Charles wirbelte herum und rannte aus der Küche, die Treppen hinauf, in sein Zimmer. June Walton keuchte und zitterte vor Bestürzung. „Was in aller Welt..."
Ted fuhr mit dem Essen fort. Sein Gesicht besaß einen grimmigen Ausdruck; seine Augen waren kalt und dunkel. „Dieser Busche", knirschte er, „wird gleich ein paar Dinge lernen müssen. Vielleicht wäre es vernünftig, wenn er und ich ein kleines privates Gespräch führen würden."
Charles duckte sich und lauschte.
Das Vater-Ding kam die Treppe hinauf, kam näher und näher. „Charles!" rief er verärgert. „Bist du dort oben?"
Er antwortete nicht. Lautlos kehrte er in sein Zimmer zurück und schloß die Tür. Sein Herz klopfte heftig. Das VaterDing hatte den Korridor erreicht; in wenigen Sekunden würde es das Zimmer betreten.
Er eilte zum Fenster. Entsetzen erfüllte ihn; es tastete bereits in dem dunklen Korridor nach der Klinke. Er öffnete das Fenster und kletterte hinaus auf das Dach. Mit einem Knurren sprang er hinunter in das Blumenbeet, das sich neben der Vordertür befand, taumelte und keuchte, kam dann auf die Füße und floh vor dem Licht, das aus dem Fenster fiel, ein Tupfer Gelb in der abendlichen Dunkelheit.
Er erreichte die Garage, die vor ihm emporragte, ein schwarzer Würfel gegen den Himmel. Atemlos suchte er in seinen Taschen nach der Stablampe, stieß dann vorsichtig die Tür auf und schlüpfte hinein.
Die Garage war leer. Das Auto war vor dem Haus geparkt. Zur Linken befand sich die Werkbank seines Vaters. Hammer und Sägen hingen an den Holzwänden. Im hinteren Teil standen der Rasenmäher, Harken, Schaufeln, Hacken. Ein Benzinkanister. Überall waren Nummernschilder angenagelt. Der Betonboden war schmutzig; ein großer Ölfleck verdreckte den Beton, wirkte in dem flackernden Licht der Taschenlampe wie ein Büschel Unkraut aus Schmiere und Schwarze.
Neben der Tür befand sich eine große Abfalltonne. Oben auf der Tonne lagen Bündel durchweichter Zeitungen und Illustrierten, halb vermodert und feucht. Ein erstickender fauliger Gestank stieg von ihnen auf, als Charles in ihnen herumzuwühlen begann. Spinnen fielen hinunter auf den Zementboden und krabbelten davon; er zermalmte sie mit dem Absatz und suchte weiter.
Was er sah, entrang ihm einen Schrei. Er ließ die Taschenlampe fallen und sprang entsetzt zurück. Dunkelheit legte sich wieder über die Garage. Er zwang sich dazu, hin zuknien, und für einen endlosen Moment tastete er in der Finsternis nach der Lampe, umgeben von Spinnen und schmierigem Abfall. Endlich entdeckte er sie, und es gelang ihm, den Strahl auf die Tonne zu lenken, auf jene Stelle, die er von den Illustriertenbündeln befreit hatte.
Das Vater-Ding hatte es tief unten am Boden der Tonne vergraben. Zwischen verdorrten Blättern und zerrissener Pappe, unter den verrotteten Resten der Zeitungen und Gardinen, dem Gerümpel aus der Dachkammer, das seine Mutter heruntergeschafft hatte, um es irgendwann einmal zu verbrennen... Es sah noch immer ein wenig seinem Vater ähnlich; ähnlich genug, daß er ihn erkennen konnte. Er hatte es entdeckt - und der Anblick erfüllte ihn mit würgender Übelkeit. Er klammerte sich an der Tonne fest und hielt die Augen geschlossen, bis er wieder in der Lage war, den Anblick zu ertragen. In der Tonne lagen die Überreste seines Vaters, seines wirklichen Vaters. Teile, für die das Vater-Ding keine Verwendung gefunden hatte. Teile, die es weggeworfen hatte.
Er ergriff die Harke und berührte damit die Überreste. Sie waren trocken. Sie knirschten und zerfielen unter der Berührung der Harke. Sie erinnerten an abgelegte Schlangenhäute, schuppig und knusprig, und sie raschelten bei jeder Berührung. Eine leere Hülle. Die Innereien waren verschwunden. Der wichtigste Teil. Dies war alles, was übriggeblieben war, nur die spröde, brüchige Haut, auf dem Boden der Abfalltonne zu einem kleinen Haufen zusammengeknüllt. Das war alles, was das Vater-Ding übriggelassen hatte; es hatte den Rest gegessen. Die Innereien herausgenommen - und den Platz seines Vaters eingenommen.
Ein Laut ertönte.
Er ließ die Harke fallen und huschte zur Tür. Das VaterDing kam den Weg entlang, auf die Garage zu. Seine Schuhe knirschten über den Kies; unsicher tastete es sich weiter. „Charles!" rief es zornig. „Bist du dort drinnen? Warte nur, bis ich dich in die Finger bekomme, junger Mann!"
Die korpulente, nervöse Gestalt seiner Mutter zeichnete sich gegen die hellerleuchtete Türöffnung des Hauses ab. „Ted, bitte, tu ihm nicht weh. Irgend etwas hat ihn verstört."
„Ich werde ihm nicht wehtun", erwiderte das Vater-Ding rauh; es verharrte und drehte sich um. „Ich möchte mich nur ein wenig mit ihm unterhalten. Er muß sich bessere Manieren zulegen. Einfach vom Tisch aufspringen und hinaus in die Nacht zu laufen, gar nicht davon zu reden, daß er auf dem Dach herumgeklettert ist..."
Charles schlüpfte aus der Garage; das Vater-Ding entzündete ein Streichholz, und die kleine Flamme riß Charles' Umrisse aus der Dunkelheit. Mit einem Satz sprang das Vater-Ding auf ihn zu.
„Komm her!"
Charles rannte. Er kannte sich hier besser aus als das Vater-Ding; es wußte zwar eine Menge, hatte sehr viel erfahren, als es seinen Vater übernommen hatte, aber niemand konnte sich in der Umgebung besser orientieren als er. Charles erreichte den Zaun, kletterte hinüber und sprang in den Garten der Andersons, hastete an der Wäscheleine entlang, den Weg hinunter, der am Haus vorbeiführte, und dann erreichte er die Maple Street.
Er horchte, kauerte sich nieder und atmete nicht. Das Vater-Ding verfolgte ihn nicht mehr. Es war zurückgegangen. Oder es näherte sich ihm von der Seitenstraße.
Er holt tief Atem. Weiter - er mußte in Bewegung bleiben. Früher oder später würde es ihn finden. Er blickte nach rechts und links, überzeugte sich, daß ihn niemand beobachtete, und begann dann mit gleichmäßigen Bewegungen zu laufen.
„Was willst du?" fragte Tony Peretti kriegerisch. Tony war vierzehn. Er saß am Tisch in dem eichengetäfelten Eßzim mer der Perettis, und auf dem Tisch lagen verstreut Bücher und Schreibstifte, ein halbes, mit Erdnußbutter und Schinken belegtes Sandwich und eine Flasche Cola. „Du bist Walton, oder?"
Tony Peretti arbeitete nach der Schule in Johnsons Elektrogeschäft und packte dort Öfen und Kühlschränke aus. Er war groß und besaß ein offenes Gesicht, schwarze Haare, olivfarbene Haut, weiße Zähne. Schon mehrfach hatte er Charles verhauen, und nicht nur Charles, sondern jedes Kind in der Nachbarschaft.
Charles wand sich. „Sag mal, Peretti. Würdest du mir einen Gefallen tun?"
„Was willst du?" Peretti fühlte sich belästigt. „Bist du auf ein paar Ohrfeigen aus?"
Unglücklich zu Boden blickend, die Fäuste geballt, berichtete Charles mit knappen Worten, was geschehen war.
Als er geendet hatte, pfiff Peretti leise vor sich hin. „Soll das ein Witz sein?"
„Es ist die Wahrheit." Er nickte rasch. „Ich werde es dir beweisen. Komm mit und ich zeige es dir."
Peretti stand langsam auf. „Ja, zeig es mir. Ich möchte es sehen."
Er holte sein Luftdruckgewehr aus seinem Zimmer, und die beiden Jungen gingen schweigend die dunkle Straße hinunter und näherten sich Charles' Haus. Die ganze Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort. Peretti war tief in Gedanken versunken, wirkte ernst, und sein Gesicht war undurchdringlich. Charles war noch immer wie betäubt; in seinem Kopf herrschte eine seltsame Leere.
Sie erreichten den Gehweg, der zum Haus der Andersens führte, schlichen sich durch den Hinterhof, kletterten über den Zaun und betraten vorsichtig den Hof der Waltons. Nichts rührte sich. Alles war still. Die Vordertür des Hauses war verschlossen.
Sie äugten durch das Wohnzimmerfenster. Die Jalousie war heruntergelassen, aber durch einen schmalen Schlitz fiel ein dünner, gelber Lichtstrahl. Auf der Couch saß Mrs. Walton und strickte einen Wollpullover. Ihr Gesicht besaß einen traurigen, besorgten Ausdruck. Sie arbeitete lustlos, ohne Interesse. Ihr gegenüber saß das Vater-Ding. Es hatte es sich in dem Sessel seines Vaters bequem gemacht, die Schuhe ausgezogen, und las die Abendzeitung. Der Fernseher war eingeschaltet und spielte in der Zimmerecke vor sich hin. Eine Bierflasche stand auf der Lehne des Sessels. Das Vater-Ding saß genauso da wie sein Vater immer dagesessen hatte; es hatte sehr viel gelernt.