Die Leibwächter ließen ihn durch.
Temuchin nahm eine Meldung von einem erschöpften Reiter entgegen und wandte sich an Jason. „Hol deine Bomben und mach dich bereit“, wies er ihn an.
„Wozu?“ fragte Jason und fuhr rasch fort: „Was soll ich mit ihnen tun? Du brauchst nur zu befehlen, aber ich muß wissen, was ich mit den Bomben tun soll.“
Temuchin nickte langsam. „Der Gegner ist überrascht worden und hat nur die normale Besatzung hier“, erklärte er Jason. „Die unteren Befestigungen sind genommen, und wir kämpfen uns jetzt zu den oberen vor. Diese sind in die Felsen eingelassen und schwer anzugreifen. Die Verteidiger sind dort vor Pfeilen sicher. Unsere Krieger müssen langsam hinter Schilden vorrücken, wenn wir nicht die halbe Armee verlieren wollen. Die oberen Befestigungen lassen sich nicht einfach stürmen.
Bisher sind die Kämpfe immer nach dem gleichen Schema verlaufen. Wir haben eine Befestigung nach der anderen genommen und sind langsam durch die Schlucht vorgedrungen.
Aber bevor wir das andere Ende erreicht hatten, waren Verstärkungen des Gegners eingetroffen. Daraufhin mußten wir den aussichtslosen Kampf abbrechen und uns zurückziehen. Aber diesmal wird es anders.“
„Hmm, das kann ich mir vorstellen“, meinte Jason. „Du glaubst, daß meine Bomben die Verteidiger erschrecken und den Angriff beschleunigen könnten?“
„Richtig.“
„Gut, dann fange ich gleich an. Ich brauche jedoch einige Pyrraner, die mir helfen. Sie können weiter und besser werfen als ich.“
„Ich lasse sie holen“, versprach Temuchin.
Als Jason die ersten Bomben von den Tragtieren geladen hatte, trafen die Pyrraner ein — Kerk und zwei weitere Männer.
„Willst du ein paar Bomben werfen?“ fragte Jason Kerk.
„Natürlich. Du brauchst mir nur den Mechanismus zu erklären.“
„Ich habe das ursprüngliche Modell etwas verbessert, damit die Handgranaten jedesmal detonieren.“ Jason hob eine der primitiven Bomben hoch. „Die Dinger enthalten tatsächlich Pulver, damit sie rauchen und stinken. Die Lunte wird angezündet, dient jedoch nur zur Tarnung; sobald sie qualmt, ziehst du kurz daran. Jede Bombe enthält eine unserer Mikrogranaten, und die Lunte ist mit dem Sicherungsstift verbunden.“
Jason nahm Stahl und Feuerstein aus der Tasche, beugte sich über ein mit Zunder gefülltes Tongefäß und begann eifrig zu schlagen. Als die ersten Funken wieder erloschen, sah er sich vorsichtig um. Keine Nomaden in der Nähe. Er hielt ein Feuerzeug an den Zunder.
„Hier“, sagte er zu Kerk und gab ihm das rauchende Gefäß.
„Ich schlage vor, daß du den Topf trägst und die Granaten wirfst. Du kannst bestimmt weiter als ich werfen.“
„Weiter und zielsicherer.“
„Ganz recht, das hätte ich fast vergessen. Ich und die anderen tragen die Granaten und wehren etwaige Angriffe ab.“
Sie ließen ihre Reittiere zurück und machten sich zu Fuß auf den Weg in die Schlucht. Nach kurzer Zeit sahen sie die ersten Opfer des Kampfes — verwundete Soldaten, die nach rechts und links aus dem Weg der angreifenden Truppe krochen. Wer das nicht schaffte, wurde von den vorrückenden Horden zertrampelt. Kerk, Jason und die anderen mußten auf einen schmalen Bergpfad ausweichen. Die Wände der Schlucht wurden steiler. Dann lag plötzlich die erste Befestigung vor ihnen: ein primitiver Steinwall auf einem schmalen Sims. Die Verteidiger waren tot; ihre Körper waren mit Pfeilen gespickt, die Daumen fehlten.
„Wenn die anderen Befestigungen ähnlich aussehen, ist die Sache einfach“, meinte Jason. „Hier sind nur Felsbrocken übereinander aufgetürmt. Eine Granate müßte ein hübsches Loch in den Wall reißen.“
„Du bist zu optimistisch“, stellte Kerk fest und ging voraus.
„Das hier sind nur Vorposten. Die eigentlichen Befestigungen kommen erst.“
„Ich versuche mir nur einzureden, daß wir diesen Barbarenkrieg lebend überstehen werden“, erklärte Jason.
Der Pfad, dem sie bisher gefolgt waren, führte in die Schlucht hinab, und sie mußten sich durch die Soldaten einen Weg nach vorn bahnen. Die Wände der Schlucht wurden immer steiler, und Jason konnte sich vorstellen, daß die Verteidiger es hier leicht hatten. Ein Pfeil prallte von den Felsen über seinem Kopf ab und fiel vor seine Füße.
„Wir sind an der Front“, stellte Jason fest. „Bleibt hier, bis ich mich umgesehen habe.“ Er kletterte auf den nächsten Felsbrocken, die den Boden der Schlucht füllten, und streckte vorsichtig den Kopf darüber hinaus. In diesem Augenblick wurde sein Helm bereits von einem Pfeil getroffen.
Der Vormarsch war hier zum Stehen gekommen, weil zwei Befestigungen an den Wänden der Schlucht die Angreifer unter Feuer nehmen konnten. Die Verteidiger schössen aus Schießscharten und waren dort fast unverwundbar. Temuchins Krieger erlitten schwere Verluste, weil sie nur von ihren Schildern gedeckt angreifen mußten.
„Die Entfernung beträgt etwa vierzig Meter“, sagte Jason, als er wieder neben Kerk stand. „Kannst du eine dieser Granaten so weit werfen?“
Kerk wog die primitive Bombe prüfend in der Hand.
„Natürlich“, antwortete er, „aber ich muß mir die Sache erst selbst ansehen.“ Er kletterte zu Jasons Beobachtungspunkt hinauf und kam wieder herunter.
„Das Fort ist größer als die anderen“, stellte er fest. „Wir brauchen mindestens zwei Bomben. Während ich die erste werfe, zündest du die Lunte der zweiten an — ohne den Sicherungsstift zu ziehen — und gibst sie mir, sobald die erste in der Luft ist. Klar?“
„Kristallklar.“
Jason legte die Bomben, die er bisher getragen hatte, hinter den Felsen und behielt nur eine in der Hand. Kerk zündete die Lunte an, blies darauf und trat hinter dem Felsen hervor. Jason entzündete rasch die Lunte der nächsten Bombe und hielt sich bereit.
Kerk achtete gar nicht darauf, daß ein Pfeil an ihm vorüberzischte, während ein anderer von seinem Harnisch abprallte. Er machte seelenruhig einen Finger naß und hielt ihn hoch, um die Windrichtung zu prüfen. Jason biß die Zähne zusammen, um den Pyrraner nicht anzubrüllen, er solle endlich werfen.
Weitere Pfeile prallten vom Felsen ab, bevor Kerk endlich den Arm hob. Jason sah, daß er den Sicherungsstift mit einem kurzen Ruck herauszog, bevor er die Handgranate unter Anspannung aller Kräfte warf. Die Bombe stieg hoch in die Luft, beschrieb einen weiten Bogen und fiel genau auf das Fort zu. Jason legte Kerk die nächste in die ausgestreckte Hand, und der Pyrraner warf sie so schnell, daß beide Bomben gleichzeitig in der Luft waren.
Kerk blieb unbeweglich stehen, und Jason folgte seinem Beispiel, obwohl er lieber hinter dem Felsen in Deckung gegangen wäre. Sie beobachteten die beiden schwarzen Punkte, die hinter dem Wall verschwanden.
Dann mußten sie einen Augenblick warten — bis plötzlich die gesamte Befestigung zusammenstürzte und in die Schlucht hinabrollte. Jason sah einige Körper durch die Luft fliegen, bevor er hinter dem Felsen vor Splittern Schutz suchte.
„Ausgezeichnet“, meinte Kerk, der jetzt neben ihm stand.
„Hoffentlich sind alle so leicht.“
Aber das war natürlich nicht der Fall. Die Verteidiger hatten bereits erkannt, daß ein Mann, der irgend etwas warf, für die Katastrophe verantwortlich war. Als Kerk wieder ins Freie trat, wurde er von einem Pfeilhagel empfangen.
„Hmmm, das muß überlegt werden“, meinte Kerk und löschte automatisch die brennende Lunte.
„Hast du Angst? Warum hörst du jetzt auf?“ erkundigts sich eine wütende Stimme hinter ihm. Temuchin war mit seiner Leibwache an die Front gekommen.
„Vorsicht gewinnt Schlachten, Angst verliert sie. Ich werde diese Schlacht für dich gewinnen“, antwortete Kerk eisig.