Er schloß die Augen.
Langsam öffnete Hendricks wieder die Augen. Sein ganzer Körper schmerzte. Er versuchte sich aufzurichten, aber Schmerz schoß durch seinen Arm und seine Schulter. Er keuchte.
„Versuchen Sie nicht aufzustehen", riet Tasso. Sie beugte sich über ihn und legte ihre kalte Hand auf seine Stirn.
Es war Nacht. Am Himmel glühten einige Sterne, leuchteten durch die dahintreibenden Aschewolken. Hendricks legte sich wieder hin und biß die Zähne aufeinander. Tasso musterte ihn unbeeindruckt. Sie hatte mit einigen Holzstückchen ein Feuer gemacht. Die Flammen flackerten schwach, leckten nach einer Metalltasse, die über dem Feuer hing. Alles war still. Undurchdringliche Finsternis herrschte hinter dem Lichtkreis der Flammen.
„Also war er die Zweite Variante", murmelte Hendricks.
„Ich habe es immer befürchtet."
„Warum haben Sie ihn dann nicht schon eher zerstört?" wollte er wissen.
„Sie hielten mich davon ab." Tasso trat ans Feuer und blickte in die Metalltasse. „Kaffee. Er ist bald fertig."
Sie kam zurück und setzte sich neben ihn. Dann klappte sie ihre Pistole auseinander und begann den Schußmechanismus zu zerlegen und ihn aufmerksam zu studieren.
„Dies ist eine wundervolle Waffe", sagte Tasso halblaut. „Die Konstruktion ist hervorragend."
„Was ist mit ihnen? Den Klauen?"
„Die Explosion der Granate setzte die meisten von ihnen außer Gefecht. Sie sind empfindliche Geschöpfe. Hochorganisiert, glaube ich."
„Und die Davids auch?"
„Ja."
„Wie sind Sie an diese Granate gelangt?"
Tasso zuckte die Achseln. „Wir haben sie neu entwickelt. Sie sollten unsere technologischen Fähigkeiten nicht unterschätzen, Major. Ohne diese Granate würden wir beide nicht mehr existieren."
„Sehr nützlich."
Tasso streckte ihre Beine aus und wärmte ihre Füße an der Hitze des Feuers. „Es hat mich überrascht, daß Sie nicht zu verstehen schienen, als er Rudi getötet hatte. Warum glaubten Sie, daß er... "
„Ich sagte es Ihnen bereits. Ich dachte, er hätte Angst."
„Wirklich? Wissen Sie, Major, daß ich eine kleine Weile lang Sie verdächtigt habe? Weil Sie nicht wollten, daß ich ihn töte. Ich dachte, Sie wollten ihn beschützen." Sie lachte.
„Sind wir hier sicher?" fragte Hendricks plötzlich.
„Eine Zeitlang schon. Bis sie Verstärkung aus anderen Gebieten erhalten." Tasso begann die Einzelteile ihrer Pistole mit einem Stoffetzen zu reinigen. Dann war sie fertig und setzte die Waffe wieder zusammen. Mit ihren Fingern strich sie über die Trommel.
„Wir haben Glück gehabt", murmelte Hendricks.
„Ja. Sehr viel Glück."
„Danke, daß Sie mich fortgezogen haben."
Tasso antwortete nicht. Sie blickte zu ihm auf, und ihre Augen glänzten im Flammenschein des Feuers. Hendricks untersuchte seinen Arm.
Er konnte die Finger nicht bewegen. Seine ganze Seite schien betäubt zu sein. In seinem Innern herrschte ein dumpfer, stetiger Schmerz.
„Wie fühlen Sie sich?" fragte Tasso.
„Mein Arm ist taub."
„Sonst noch etwas?"
„Innere Verletzungen."
„Sie haben sich nicht hingelegt, als die Granate explodierte."
Hendricks schwieg. Er beobachtete Tasso, während sie den Kaffee aus dem Becher in eine flache Metallschale goß, die sie ihm dann reichte.
„Danke." Er richtete sich auf, um zu trinken. Das Schluk-ken fiel ihm schwer. Sein Magen zog sich zusammen, und er stellte die Schale fort. „Mehr kann ich jetzt nicht trinken."
Tasso leerte den Rest. Zeit verging. Die Aschewolken drifteten über den dunklen Himmel. Hendricks ruhte sich aus, döste. Nach einer Weile bemerkte er, daß Tasso über ihm stand und auf ihn hinunterblickte.
„Was ist?" murmelte er.
„Fühlen Sie sich besser?"
„Ein wenig."
„Sie wissen, Major, daß man Sie erwischt hätte ohne meine Hilfe. Sie wären tot. Wie Rudi."
„Ich weiß."
„Wollen Sie nicht wissen, warum ich Sie gerettet habe? Ich hätte Sie auch zurücklassen können. Ich hätte Sie dort wirklich zurücklassen können."
„Warum haben Sie es dann nicht getan?"
„Weil wir von hier fort müssen." Tasso stocherte mit einem Stock im Feuer, blickte still hinein. „Kein menschliches Wesen kann hier überleben. Wenn ihre Verstärkung eintrifft, haben wir keine Chance mehr. Ich habe darüber nachgedacht, während Sie bewußtlos waren. Wir haben vielleicht noch drei Stunden, bis sie hier sind."
„Und Sie erwarten von mir, daß ich uns von hier fortbringen kann?"
„Ich erwarte von Ihnen, daß Sie uns von hier fortbringen."
„Warum ich?"
„Weil ich keine andere Möglichkeit sehe." Ihre Augen leuchteten in dem Zwielicht hell und wachsam. „Wenn Sie uns nicht fortbringen können, wird man uns binnen drei Stunden töten. Es gibt keinen Ausweg. Nun, Major? Was werden Sie tun? Ich habe die ganze Nacht gewartet. Wahrend Sie bewußtlos waren, saß ich hier und wartete und horchte. Es ist kurz vor Tagesanbruch. Die Nacht ist fast vorbei."
Hendricks überlegte. „Es ist seltsam", sagte er schließlich.
„Seltsam?"
„Daß Sie glauben, ich könnte uns von hier fortbringen. Ich frage mich, wie Sie sich das vorstellen."
„Können Sie uns zur Mondbasis bringen?"
„Zur Mondbasis? Aber wie?"
„Es muß einen Weg geben."
Hendricks schüttelte den Kopf. „Nein. Es gibt keinen Weg, den ich kenne."
Tasso sagte nichts. Für einen Moment flackerte ihr wachsamer Blick. Sie senkte den Kopf und wandte sich abrupt ab. Dann stand sie auf. „Noch Kaffee?"
„Nein."
„Wie Sie wünschen." Tasso trank schweigend. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Er lag auf dem Boden, tief in Gedanken versunken, versuchte sich zu konzentrieren. Es fiel ihm schwer. Sein Kopf tat noch immer weh. Und die benommene Schläfrigkeit erfüllte ihn nach wie vor.
„Es gibt vielleicht eine Möglichkeit", sagte er plötzlich.
„Oh?"
„Wann wird es Morgen werden?"
„In zwei Stunden. Die Sonne muß bald aufgehen."
„Man sagt, daß sich irgendwo hier in der Nähe ein Schiff befinden soll. Ich habe es nie gesehen. Aber ich weiß, daß es existiert."
„Was ist das für ein Schiff?" Ihre Stimme klang scharf.
„Eine Raketenfähre."
„Wird sie es schaffen? Bis zur Mondbasis?"
„Sie ist dafür da. Für Notfalle." Er massierte seine Stirn.
„Was ist?"
„Mein Kopf. Das Denken fällt mir schwer. Ich kann mich nur mühsam... mühsam konzentrieren. Die Granate scheint mir doch erheblich zugesetzt zu haben."
„Ist das Schiff in der Nähe?" Tasso glitt auf seine Seite, kniete neben ihm. „Wie weit ist es von hier entfernt? Wo befindet es sich?"
„Ich versuche mich zu erinnern."
Ihre Finger bohrten sich in seinen Arm. „In der Nähe?" Ihre Stimme war wie Eisen. „Wo könnte es sein? Versteckt unter der Erdoberfläche?"
„Ja. In einem Lagerraum."
„Wie findet man es? Ist die Stelle markiert? Benötigt man einen Kodegeber, um sie zu finden?"
Hendricks konzentrierte sich. „Nein. Keine Markierungen. Keine Kode."
„Was dann?"
„Ein Zeichen."
„Was für ein Zeichen?"
Hendricks antwortete nicht. In dem flackernden Licht waren seine Augen trübe, zwei blicklose Kugeln. Tassos Finger bohrten sich in seinen Arm.
„Was für ein Zeichen? Wie sieht es aus?"
„Ich... ich kann mich nicht erinnern. Lassen Sie mich schlafen."
„In Ordnung." Sie ließ ihn los und erhob sich. Hendricks lag mit geschlossenen Augen am Boden. Tasso entfernte sich von ihm, und sie hatte die Hände in die Taschen gesteckt. Sie trat gegen einen Stein und stand da, starrte hinauf zum Himmel. Die Schwärze der Nacht begann sich bereits in Grau zu verwandeln. Der Morgen brach an.