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Poole stand nackt vor dem Videoschirm, und mit großer Vorsicht berührte er erneut die Lochstreifenrolle. Ich verstehe, dachte er betäubt. Aber - verstehe ich wirklich? Dieses Gerät...

Wenn ich das Band herausreiße, erkannte er, wird meine Welt verschwinden. Für die anderen existiert dann die Wirklichkeit wie zuvor, aber nicht für mich. Weil meine Realität, mein Universum von diesem winzigen Apparat erzeugt wird. Unendlich langsam läuft der Lochstreifen über den Abtastkopf und speist seine Signale in mein Zentrales Nervensystem ein.

Und dies geschieht schon seit Jahren, erkannte er.

Er griff nach seiner Kleidung, zog sich an, setzte sich in seinen großen Lehnsessel - ein luxuriöses Möbelstück, das er aus dem Hauptbüro von Tri-Plan in sein Apartment geschafft hatte - und entzündete eine Zigarette. Seine Hände bebten, als er das Feuerzeug zur Seite legte, in das seine Initialen eingraviert waren; er lehnte sich zurück und blies graue Rauchkringel in die Luft.

Ich muß sorgfältig nachdenken, sagte er sich. Was will ich eigentlich? Mein Programm umgehen? Aber der Computer hat keinen Programmspeicher entdecken können. Will ich den realitätserzeugenden Lochstreifen verändern? Und wenn ja, warum?

Der Grund ist klar, setzte er seinen Gedankengang fort. Wenn ich den Streifen kontrolliere, dann kontrolliere ich die Realität. Zumindest soweit sie mich betrifft. Meine subjektive Realität... aber mehr habe ich auch nicht. Die objektive Realität ist eine künstliche Schöpfung und besteht aus der hypothetischen Verallgemeinerung von zahllosen subjektiven Realitäten.

Mein Universum liegt in meinen Händen, erkannte er. Wenn ich nur herausfinden könnte, wie das verdammte Ding funktioniert. Ursprünglich wollte ich nur meinen Programmspeicher suchen, um dem wahren homöosthatischen Zustand näherzukommen und mich selbst zu kontrollieren. Aber jetzt...

Jetzt konnte er nicht nur die Kontrolle über sich, sondern über alles erlangen.

Und das unterscheidet mich von jedem Menschen, der jemals gelebt hat und gestorben ist, dachte er düster.

Er ging zum Videofon hinüber und wählte die Nummer seines Büros. Als Dancemann auf dem Bildschirm erschien, erklärte er knapp: „Ich möchte, daß Sie mir einen vollständigen Satz Mikrowerkzeuge und einen Vergrößerer in mein Apartment schicken. Ich muß an einigen Mikroschaltkreisen arbeiten." Dann brach er die Verbindung ab, um nicht in eine Diskussion verwickelt zu werden.

Eine halbe Stunde später klopfte es an der Tür. Als er öffnete, stand er einem Vorarbeiter aus dem Lager gegenüber, der mehrere Taschen mit Mikrowerkzeugen aller Art schleppte.

„Sie haben nicht genau angegeben, was Sie brauchen", sagte der Vorarbeiter und betrat das Apartment. „Deshalb hat Mr. Dancemann mich angewiesen, Ihnen alles mitzubringen."

„Und der Vergrößerer?"

„Im Schweber oben auf dem Dach."

Vielleicht, dachte Poole, will ich nur sterben. Er setzte eine Zigarette in Brand und rauchte und wartete, bis der Vorarbeiter den schweren Vergrößerungsschirm samt der Stromzuführung und Kontrollschaltung in das Apartment brachte. Das ist reiner Selbstmord, was ich plane, durchfuhr es Poole. Ihm schauderte.

„Irgend etwas nicht in Ordnung, Mr. Poole?" fragte der Lagerarbeiter, während er sich aufrichtete, endlich befreit von der Last des Vergrößerungsschirms. „Ich kann mir vorstellen, daß Sie nach Ihrem Unfall noch ein wenig wacklig auf den Beinen sind."

„Ja", stimmte Poole kurzangebunden zu. Ungeduldig wartete er, bis der Vorarbeiter das Apartment verließ.

Unter dem Vergrößerungsschirm nahm der Plastikstreifen neue Dimensionen an: Er war jetzt ein breites Band, in das Hunderttausende winziger Löcher gestanzt waren. Dachte ich's mir doch, durchfuhr es Poole. Also tatsächlich keine Ferrooxidbeschichtung, die elektromagnetisch mit Informationen versehen wird, sondern ein Lochstreifen.

Durch den Vergrößerer wurde deutlich, daß sich das Band vorwärts bewegte. Zwar sehr langsam, doch es bewegte sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit über den Abtastkopf hinweg.

Wie ich es mir vorgestellt hatte, dachte er, stellen die Löcher Signalgeber dar. Es funktioniert wie bei einem elektri schen Klavier: stößt der Abtastkopf auf das Band, bedeutet das nein, stößt er auf ein Loch, bedeutet das ja. Wie kann ich das überprüfen?

Vermutlich nur so, indem er einen Teil der Löcher ausfüllte.

Er maß, wieviel Band noch auf der Spule war, errechnete -unter großen Mühen - die Geschwindigkeit des Bandlaufs und kam so zu einem Ergebnis. Wenn er das Band an der Stelle veränderte, an dem es sich über den Abtastkopf zu schieben begann, würden fünf bis sieben Stunden vergehen, bis sich die Manipulation bemerkbar machte. Also würde er dadurch Stimuli ausschalten, die in einigen Stunden wirksam werden sollten.

Mit einem Mikropinsel übermalte er einen großen - einen relativ großen - Teil des Bandes mit einem undurchsichtigen Lack... den er zwischen den Mikrowerkzeugen in den Taschen gefunden hatte.

Für ungefähr eine halbe Stunde, überlegte er, habe ich die Stimuli gelöscht und schätzungsweise tausend Punkte überdeckt.

Es würde sehr interessant werden, festzustellen, welche Veränderungen - falls überhaupt - sich in etwa sechs Stunden für ihn ergaben.

Fünfeinhalb Stunden später saß er zusammen mit Dancemann bei Krackter's, einer ausgezeichneten Bar in Manhattan, und beide hatten einen Drink vor sich stehen.

„Sie sehen schlecht aus", bemerkte Dancemann.

„Mir geht es auch schlecht", bestätigte Poole. Er leerte sein Glas und bestellte neuen Scotch.

„Wegen dem Unfall?"

„In gewissem Sinne, ja."

„Hat es..." begann Dancemann, „hat es damit zu tun, daß Sie etwas über sich herausgefunden haben?"

Poole hob den Kopf und sah sein Gegenüber an, das in dem gedämpften Licht, das in der Bar herrschte, nur undeutlich zu erkennen war. „Dann haben Sie es gewußt?"

„Ich wußte", sagte Dancemann, „daß ich Sie an sich ,Poole' statt ,Mr. Poole' nennen müßte. Aber ich ziehe das letztere vor, und ich werde auch in Zukunft daran festhalten."

„Wie lange wußten Sie schon Bescheid?"

„Seit Sie die Firma übernommen haben. Man hat mir gesagt, daß die wirklichen Besitzer von Tri-Plan, die im Prox-System ansässig sind, es vorziehen, Tri-Plan durch eine elektrische Ameise leiten zu lassen, um so die volle Kontrolle zu behalten. Ihnen ging es um einen brillanten und tatkräftigen... "

„Die wirklichen Besitzer?" Zum erstenmal hörte er etwas in dieser Richtung. „Wir haben zweihunderttausend Aktionäre."

„Marvis Bey und ihr Mann Ernan auf Prox-4 kontrollieren einundfünfzig Prozent des Stimmkapitals. So war es schon bei Gründung der Firma gewesen."

„Warum wußte ich davon nichts?"

„Man hat mich angewiesen, Ihnen nichts davon zu sagen. Man wollte, daß Sie glauben, Sie würden die Unternehmenspolitik bestimmen. Mit meiner Unterstützung. Aber in Wirklichkeit habe ich Sie nur mit dem gefüttert, mit dem mich die Bey‘s gefüttert haben."

„Ich bin ein Strohmann", erkannte Poole.

„In gewisser Hinsicht, ja", nickte Dancemann. „Aber trotzdem sind Sie für mich noch immer ,Mr. Poole'."

Ein Teil der gegenüberliegenden Wand verschwand. Und gleichzeitig auch eine Anzahl Menschen, die an den Nebentischen gesessen hatten. Und...

Hinter der großen verglasten Vorderfront der Bar flackerte die Silhouette von New York und verschwand.