„Was bezwecken Sie mit diesem Test?" wollte sie wissen.
„Wenn wir überhaupt ein Ergebnis erzielen, dann bekommen wir zumindest einen Anhaltspunkt, in welchem Umfang sie bis jetzt eingedrungen sind. Dann wissen wir genau, wie groß das Problem ist. Die Lage ist vielleicht ernster, als wir im Augenblick vermuten."
„Was meinen Sie damit?" fragte sie und schaltete ihre Sauerstoffversorgung höher.
„Auf dem Planeten Blau sind ungefähr hundert Menschen eingesetzt. Wie es im Moment aussieht, ist die schlimmste
Alternative die, daß es uns nacheinander alle erwischt. Aber das sagt noch nicht viel. Gruppen von dieser Größe gehen jeden Tag die Woche verloren. Das ist ein Risiko, das jeder eingehen muß, der als erster auf einem fremden Planeten landet. Letzten Endes ist das relativ unwichtig."
„Unwichtig im Vergleich zu...?"
„Wenn sie tatsächlich unbegrenzt teilbar sind, dann müssen wir es uns gründlich überlegen, ob wir diesen Planeten überhaupt noch verlassen dürfen. Es wäre vielleicht besser, hierzubleiben und einen Mann nach dem anderen zu verlieren, als eventuell das Wagnis einzugehen, sie möglicherweise im Sonnensystem einzuschleppen."
Sie blickte ihn an. „Ist es das, was Sie herausfinden wollen
- ob sie wirklich unbegrenzt teilbar sind?"
„Ich möchte erfahren, womit wir es zu tun haben. Vielleicht gibt es nur ein paar wenige von ihnen. Oder vielleicht sind sie überall." Er machte eine Handbewegung, die das ganze Laboratorium einschloß. „Möglicherweise ist die Hälfte aller Gegenstände in diesem Raum nicht das, wofür wir sie halten... Es wäre schlimm, wenn sie uns angreifen würden. Und noch schlimmer wäre es, wenn sie es nicht tun würden."
„Schlimmer?" Stella Morrison war verwirrt.
„Ihre Mimikry ist perfekt. Zumindest bei anorganischen Objekten. Ich habe durch eins von diesen Geschöpfen durchgesehen, Stella, als es mein Mikroskop imitierte. Es vergrößerte, reflektierte, ließ sich scharf einstellen, unterschied sich nicht von einem gewöhnlichen Mikroskop. Das ist eine Art von Mimikry, die alles übertrifft, an das wir jemals zu denken gewagt haben. Die Nachahmung erstreckt sich sogar auf die einzelnen Elemente, aus denen das imitierte Objekt besteht, begnügt sich nicht nur mit der oberflächlichen Erscheinung."
„Sie meinen also, daß eines von ihnen mit uns zurück zur
Erde gelangen könnte? In der Gestalt eines Kleidungsstücks oder als Teil der Laboreinrichtung?" Sie schauderte.
„Wir gehen davon aus, daß es sich um eine Art Protoplasma handelt. Eine derartige Wandlungsfähigkeit erfordert eine einfache ursprüngliche Gestalt - und das setzt eine ungeschlechtliche Vermehrung durch Zellteilung voraus. Wenn dem wirklich so ist, dann sind ihrer Fortpflanzungsfähigkeit keine Grenzen gesetzt. Ihre Fähigkeit, ihre Opfer völlig aufzulösen, erinnert mich an unsere einzelligen Protozoen."
„Halten Sie sie für intelligent?"
„Ich weiß es nicht. Ich hoffe zumindest, daß das nicht zutrifft." Hall hob die Sprühflasche. „Auf jeden Fall sollte uns dieser Test Aufschluß über ihre Verbreitung geben. Und, bis zu einem gewissen Grad, meine Vermutung bestätigen, daß sie einfach genug aufgebaut sind, um sich durch Zellteilung fortzupflanzen - die schlimmste Möglichkeit, von unserem Standpunkt aus gesehen.
Also beginnen wir", schloß Hall.
Er umklammerte die Sprühflasche, drückte den Abzug und schwenkte den Schlauch langsam im Labor umher. Stella Morrison und die vier Wachen standen schweigend hinter ihm. Nichts geschah. Die Sonnenstrahlen fielen durch die Fenster und funkelten auf den Reagenzgläsern und Apparaturen.
Nach einer Weile löste er den Finger vom Abzug.
„Ich habe nichts bemerkt", erklärte Kommandant Morrison. „Sind Sie sicher, daß das etwas nützt?"
„Arsenwasserstoff ist farblos. Aber öffnen Sie um Himmels willen nicht Ihren Helm. Das könnte fatale Folgen haben. Und bewegen Sie sich nicht."
Sie warteten.
Eine Zeitlang geschah nichts. Dann...
„Großer Gott!" stieß Kommandant Morrison hervor.
An der gegenüberliegenden Seite des Labors begann plötzlich ein Karteikasten zu wanken. Er wallte auf, brodelte und sackte in sich zusammen, bis er seine Form völlig verloren hatte. Die homogene gallertartige Masse klatschte auf einen Tisch, floß hinunter auf den Boden, brodelte und bäumte sich auf.
„Dort drüben!"
Ein Bunsenbrenner zerschmolz und bildete eine zuckende Pfütze. Im ganzen Raum begannen sich Gegenstande zu bewegen. Eine große Glasretorte sackte in sich zusammen und zerrann zu einem Klumpen. Ein Ständer mit Reagenzgläsern, ein Regal mit Chemikalien...
„Vorsicht!" schrie Hall und sprang zurück.
Ein dicker Glaskolben fiel mit einem schmatzenden Geräusch vor ihm auf den Boden. Es war eine einzige riesige Zelle. Undeutlich konnte er den Zellkern erkennen, die Membrane, die Vakuolen in dem Zellplasma.
Pipetten, Zangen, ein Mörser, alles zerschmolz. Die Hälfte aller Gegenstände im Labor erwachte zum Leben. Sie hatten fast alles imitiert, was es zu imitieren gab. Jedes Mikroskop besaß einen Doppelgänger. Jede Röhre und jeder Behälter und jede Flasche und jeder Flakon...
Einer der Soldaten hatte seinen Strahler gezogen. Hall schlug ihm die Waffe aus der Hand. „Nicht schießen! Arsenwasserstoff ist feuergefährlich. Kommen Sie, verlassen wir das Labor. Wir haben erfahren, was wir wissen wollten."
Rasch öffneten sie die Labortür und traten auf den Korridor. Hall schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte sie sorgfältig.
„Es ist also schlimm", bemerkte Kommandant Morrison.
„Ja, wir haben praktisch keine Chance. Die Chemikalie hat sie nur ihre Form verlieren lassen; vermutlich dürfte eine hohe Konzentration sie abtöten. Aber wir besitzen nicht genug von dem Zeug. Und selbst wenn wir den ganzen Pla neten damit überfluten könnten, dürften wir nicht einmal unsere Strahler einsetzen."
„Angenommen, wir würden den Planeten verlassen?"
„Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, sie vielleicht im Sonnensystem einzuschleppen."
„Wenn wir hierbleiben, werden wir absorbiert, aufgelöst, einer nach dem anderen", protestierte Morrison.
„Wir könnten uns Arsen liefern lassen. Oder ein anderes Gift, das sie zerstört. Aber es würde auch gleichzeitig alle anderen Lebensformen auf dieser Welt abtöten. Es würde nicht mehr viel davon übrig bleiben."
„Dann werden wir eben den ganzen Planeten verwüsten. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, verbrennen wir seine Oberfläche. Selbst wenn am Ende nur noch eine tote Welt zurückbleibt."
Sie blickten einander an.
„Ich werde mich mit der Systemkontrolle in Verbindung setzen", erklärte Kommandant Morrison. „Ich werde dafür sorgen, daß unsere Einheit von hier abgeholt wird - zumindest alle, die davon übrig sind. Dieses arme Mädchen unten am See..." Sie fröstelte. „Wenn sich hier niemand mehr aufhält, dann werden wir uns den vielversprechendsten Weg überlegen, um diesen Planeten zu säubern."
„Sie wollen also das Risiko eingehen, sie möglicherweise auch auf der Erde einzuschleppen?"
„Können Sie uns imitieren? Können Sie Lebewesen nachahmen? Höhere Lebensformen?"
Hall zögerte. „Offenbar nicht. Sie scheinen auf anorganische Objekte beschränkt zu sein."
Kommandant Morrison lächelte grimmig. „Dann werden wir eben ohne jegliche Ausrüstungsgegenstände zurückkehren."
„Aber unsere Kleidung! Sie können Gürtel, Handschuhe, Stiefel imitieren... "
„Wir werden unsere Kleider nicht mitnehmen. Wir kehren ohne alles zurück. Und ich meine wirklich ohne alles."
Hall schürzte die Lippen. „Ich verstehe." Er dachte nach. „Es könnte funktionieren. Aber können Sie auch die Leute überreden, all... all ihren Besitz hier zurückzulassen? Alles, was ihnen gehört?"
„Wenn es um ihr Leben geht, dann kann ich es ihnen befehlen."