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„Es war nicht so, wie Sie es darstellen", unterbrach Miss Lee verdrossen. „Aber vergessen Sie's; hier geht es um andere Dinge. Was wir wissen wollen, ist folgendes: Wer oder was regiert uns? Wir müssen hoch genug einsickern, müssen jemand anwerben, irgendeinen aufstrebenden Parteitheoretiker, der möglicherweise auch zu persönlichem Gespräch mit dem Führer eingeladen wird - Sie verstehen?"

Ihre Stimme zitterte; sie sah auf ihre Uhr, ängstlich darauf bedacht, rechtzeitig wieder fortzugehen; die fünfzehn Minuten waren fast vorbei. „Wie Sie wissen, treffen nur sehr wenige Menschen persönlich mit dem Führer zusammen. Ich meine, nicht nur über den Bildschirm."

„Er lebt zurückgezogen", bemerkte er. „Aufgrund seines hohen Alters."

„Wir haben die Hoffnung", sprach Miss Lee weiter, „daß Sie - wenn Sie den Test mit diesen angeblichen Prüfungsarbeiten bestehen, die man ihnen vorgelegt hat, und mit meiner Hilfe müßte alles funktionieren -, daß Sie dann zu einer der Herrengesellschaften eingeladen werden, die der Führer von Zeit zu Zeit gibt und von denen man im Fernsehen natürlich nichts erfährt. Verstehen Sie jetzt?" Immer schriller wurde ihr Tonfall, fast grell vor Verzweiflung. „Dann würden wir Bescheid wissen; wenn Sie dorthin unter dem Einfluß einer antihalluzinogenen Droge hingehen, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen..."

„Und meine Karriere im öffentlichen Dienst dürfte damit beendet sein. Von meinem Leben ganz zu schweigen." Er hatte laut gedacht und blickte sie jetzt forschend an.

„Sie schulden uns etwas", schnappte Tanya Lee mit bleichem Gesicht. „Wenn ich Ihnen nicht verraten hätte, welche Prüfungsarbeit Sie auswählen müssen, dann hätten Sie die falsche genommen und auch so Ihre Karriere beendet. Und Sie hätten versagt - versagt bei einem Test, von dem Sie nicht einmal wußten, daß Sie ihm unterzogen wurden!"

„Ich hatte eine Chance von fünfzig zu fünfzig", erinnerte er sanft.

„Nein." Sie schüttelte den Kopf. „Der häretische Text ist mit einem Haufen Parteijargon versehen; sie haben die Arbeiten absichtlich so konstruiert, daß Sie der Falle nicht entgehen konnten. Sie wollten, daß Sie den falschen nehmen."

Erneut überflog er die beiden Arbeiten, und erneut war er verwirrt. Hatte sie recht? Möglich. Wahrscheinlich. Was sie sagte, klang wahr, vor allem, da er die Parteifunktionäre und insbesondere Tso-pin, seinen Vorgesetzten, nur zu gut kannte. Er fühlte sich erschöpft. Betäubt. Nach einer Weile sagte er zu dem Mädchen: „Sie verlangen also von mir eine Gegenleistung. Sie haben etwas für mich getan - haben oder geben es zumindest vor, mir die richtige Antwort für diese Parteiprüfung gegeben. Aber damit liegen jetzt alle Vorteile bei mir. Was hindert mich also daran, Sie am Kragen zu packen und hinauszuwerfen? Ich denke überhaupt nicht daran, irgendeinen gottverdammten Auftrag für Sie zu erfüllen." Seine Stimme, stellte er fest, klang tonlos, bar jeder emotionalen Anteilnahme, genau wie alle anderen Stimmen, die in den Parteizirkeln Geltung besaßen.

„Es wird weitere Prüfungen geben", eröffnete ihm Miss Lee, „vor jeder Beförderung erwartet Sie ein neuer Test. Und auch diese werden wir für Sie ausspionieren." Mit einem Mal war sie vollkommen ruhig; offensichtlich hatte sie seine Reaktion erwartet.

„Wie lange geben Sie mir Zeit, darüber nachzudenken?" fragte er.

„Ich muß jetzt gehen. Aber übereilen Sie nichts; Sie werden mit Sicherheit nicht schon in der nächsten Woche oder im nächsten Monat zu der Villa des Führers am Gelben Fluß eingeladen werden." Sie näherte sich der Tür, öffnete sie und verharrte. „Sobald man Ihnen neue getarnte Prüfungen auferlegt, werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen. Und die Antworten liefern - bei diesen Gelegenheiten werden Sie dann einige andere von uns zu sehen bekommen. Vermutlich sehen wir uns so bald nicht wieder; ich schätze, dieser kriegsversehrte Veteran wird Ihnen die richtigen Antworten verkaufen, wenn Sie das Ministeriumsgebäude verlassen." Sie lächelte kurz. „Aber irgendwann in nächster Zeit, und da gibt es keinen Zweifel, erhalten Sie eine präch tige, offizielle, sehr formelle Einladung in die Villa, und wenn Sie dorthin gehen, werden Sie bis zum Kragen mit Stelazin präpariert sein... vermutlich mit der letzten Dosis unseres schwindenden Vorrats. Gute Nacht." Sie schloß hinter sich die Tür und war fort.

Mein Gott, dachte er. Jetzt können sie mich erpressen. Wegen dem, was ich getan habe. Und sie hat es nicht einmal für wert gefunden, das zu erwähnen; angesichts der Absichten, die sie verfolgten, war es auch völlig unnötig, dies besonders zu erwähnen.

Aber womit konnten sie ihn erpressen? Er hatte den beiden Gepol-Beamten doch bereits mitgeteilt, daß man ihm eine Droge verkauft hatte, die aus Phenothiazin bestand. Dann wissen sie Bescheid, erkannte er. Sie werden mich beobachten, werden mißtrauisch sein. Faktisch gesehen habe ich kein Gesetz gebrochen, aber - sie werden mich trotzdem beobachten.

Andererseits wurde man immer beobachtet. Allmählich entspannte er sich bei dem Gedanken. Im Laufe der Jahre hatte er sich, wie jeder andere, an diesen Zustand gewöhnt.

Ich werde den Absoluten Wohltater des Volkes sehen, wie er wirklich ist, sagte er sich. Was vermutlich bisher noch niemandem gelungen ist. Was mag er wohl sein? Welche der Nicht-Halluzinationen trifft zu? Vielleicht sehe ich auch etwas völlig anderes... etwas, das mich überwältigen wird. Wie soll ich weiterleben, wie meine Pflicht erfüllen, wenn er wirklich der Gestalt gleicht, die ich auf dem Bildschirm gesehen habe? Was ist er - der Zerstörer, der Klapperer, der Vogel, die Kletterröhre, oder noch etwas Schlimmeres?

Er fragte sich, wie wohl die anderen Bilder auf ihn wirken mochten... und dann hörte er auf zu spekulieren; es hatte keinen Sinn. Und es ängstigte ihn.

Am nächsten Morgen erwarteten ihn Mr. Tso-pin und Mr.

Darius Pethel in seinem Büro; beide wirkten ruhig, konnten aber ihre Spannung nicht verhehlen. Wortlos händigte er ihnen eine der beiden „Prüfungsarbeiten" aus. Die orthodoxe, die jenes kurze und herzzerreißende arabische Gedicht enthielt.

„Dies", begann Chien mit fester Stimme, „ist die Arbeit eines überzeugten Parteimitglieds oder eines Kandidaten, der um seine Aufnahme in die Partei ersucht hat. Das jedoch..." Er wedelte mit den übrigen Unterlagen. „Reaktionäres Gewäsch." Zorn erfüllte ihn. „Trotz der oberflächlichen..."

„Schon gut, Mr. Chien", unterbrach Pethel und nickte beifällig. „Es ist nicht nötig, jede Einzelheit genau zu analysieren. Ihre Beurteilung ist richtig. Sie haben gestern abend in der Fernsehrede des Führers gehört, daß er Ihren Namen erwähnt hat?"

„Ja, natürlich", versicherte Chien.

„Also haben Sie auch zweifellos erkannt", fuhr Pethel fort, „daß von den Dingen, die wir hier vorbereiten, sehr viel abhängt. Der Führer hat ein Auge auf Sie geworfen; das dürfte klar sein. Und um es genau zu sagen, er hat sich mit mir hinsichtlich Ihrer Person in Verbindung gesetzt." Er öffnete seine prallgefüllte Aktentasche und suchte darin herum. „Offenbar habe ich das gottverdammte Ding verloren. Nun, jedenfalls..." Er blickte Tso-pin an, der mit einem knappen Nicken antwortete. „Seine Hoheit wünscht, daß Sie am nächsten Donnerstag zu ihm auf die Jangtse-Ranch kommen und mit ihm zu Abend essen. Insbesondere würde es Mrs. Fletcher freuen..."

„Mrs. Fletcher?" unterbrach Chien. „Wer ist diese ,Mrs. Fletcher'?"

Nach einer Pause erklärte Tso-pin trocken: „Die Frau des Absoluten Wohltäters. Sein Name - den Sie natürlich noch nie gehört haben - lautet Thomas Fletcher."

„Er ist ein Weißer", bestätigte Pethel. „Ursprünglich war er