Er holte tief Atem und glitt dann hinaus auf den grauen, zerwühlten Boden. Einige Sekunden später entzündete er eine Zigarette und sah sich aufmerksam um. Die Landschaft war tot. Nichts rührte sich. Meilen entfernt konnte er nur endlose Asche- und Schlackefelder erkennen, hier und da die Ruinen von Gebäuden. Und ein paar Bäume, ohne Blätter oder Äste, nur die kahlen Stämme. Über ihm die ewig eilend im Wind dahinziehenden grauen Wolkenfetzen, die sich zwischen Erde und Sonne schoben und für einen dauernden Wechsel des ohnehin kalten Lichtes sorgten.
Major Hendricks setzte sich in Marsch. Zu seiner Rechten rannte etwas, etwas Rundes und Metallisches. Eine Klaue, die geifernd etwas verfolgte. Vielleicht ein kleines Tier, eine Ratte. Sie jagten auch Ratten. Doch dies war nur eine Nebenbeschäftigung, vielleicht Zeitvertreib.
Er erreichte den Kamm des kleinen Hügels und hob sein Fernglas. Die russischen Linien befanden sich einige Meilen vor ihm. Sie hatten dort einen Vorposten eingerichtet. Der Kurier war von dort gekommen.
Ein untersetzter Roboter mit kreisenden Armen schob sich an ihm vorbei, tastete suchend hin und her. Der Roboter setzte seinen Weg fort und verschwand hinter einigen Trümmern. Hendricks blickte ihm nach. Diesen Typ hatte er nie zuvor gesehen. Es tauchten immer mehr Typen auf, die ihm völlig neu waren, neue Varianten und Formen, die von den unterirdischen Fabriken produziert wurden.
Hendricks zertrat seine Zigarette und eilte weiter. Die Verwendung von künstlichen Wesen in der Kriegführung war ein interessantes Thema. Wann hatte man damit begonnen? Es war ein zwangsläufiger Prozeß gewesen. Nach Ausbruch des Krieges hatte die Sowjetunion große Anfangserfolge erzielt. Der Großteil Nordamerikas war von der Landkarte ausradiert worden. Natürlich hatte man sofort Vergeltung geübt. Der Himmel war voller kreisender Scheibenbomber gewesen, schon lange vor Ausbruch des Krieges; jahrelang hatten sie dort oben gewartet. Die Scheiben verwüsteten binnen Stunden ganz Rußland, nachdem es Washington erwischt hatte.
Doch dies hatte Washington auch nicht mehr geholfen.
Die Regierungen des Amerikanischen Blocks waren schon im ersten Jahr zur Mondbasis geflohen. Etwas anderes war ihnen nicht übriggeblieben. Europa war verschwunden, ein Schlackenhaufen voller Unkraut, das auf der Asche und den Knochen wuchs. Der Großteil Nordamerikas war verseucht; nichts konnte mehr angebaut werden, niemand konnte dort leben. Einige Millionen Menschen hatten in Kanada und unten in Südamerika überlebt. Aber während des zweiten Jahres begannen sowjetische Fallschirmspringer vom Himmel zu fallen, zunächst nur einige, dann immer mehr. Sie trugen die ersten wirklich effektiven Anti-Strahlen-Ausrüstungen; was von Amerika verblieben war, wurde hinauf zum Mond geschafft.
Alles, bis auf die Truppen. Die restlichen Truppen hielten aus, so gut sie konnten, ein paar tausend hier, ein Zug dort. Niemand wußte genau, wo sie sich befanden; sie lagerten, wo es möglich war, zogen während der Nacht weiter, versteckten sich in den Ruinen, in Abwasserkanälen, Kellern, bei Ratten und Schlangen. Es schien, als hätte die Sowjetunion den Krieg gewonnen. Bis auf eine Handvoll Raketen, die täglich vom Mond abgeschossen wurden, gab es kaum noch Waffen, die gegen sie eingesetzt werden konnten. Sie kamen und gingen, wie es ihnen beliebte. Der Krieg war, allen praktischen Erwägungen nach, zu Ende. Nichts Wirksames stellte sich ihnen entgegen.
Und dann erschienen die ersten Klauen. Und über Nacht veränderte sich der Charakter des Krieges.
Am Anfang waren die Klauen unbeholfen. Langsam. Die Iwans zerstörten sie fast so schnell, wie sie aus ihren unterirdischen Tunnels herauskrochen. Aber dann wurden sie besser, schneller und schlauer. Sie wurden in Fabriken erbaut, die auf der Erde zurückgeblieben waren. Fabriken, die tief unter der Erdoberfläche lagen, hinter den sowjetischen Linien. Fabriken, die einst Atomraketen produziert hatten und die fast vergessen gewesen waren.
Die Klauen wurden schneller und sie wurden größer. Neue Typen tauchten auf, einige mit Fühlern, einige, die fliegen konnten. Es gab springende Arten und zahllose andere Varianten. Die besten Techniker auf dem Mond arbeiteten an ihrer Entwicklung, machten sie immer komplizierter, immer flexibler. Sie wurden perfekt; und die Iwans bekamen einen Haufen Ärger mit ihnen. Einige der kleinen Klauen lernten sich zu verstecken, sich in die Asche hineinzugraben und lauernd dazuliegen.
Und dann begannen sie, in die russischen Bunker einzudringen, hineinzugleiten, wenn die Luken geöffnet wurden, um zu lüften oder um einen Blick nach draußen zu werfen. Eine Klaue im Innern eines Bunkers genügte, eine wirbelnde Kugel aus Klingen und Metall - mehr war nicht nötig. Und wenn eine hineingelangte, folgten andere. Mit solch einer Waffe würde der Krieg nicht mehr lange dauern.
Vielleicht war er bereits vorbei.
Vielleicht war er auf dem Weg, um diese Neuigkeit zu erfahren. Vielleicht hatte das Politbüro entschieden, in den sauren Apfel zu beißen. Schlimm, daß es so lange gedauert hatte. Sechs Jahre. Eine lange Zeit für einen Krieg dieser Art, wenn man bedachte, wie er geführt worden war. Die automatischen Vergeltungsscheiben, die sich auf ganz Rußland hinunterschraubten, Hunderte und Tausende an der Zahl. Die Bakterienkristalle. Die ferngelenkten Raketen, die durch die Luft pfiffen. Die Kettenbomben. Und jetzt das, die Roboter, die Klauen...
Die Klauen waren nicht wie andere Waffen. Sie lebten, betrachtete man es von einem praktischen Standpunkt aus, ob die Regierungen es nun eingestehen wollten oder nicht. Sie waren keine Maschinen. Sie waren lebende Wesen, die kreisten und krochen und plötzlich aus der grauen Asche emporsprangen und sich auf einen Menschen warfen, an ihm hinaufkletterten und nach seiner Kehle griffen. Und dafür waren sie auch erschaffen worden. Das war ihre Aufgabe.
Sie erfüllten ihre Aufgabe ausgezeichnet. Vor allem später, als die Neuentwicklungen auftauchten. Jetzt konnten sie sich selbst reparieren. Sie waren ihr eigener Herr. Strahlungsplaketten beschützten die UN-Truppen, aber wenn ein Mann seine Plakette verlor, war er Freiwild für die Klauen, gleichgültig, welche Uniform er trug. Tief unter der Erdoberfläche bauten automatische Maschinen sie zusammen. Menschliche Wesen wagten sich dort nicht hinein. Es war zu riskant; niemand wollte in ihrer Nähe sein. Sie waren sich selbst überlassen. Und sie schienen ausgezeichnet zu funktionieren. Die neuen Entwicklungen waren schneller, komplexer. Effizienter. Offenbar hatten sie den Krieg gewonnen.
Major Hendricks setzte eine zweite Zigarette in Brand. Die Landschaft deprimierte ihn. Nichts als Asche und Ruinen. Er schien allein zu sein, das einzige lebende Wesen auf der ganzen Welt. Rechts von ihm ragten die Ruinen einer Stadt empor, ein paar Mauern und Schlackehaufen. Er schleuderte das erloschene Streichholz davon und beschleunigte seine Schritte. Plötzlich hielt er inne, riß sein Gewehr hoch, und sein Körper spannte sich. Einen Augenblick schien es, als ob...
Hinter den Überresten eines zerstörten Gebäudes schob sich eine Gestalt hervor, die langsam auf ihn zuging, sich ihm zögernd näherte.
Hendricks blinzelte. „Halt!"
Der Junge blieb stehen. Hendricks senkte sein Gewehr. Der Junge stand schweigend da und sah ihn an. Er war klein, noch nicht sehr alt. Vielleicht acht. Aber es war schwer zu sagen. Die meisten der Kinder, die überlebt hatten, waren zurückgeblieben. Er trug einen zerschlissenen blauen Pullover, der dreckverklebt war, und kurze Hosen. Sein Haar war lang und verfilzt. Braunes Haar. Es hing ihm ins Gesicht und über die Ohren. Er hielt irgend etwas in den Armen.
„Was ist das, was du da hast?" fragte Hendricks scharf.
Der Junge zeigte es ihm. Es war ein Plüschtier, ein Bär. Ein Teddybär. Die Augen des Jungen waren groß, aber ohne Leben.
Hendricks entspannte sich. „Ich will ihn nicht. Behalt ihn."
Der Junge preßte den Bär wieder an sich.
„Wo lebst du?" fragte Hendricks.