfalls versteckt.
„An dieser Seite ist nur eine kleine Tür und eine Anzahl kleiner Öffnungen zu sehen, durch die hinausgeschossen werden kann“, stellte Temuchin fest. „Das gefällt mir nicht.
Zwei Männer sollen die Rückseite ansehen und mir dann berichten. Was ist das runde Ding auf der Mauer?“