„Das macht insgesamt drei", bemerkte Kommandant Mor
rison.
„Wenn es organischer Natur ist, dann muß es einen Weg geben, es zu vernichten", brummte Hall. „Wir haben bereits ein paar zerstrahlt und sie damit offensichtlich getötet. Sie sind also verwundbar! Aber wir wissen nicht, wieviele es noch von ihnen gibt. Wir haben fünf oder sechs von ihnen zerstört. Aber vielleicht ist es eine ins Unendliche teilbare Substanz. Eine Art Protoplasma."
„Und inzwischen...?"
„Inzwischen sind wir diesem Wesen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Oder diesen Wesen. Nun, damit haben wir also unsere tödliche Lebensform gefunden. Das erklärt, warum uns alles andere so harmlos erschien. Nichts kann mit derartigen Geschöpfen konkurrieren. Natürlich gibt es auch auf der Erde Lebensformen, die durch Mimikry überleben. Insekten. Pflanzen. Und dann noch die Bohrschnecken von der Venus. Aber es gibt nichts, was ähnlich weit entwik-kelt ist."
„Dennoch können wir es - oder sie - zerstören. Sie sagten es doch selbst. Und das bedeutet, daß wir eine Chance haben."
„Wenn wir diese Wesen finden." Hall blickte sich in dem Zimmer um. Neben der Tür hingen zwei Regenmäntel an der Wand. Waren dort soeben auch schon zwei gewesen?
Müde rieb er über seine Stirn. „Wir müssen versuchen, ob wir irgendein Gift oder irgendeine ätzende Substanz finden, etwas, das den Feind vollkommen abtötet. Wir können nicht einfach dasitzen und darauf warten, daß ein neuer Angriff erfolgt. Am besten wäre ein Spray. Auf diese Weise sind wir auch mit den Bohrschnecken fertiggeworden."
Kommandant Morrison starrte an ihm vorbei, stand steif da.
Er drehte sich um und folgte ihrer Blickrichtung. „Was ist los?"
„Da hinten in der Ecke stehen zum erstenmal zwei Aktenordner. Vorher war nur einer da - so glaube ich zumindest." Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber wie können wir sicher sein? Diese ganze Angelegenheit wächst mir allmählich über den Kopf."
„Was Sie brauchen, das ist ein anständiger kräftiger Schluck."
Ihr Gesicht erhellte sich. „Das ist eine gute Idee. Aber..."
„Aber was?"
„Ich möchte lieber nichts anrühren. Woher weiß ich denn..." Sie tastete nach dem Strahler an ihrer Hüfte. „Wissen Sie, ich möchte das Ding auf alles richten, was ich sehe... "
„Panikreaktion. Aber ich befürchte, daß wir einer nach dem anderen daran glauben müssen."
Captain Unger empfing den Notruf über den Ohrempfänger. Er brach sofort seine Arbeit ab, griff nach den Proben, die er gesammelt hatte, und eilte zurück zum Fahrzeug.
Der Rückweg war kürzer, als er sich erinnern konnte. Er hielt inne, war verwirrt. Dort stand es, das glänzende kleine, kegelförmige Fahrzeug, dessen Reifen tief in den weichen Boden eingesunken waren; die Tür stand offen.
Unger eilte darauf zu, sorgsam bedacht, seine Proben nicht zu verlieren. Er öffnete den Laderaum und verstaute seine Beute. Dann ging er nach vorn und glitt hinter das Steuer.
Er drehte den Anlasser. Aber der Motor sprang nicht an. Das war äußerst merkwürdig. Während er es noch einmal versuchte, machte er eine verblüffende Entdeckung.
Knappe hundert Meter von ihm entfernt, unter den Bäumen, stand ein zweiter Wagen, und er sah genauso aus wie jener, in dem er saß. Und dies war auch die Stelle, von der er meinte, dort das Fahrzeug abgestellt zu haben. Es mußte sich noch jemand anders in der Nähe befinden und Proben einsammeln, und diesem Jemand gehörte dieser Wagen hier.
Unger wollte wieder aussteigen.
Die Wagentür wölbte sich ihm entgegen. Der Sitz faltete sich um seinen Kopf. Das Schaltbrett wurde durchsichtig und schleimig. Er keuchte - er war am Ersticken. Er schlug um sich, wollte der Falle entkommen, wehrte sich verzweifelt. Überall um ihn war es plötzlich feucht, eine blubbernde, glitschige Nässe, die so warm und weich war wie lebendes Fleisch.
„Arg." Sein Kopf war nun bedeckt. Sein Körper war in der schleimigen Masse versunken. Der ganze Wagen verwandelte sich in dickflüssigen Brei. Er versuchte, seine Hände freizubekommen, aber es gelang ihm nicht.
Und dann kamen die Schmerzen. Sein Körper begann sich aufzulösen. Und schließlich wußte er, was das für eine Flüssigkeit war.
Säure. Magensäure. Er befand sich in einem Magen.
„Nicht herschauen!" rief Gail Thomas.
„Warum nicht?" Korporal Hendricks schwamm auf sie zu und grinste. „Warum soll ich nicht schauen?"
„Weil ich jetzt das Wasser verlasse."
Die Sonne beschien den See. Das Licht funkelte und tanzte über die Wellen. Ringsum erhoben sich riesige, moosbedeckte Bäume, gewaltige stumme Säulen, die zwischen den blühenden Büschen und Blumen emporragten. Im Wald herrschte Stille. Bis auf das Plätschern der Wellen war kein Laut zu hören. Sie waren sehr weit von dem Forschungslager entfernt.
Gail kletterte ans Ufer und schüttelte die Wassertropfen ab, strich ihr Haar aus den Augen.
„Wann darf ich denn wieder schauen?" fragte Hendricks
und schwamm mit geschlossenen Augen im Kreis.
„Gleich." Gail verschwand zwischen den Bäumen und erreichte die Stelle, wo sie ihre Uniform abgelegt hatte. Sie fühlte das warme Sonnenlicht auf ihren nackten Schultern und Armen brennen, und sie setzte sich ins Gras und griff nach ihrer Bluse und der Hose.
Sie säuberte ihre Bluse von Laub und Borkenstückchen und begann sie anzuziehen.
Unten im See wartete Korporal Hendricks ungeduldig, schwamm immer noch im Kreis. Zeit verstrich. Kein Laut war zu hören. Er öffnete die Augen. Von Gail war nichts zu sehen.
„Gail?" rief er.
Es war sehr still.
„Gail!"
Keine Antwort.
Rasch schwamm Korporal Hendricks ans Ufer. Er stieg aus dem Wasser, und mit einem Satz war er bei seiner Uniform, die er säuberlich am Seeufer zusammengefaltet hatte. Er packte seinen Strahler.
„Gail!"
Die Bäume schwiegen. Kein Laut ertönte. Er stand da, blickte sich um, runzelte die Stirn. Allmählich stieg eisige Furcht in ihm auf, und selbst die warmen Sonnenstrahlen spürte er nicht mehr.
„Gail! Gail!!!“
Und noch immer herrschte Stille.
Kommandant Morrison war besorgt. „Wir müssen etwas unternehmen", erklärte sie. „Wir dürfen nicht länger zögern. Zehn Todesfälle bei dreißig Zusammenstößen. Ein Drittel ist ein zu hoher Prozentsatz."
Hall sah von seiner Arbeit auf. „Jedenfalls wissen wir jetzt, mit was wir es zu tun haben. Es ist eine Art Protoplasma mit fast unbegrenzter Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit." Er hob die Sprühflasche. „Ich schätze, das wird uns eine Vorstellung davon verschaffen, wieviel inzwischen hier eingedrungen sind."
„Was ist das?"
„Eine gasförmige Mischung aus Arsen und Wasserstoff."
„Und was wollen Sie damit anfangen?"
Hall befestigte seinen Helm. Seine Stimme drang nun aus Morrisons Ohrempfänger. „Ich werde es im Labor versprühen. Ich vermute, daß sich hier mehr von diesen Biestern aufhalten als anderswo in der Station."
„Warum ausgerechnet hier?"
„Alle Proben und Musterexemplare wurden zunächst hierher geschafft, und hier machte sich auch das erste von ihnen bemerkbar. Ich schätze, sie wurden zusammen mit den Proben eingeschleppt, oder sogar in Gestalt der Proben, und dann verteilten sie sich über das ganze Gebäude."
Kommandant Morrison schloß nun ebenfalls ihren Helm. Die vier Soldaten folgten ihrem Beispiel. „Arsenwasserstoff ist auch für menschliche Wesen schädlich, nicht wahr?"
Hall nickte. „Wir müssen vorsichtig sein. Wir können es zwar hier bei einem begrenzten Test einsetzen, aber das ist auch schon alles."
Er regulierte die Sauerstoffzufuhr an seinem Helm.