Выбрать главу

„Danke", murmelte Chien und warf einen Beutel Lipton's Tee hinein.

„Obwohl Mr. Pethel selbst bestimmen wird", fuhr Tso-pin fort, „welche Inhalte die Schule ihren Studenten in den Kursen anbietet, werden sämtliche Prüfungsunterlagen, auch wenn es seltsam erscheinen mag, Ihrem Büro übermittelt und Ihnen zur sorgfältigen ideologischen Kontrolle vorgelegt werden. Mit anderen Worten, Mr. Chien, Sie werden entscheiden, wer von diesen zweitausend Studenten zuverlässig ist, wer tatsächlich auf die Programmierung reagiert und wer nicht."

„Ich schenke jetzt den Tee ein", erklärte Chien und führte die Zeremonie durch.

„Wir müssen uns darüber im klaren sein", brummte Pethel in noch holprigerem Kantonesisch als Tso-pin, „daß seit der Niederlage in dem weltweiten Krieg die amerikanische Jugend ein Talent zur Vernebelung ihrer wahren Einstellung entwickelt hat." Während der letzten Worte war er in die englische Sprache zurückgefallen; Chien verstand nicht, was er meinte, und wandte sich hilfesuchend an seinen Vorgesetzten.

„Mr. Pethel meint, daß sie lügen", erklärte Tso-pin.

„Nach außen hin benutzen sie die richtigen Parolen", sagte Pethel, „aber innerlich halten sie sie für falsch. Die Prüfungsantworten dieser Gruppe werden zweifellos jene verraten, die... "

„Sie wollen damit doch nicht sagen, daß die Prüfungsunterlagen von zweitausend Studenten von meinem Büro bearbeitet werden sollen?" fragte Chien ungläubig. „Das allein ist eine Arbeit, die meine ganze Zeit in Anspruch nimmt; es ist völlig unmöglich, noch weitere Aufgaben zu übernehmen." Er war entsetzt. „Eine kritische, offizielle Billigung oder Ablehnung der Prüfungsarbeiten dieser scharfsinnigen Heuchler, wie Sie sie erwarten..." Er gestikulierte. „Unmöglich", sagte er auf Englisch.

Tso-pin runzelte die Stirn, als er den westlichen Ausdruck vernahm, und sagte scharf: „Sie verfügen doch über genug

Personal. Außerdem können Sie nötigenfalls weitere Mitarbeiter anfordern; das Budget des Ministeriums wurde in diesem Jahr erhöht und ein derartiges Ansinnen läßt sich durchaus verwirklichen. Und denken Sie daran, daß der Absolute Wohltäter des Volkes Mr. Pethel persönlich beauftragt hat." Sein Tonfall war ein wenig drohender geworden. Aber dies genügte schon, um Chiens Aufregung zu mäßigen und ihn daran zu erinnern, daß er Tso-pins Anweisungen auszuführen hatte. Zumindest vorläufig konnte er nichts dagegen unternehmen. Um seine Bemerkung zu unterstreichen, ging Tso-pin zur Rückwand des Büros; er blieb vor dem lebensechten 3-D-Porträt des Absoluten Wohltäters stehen, und nach einem kurzen Moment aktivierte seine Gegenwart das hinter dem Bild verborgene Bandgerät. Das Gesicht des Wohltäters erwachte zum Leben, und die vertraute Parole ertönte. „Kämpft für den Frieden, meine Söhne", intonierte er freundlich und nachdrücklich zugleich.

„Ah", machte Chien; er war noch immer besorgt, bemühte sich aber, sich nichts anmerken zu lassen. Vielleicht konnte er die Prüfungsunterlagen durch einen der Computer des Ministeriums vorab sortieren lassen; Fragen, die mit ja, nein und vielleicht zu beantworten waren, konnten durchaus auf diese Weise bearbeitet und gleichzeitig auf ihre ideologische Richtigkeit oder Unrichtigkeit hin untersucht werden. Vielleicht würde sich alles zu einer reinen Routinesache hin entwickeln. Vielleicht.

„Ich habe", eröffnete Darius Pethel, „bestimmtes Material mitgebracht, das ich Ihnen zur Prüfung überreichen möchte, Mr. Chien." Er öffnete den Reißverschluß einer alten, unansehnlichen Plastiktasche. „Zwei Prüfungsaufsätze", erklärte er, als er die Dokumente auf Chiens Schreibtisch legte. „Dadurch werden wir erfahren, ob Sie für diese Aufgabe qualifiziert genug sind." Er blickte zu Tso-pin hinüber, und für einen Moment trafen sich ihre Augen.

„Soviel ich weiß", fügte Pethel hinzu, „werden Sie, sofern Sie diesen Fall erfolgreich abschließen, zum Vizekanzler des Ministeriums ernannt werden, und Seine Hoheit, der Absolute Wohltäter des Volkes, wird Ihnen persönlich den Kisterigian-Orden überreichen." Pethel und Tso-pin schenkten Chien ein Lächeln.

„Den Kisterigian-Orden", wiederholte Chien; er nahm die Prüfungsunterlagen zur Hand und überflog sie mit gespielter Gleichgültigkeit. Aber in seiner Brust pochte sein Herz vor unterdrückter Aufregung. „Warum diese beiden? Ich meine, Sir, worauf muß ich achten?"

„Einer dieser Aufsatze", erläuterte Pethel, „ist die Arbeit eines überzeugten Progressiven, eines loyalen Parteimitglieds von zweifelsfreier Einstellung. Der andere stammt von einem jungen sti-lyagi, den wir kleinbürgerlicher, imperialistischer, degenerierter Kryptoideen verdächtigen. Es ist Ihre Aufgabe, Sir, herauszufinden, wer was geschrieben hat."

Herzlichen Dank, dachte Chien. Aber er nickte und las den Titel des zuoberst liegenden Aufsatzes.

DOKTRINEN DES ABSOLUTEN WOHLTÄTERS, DIE BEREITS IM WERK DES ARABISCHEN POETEN BAHA AD-DIN ZUHAYR (13. JAHRHUNDERT) ERWÄHNUNG FINDEN.

Während Chien die Seiten des Aufsatzes durchblätterte, stieß er auf einen vertrauten Vierzeiler mit dem Namen „Tod", der ihm schon zu Beginn seiner Schulzeit begegnet war.

Einmal wird er fehlen, zweimal wird er fehlen,

Er wählt nur eine von den vielen Stunden;

Für ihn gibt es keine Täler, gibt es keine Höhen,

gibt es nur die Ebene mit ihren Menschenwunden.

„Eindrucksvoll", bemerkte Chien. „Dieses Gedicht... "

„Er verwendet diesen Vierzeiler", bemerkte Pethel und beobachtete Chiens Lippen, als er das Gedicht erneut las, „um die uralte Weisheit, die der Absolute Wohltäter in unserem Leben verkörpert, mit der Tatsache zu vergleichen, daß kein Mensch sicher ist; wir alle müssen sterben, und nur die überpersönliche, historisch notwendige Idee überlebt. Wie es auch sein sollte. Sind Sie damit einverstanden? Ich meine, mit diesem Studenten? Oder..." Pethel schwieg einen Moment und schaute Chien wachsam an. „Oder will er in Wirklichkeit nur die Verkündungen des Absoluten Wohltäters ins Lächerliche zerren?"

„Geben Sie mir die Zeit, den anderen Aufsatz zu lesen", sagte Chien zurückhaltend.

„Sie benötigen keine weiteren Informationen; entscheiden Sie sich."

Zögernd erwiderte Chien: „Ich... ich habe dieses Gedicht noch nie unter diesem Blickwinkel betrachtet." Er war irritiert. „Wie dem auch sei, es stammt keinesfalls von Baha ad-Din Zuhayr; es ist ein Bestandteil der Erzählungen aus Tausendundeine Nacht. Zumindest stammt es aber aus dem dreizehnten Jahrhundert; das gebe ich zu.“ Rasch überflog er den Text, der sich an das Gedicht anschloß. Es schien ein routiniertes, einfallsloses Sammelsurium der von der Partei verbreiteten Klischees zu sein, die ihm von Geburt an vertraut waren. Das blinde imperialistische Ungeheuer, das allen menschlichen Ehrgeiz niederwalzte und erstickte (eine ungeschickt gewählte Metapher), eine Handlungsweise, die auf die noch immer existierenden parteifeindlichen Gruppen in den östlichen Vereinigten Staaten zutraf... Er fühlte sich davon gelangweilt, und sein Kopf war so leer wie das hohle Geschwätz dieses Studentenaufsat zes. Wir müssen weiterkämpfen, behauptete der Verfasser. Die Überreste des Pentagon in den Catskill-Bergen vernichten, Tennessee unterwerfen und vor allem den Haufen starrsinniger Reaktionare in den roten Bergen von Oklahoma zur Räson bringen. Er seufzte.

„Ich glaube", meldete sich Tso-pin zu Wort, „wir sollten Mr. Chien die Erlaubnis geben, sich in seiner Freizeit mit diesem schwierigen Problem zu befassen." Zu Chien gewandt sagte er: „Ich bin einverstanden, daß Sie diese Unterlagen heute abend mit in Ihr Kondominium nehmen, wo Sie dann genug Zeit haben, sich mit ihnen zu beschäftigen." Er verbeugte sich halb spöttisch, halb freundschaftlich. Nun, wie dem auch sei, ob dies nun als Beleidigung gedacht war oder nicht, auf jeden Fall hatte er Chien aus der Klemme geholfen, und dafür war Chien ihm dankbar.