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Er brauchte lange, bis er begriff, was sich ereignet hatte.

Dann schleppte er sich an das dunkle, steinige Ufer und blieb dort zur Hälfte im Wasser liegen wie ein gestrandeter Wal. Er hatte nicht die Kraft, sich weiter zu bewegen, aber als die Kälte ihm noch stärker zusetzte, wurde ihm klar, daß er sich entweder bewegen oder hier sterben mußte. Aber wo war hier?

Jason zog sich langsam aus dem Wasser, schaltete seine Taschenlampe ein und beleuchtete seine Umgebung. Er sah Wasser und an drei Seiten nur Felsen. Kein Schnee?

Allmählich wurde ihm klar, was das bedeutete.

„Eine Höhle.“

Nachträglich wurde ihm alles klar. Das Höllentor war ein enges Tal, das im Laufe der Jahrtausende von einem Flüßchen in den Fels gegraben worden war. Das Wasser floß unterirdisch ab — und Jason war mitgerissen worden. Er war also noch nicht verloren, denn er brauchte nur diesem Wasserlauf zu folgen, um wieder ans Tageslicht zu kommen. Dann fiel ihm ein, daß der Fluß irgendwo in tieferen Felsschichten versickern könnte, aber er weigerte sich, diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Jason raffte sich auf, folgte dem Strom flußabwärts und sah plötzlich Fußabdrücke, die aus dem Wasser kamen und in die gleiche Richtung liefen.

War also noch jemand hier? Die Spuren waren deutlich zu erkennen und offenbar erst vor kurzem entstanden. Vielleicht gab es einen Zugang zu diesen Höhlen, der allgemein bekannt war. Jason brauchte nur den Spuren zu folgen. Und solange er sich bewegte, würde er trotz seiner durchnäßten Kleidung nicht erfrieren. Die Luft hier unten war kühl, aber längst nicht so kalt wie draußen im Freien.

Als die Spuren das sandige Ufer verließen, wurden sie undeutlicher und waren bald nicht mehr zu erkennen. Jason fluchte leise vor sich hin, während er nacheinander die einzelnen Gänge absuchte, die von hier aus in verschiedenen Richtungen abzweigten. Die meisten führten nur ans Wasser zurück, andere endeten im Fels, aber Jason fand immer einen, der nicht als Sackgasse aufhörte, sondern die Verbindung zu weiteren Höhlen herstellte.

Als er in einen neuen Gang einbog, fand er den Mann, dem er gefolgt war. Der andere trug Pelze wie Jason und schlief auf dem Boden. Jason näherte sich ihm vorsichtig und sah, daß es ein Schlaf für die Ewigkeit war. Der Mann konnte seit Jahren tot in dieser trockenen, kalten und bakterienarmen Umgebung liegen. Sein Gesicht war eingeschrumpft und vertrocknet; die gelblichen Zähne grinsten Jason entgegen. Neben den Fingern der ausgestreckten Hand lag ein Messer, das nur mit einer hauchdünnen Rostschicht bedeckt war.

Jason tat, was er tun mußte, um zu überleben: Er zog dem Toten den schweren Pelz aus, den dieser über seiner Lederkleidung trug. Dann streifte er seine nassen Kleidungsstücke ab und hüllte sich in den trockenen Pelz.

Er breitete seine Kleidung zum Trocknen aus, suchte sich einen halbwegs bequemen Platz, ließ die Taschenlampe dunkel glühen — und schlief augenblicklich ein.

17

„Wenn alles lange Zeit gleich ist, kann man nicht mehr sagen, wieviel Zeit vergangen ist. Ich frage mich nur, wie lange ich schon hier unten bin.“ Jason schleppte sich einige Schritte weiter. „Ziemlich lange, nehme ich an.“

Vor ihm teilte sich die Höhle in zwei Gänge, und er markierte die Abzweigung in Schulterhöhe, bevor er den rechten Gang wählte. Dieser Tunnel endete an einem Wasserlauf, und Jason trank am Fluß, bevor er sich auf den Rückweg machte. An der Abzweigung brachte er das Zeichen für ›Wasser‹ an und folgte dem zweiten Gang.

„Tausendachthundertdrei… tausendachthundertvier…“ Er zählte jetzt jeden dritten Schritt seines linken Fußes. Die Zahl war bedeutungslos, aber er hatte wenigstens etwas zu sagen, und der Klang seiner eigenen Stimme war ihm lieber als das ewige Schweigen.

Zumindest hatte er seit einiger Zeit keinen Hunger mehr. Die ständigen Magenschmerzen waren anfangs sehr unangenehm gewesen, aber das hatte sich gegeben. Er hatte genug Wasser zu trinken und mußte sich nur seinen Gürtel enger schnallen.

„Ha, ich kenne dich, du böse Abzweigung!“ Jason spuckte in die Richtung der drei Zeichen an der Höhlenwand. Dann kratzte er mit seinem Messer ein viertes darunter. Er würde nicht mehr hierher zurückkommen. Nun wußte er, wohin er sich in dem Labyrinth vor sich zu wenden hatte. Ei hoffte es jedenfalls.

„Zeit für eine Rast?“ fragte er sich. „Zeit für eine Rast“, antwortete er sich. Aber noch nicht gleich. Dieser Tunnel führte schräg nach unten, und Jason roch Wasser. Seine Nase war sehr empfindlich geworden. Am Wasser gab es oft Sand, auf dem man besser als auf Felsen schlief. Jasons abgemagerter Körper brauchte eine weiche Unterlage.

Ausgezeichnet. Hier gab es Sand, einen breiten, sandigen Streifen. Das Wasser bildete fast einen See. Jason streckte sich im Sand aus, schaltete seine Taschenlampe ab und schlief ein.

Zu Anfang hatte er nicht schlafen können, ohne daß die Lampe schwach glühte, aber jetzt machte das keinen Unterschied mehr.

Er schlief wie immer kurz, wachte auf und schlief sofort wieder ein. Aber diesmal stimmte irgend etwas nicht. Er lag mit offenen Augen in der Dunkelheit. Dann drehte er sich um und sah ins Wasser.

Weit entfernt. Tief unten. Ein schwacher, ein sehr schwacher blauer Lichtschimmer.

Jason blieb unbeweglich liegen und dachte lange darüber nach. Er war müde und schwach und hungrig. Wahrscheinlich bildete er sich alles nur ein. Fieberphantasien eines Sterbenden.

Er schloß die Augen und döste, aber als er sie wieder öffnete, war der Lichtschimmer noch immer da. Was konnte das bedeuten?

„Jason, du mußt etwas tun“, murmelte er vor sich hin und schaltete die Taschenlampe ein. Der Lichtschimmer im Wasser verschwand. Jason stellte die Lampe in den Sand und zog sein Messer. Er brachte sich einen Schnitt am Unterarm bei, aus dem dicke Blutstropfen quollen. „Das tut weh!“ sagte er. „Das ist besser!“ Der Schmerz machte ihn wieder hellwach, bewirkte einen Adrenalinstoß und ließ ihn klar denken.

„Wenn es dort unten Licht gibt, muß es einen Weg ins Freie geben. Das ist die einzige Möglichkeit. Ich habe also noch eine letzte Chance, aus dieser Falle zu entkommen. Jetzt. Solange ich einigermaßen bei Kräften bin.“

Jason sprach nicht weiter, sondern holte tief Luft, atmete aus, füllte seine Lungen wieder mit Sauerstoff und wiederholte diesen Vorgang, bis ihm schwindlig wurde. Dann holte er ein letztes Mal Luft, schaltete die Taschenlampe auf volle Lichtstärke um und nahm sie in den Mund. Dann sprang er ins Wasser.

Der eisige Schock kam nicht unerwartet. Jason tauchte tief und schwamm auf die Stelle zu, an der er den Lichtschimmer gesehen hatte. Das Wasser war unglaublich transparent, und er sah überall nur Felsen. Tiefer, noch tiefer; seine Kleidung sog sich voll und zog ihn nach unten. Dicht über dem Boden des Sees erfaßte ihn eine Strömung und riß ihn mit sich durch einen kurzen Kanal.

Dann sah er weit über sich wieder Licht. Er versuchte aufzutauchen, aber es kam nicht näher. Die Taschenlampe fiel ihm aus dem Mund und wurde davongewirbelt. Höher, höher.

Das Licht schien schwächer zu werden, obwohl er sich ihm näherte. In seiner Angst schlug er mit den Armen um sich, fühlte ein Hindernis über seinem Kopf und bekam etwas Hartes zu fassen. Er zog sich daran hoch und streckte den Kopf aus dem Wasser.

In den ersten Minuten konnte er sich nur an der Baumwurzel festhalten und keuchend Luft holen. Dann sah er sich um und erkannte, daß er sich am Ufer eines Tümpels befand, der von hohen Bäumen umgeben war. Dahinter begann eine gewaltige Felswand, die bis zu den Wolken aufragte und darin verschwand.

Jason war im Tiefland.

Er zog sich mühsam aus dem Wasser und blieb erschöpft am Ufer liegen, bis er sich wieder etwas erholt hatte. Unter den Büschen in seiner Nähe wuchsen rote Beeren, auf die er sich gierig stürzte; als er sie herunterschlang, bekam er heftige Magenkrämpfe. Dann lag er wieder im Gras und fragte sich, was er als nächstes tun sollte. Er schlief ein, ohne es zu wollen, und als er aufwachte, konnte er klarer denken. „Verteidigung.