Nachdem Swanson einen einzigen, unartikulierten Laut ausgestoßen hatte, ging er zum Schreibtisch hinüber, setzte sich und starrte die Wand an. Burckhardt kauerte noch immer neben der zerstörten Puppe auf dem Boden.
»Es - tut mir leid, daß das alles geschehen ist«, sagte das Mädchen. Die schönen Lippen verzerrten sich zu einem krampfhaften, spöttischen Lächeln, das beängstigend auf dem jungen glatten Gesicht wirkte, bis sie ihren Mund wieder unter Kontrolle hatte. »Es tut mir leid. Die Kugel hat mitten ins Nervenzentrum getroffen. Dadurch fallt es mir schwer - diesen Körper zu beherrschen.«
Burckhardt nickte automatisch und akzeptierte die Entschuldigung.
Roboter. Es war so offensichtlich - jetzt, wo er es wußte. Wenn er jetzt zurückblickte, hatte es von Anfang an gar keine andere Möglichkeit gegeben. Und er hatte an irgendeine mystische Hypnose gedacht, an Marsmenschen oder andere Fremdlinge. Idiotisch, denn die Robotertheorie paßte viel besser ins Bild.
Er hatte die Beweise ständig vor Augen gehabt. Die automatisierte Fabrik mit ihren transplantierten Gehirnen - warum sollte man ein solches Gehirn nicht auch in einen humanoiden Roboter verpflanzen und dem Automaten die Gesichtszüge und die Gestalt des ursprünglichen Eigentümers geben?
Aber könnte ein solches Geschöpf wissen, daß es ein Roboter war?
»Wir alle«, sagte Burckhardt und merkte kaum, daß er seine Gedanken in Worte faßte. »Meine Frau und meine Sekretärin und Sie und die Nachbarn. Wir sind alle gleich.«
»Nein.« Nun klang ihre Stimme energischer. »Wir sind nicht gleich. Ich habe Sie ausgesucht, verstehen Sie? Ich.« Diesmal waren die verzerrten Lippen kein zufälliges Produkt des zerstörten Nervenapparats. »Ich war eine häßliche Frau, Mr. Burckhardt, und schon fast sechzig Jahre alt. Das Leben war an mir vorbeigegangen. Und als mir Mr. Dorchin die Gelegenheit bot, noch einmal zu leben, als schönes Mädchen, war ich sofort einverstanden. Ich nutzte diese Chance, trotz aller Nachteile, die damit verbunden waren. Mein natürlicher Körper ist immer noch am Leben - er schläft, während ich hier bin. Ich könnte in diesen Körper zurückkehren - aber das werde ich niemals tun.«
»Und wir?«
»Sie sind ganz anders, Mr. Burckhardt. Ich arbeite hier, befolge Mr. Dorchins Befehle, katalogisiere die Testergebnisse, beobachte die anderen, während sie das Leben führen, das er ihnen zugedacht hat. Ich mache das freiwillig, aber Sie haben keine Wahl. Weil Sie tot sind.«
»Tot?« schrie Burckhardt.
Die blauen Augen sahen ihn an, ohne zu blinzeln, und er wußte, daß es keine Lüge war. Er schluckte, wunderte sich über den komplizierten Mechanismus, der ihn schlucken und schwitzen und essen ließ.
»Oh - die Explosion in meinem Traum«, sagte er.
»Das war kein Traum. Die Explosion hat tatsächlich stattgefunden - hier in der Fabrik. Die Lagertanks gingen in die Luft, und wer die Explosion überlebte, starb kurz darauf in den Flammen. Fast alle starben - einundzwanzigtausend Menschen. Sie starben mit ihnen, und das war Dorchins Chance.«
»Dieses verdammte Monstrum!« sagte Burckhardt.
Die verkrümmten Schultern zuckten mit seltsamer Anmut. »Warum? Sie waren tot, Mr. Burckhardt. Und Sie und all die anderen waren genau das, was Dorchin brauchte - eine ganze Stadt, ein perfektes Stück Amerika. Einem toten Gehirn kann man ebenso leicht Denkprozesse entnehmen wie einem lebenden. Bei Toten ist es sogar noch einfacher - sie können nicht mehr nein sagen. Oh, es kostete natürlich viel Zeit und Geld. Die Stadt war ein Trümmerhaufen, aber es war möglich, sie vollständig wieder aufzubauen, vor allem, weil es nicht nötig war, die Einzelteile exakt nachzubilden. Da waren die Häuser der Menschen, deren Gehirne völlig zerstört worden waren. Die sind innen leer - und brauchten nicht vollkommen zu sein, und bei gewissen Dingen mußte man sich auch nicht allzusehr anstrengen. Die Stadt kann nur einen Tag lang bestehen - den ganzen 15 Juni, und das immer wieder. Wenn jemand merkt, daß irgend etwas nicht stimmt, würde die Zeit nicht ausreichen, um diese kleine Entdeckung zur Lawine anwachsen zu lassen, die den Test stören würde, denn alle Fehler werden jeweils um Mitternacht ausgemerzt.«
Das Gesicht versuchte zu lächeln. »Dieser 15. Juni ist ein Traum, Mr. Burckhardt, denn Sie haben ihn niemals wirklich erlebt. Er ist ein Geschenk von Mr. Dorchin, ein Traum, den er Ihnen schenkt und den er Ihnen am Ende des Tages wieder wegnimmt, wenn er alle Daten darüber hat, wie viele von Ihnen aufweiche Variation welcher Anreize ansprechen. Die Instandhaltungs-Crew geht regelmäßig durch den Tunnel, um die ganze Stadt zu kontrollieren und den Traum mit ihren kleinen Elektronenrohren herauszusaugen, wenn er zu Ende geträumt ist, und ihn noch einmal von vorn ablaufen zu lassen. Am 15. Juni. Es ist immer der 15. Juni, denn der 14. ist der letzte Tag, an den Sie sich alle erinnern können. Manchmal geht der Crew der eine oder der andere Roboter durch die Lappen - so wie Sie, als Sie unter Ihrem Boot hockten. Aber das spielt keine Rolle. Die Roboter, die übersehen wurden, verraten sich selbst, und wenn sie das nicht tun, wird der Test nicht beeinflußt. Die Leute, die für Dorchin arbeiten, werden nicht ständig mit dem gleichen Traum gefüttert. Wir schlafen ein, wenn unsere Energiezufuhr gestoppt wird, und wenn wir erwachen, erinnern wir uns an alles.«
»Und das alles, um Waren zu verkaufen!« sagte Burckhardt. »Das muß doch Millionen gekostet haben.«
»Ja«, bestätigte der Roboter namens April Horn. »Aber es hat Dorchin auch Millionen eingebracht. Und das ist noch nicht das Ende. Wenn er ein Mittel gefunden hat, um die Leute zu manipulieren - glauben Sie, daß er sich damit zufriedengeben wird? Glauben Sie.«
Sie brach ab, als die Tür aufging, und Burckhardt wirbelte herum, erinnerte sich zu spät an Dorchins Flucht, während er nach dem Revolver griff.
»Schießen Sie nicht!« befahl eine ruhige Stimme. Es war nicht Dorchin. Es war ein anderer Roboter, der sich nicht hinter Plastik und raffinierter Kosmetik versteckte, sondern seltsam glänzte. Und er sagte mit metallischer Stimme: »Lassen Sie das, Burckhardt. Sie werden nichts damit erreichen. Geben Sie mir den Revolver, bevor Sie noch mehr Schaden anrichten! Geben Sie ihn mir sofort!«
Burckhardt schrie wütend auf. Der Körper des Roboters war aus Stahl, und Burckhardt war sich nicht sicher, ob eine Kugel durch die Oberfläche dringen oder den Automaten überhaupt verletzen konnte. Er würde es ausprobieren müssen.
Aber da raste hinter ihm ein wimmernder Wirbelwind namens Swanson heran, hysterisch vor Angst, stieß gegen Burckhardt, warf ihn zu Boden, und die Waffe fiel ihm aus der Hand.
»Bitte!« flehte Swanson und stand geduckt vor dem stählernen Roboter. »Er hätte Sie erschossen - bitte, tun Sie mir nichts! Erlauben Sie mir, für Sie zu arbeiten - wie dieses Mädchen. Ich werde alles machen, was Sie wollen.«
»Wir brauchen Ihre Hilfe nicht«, entgegnete die Roboterstimme. Die Gestalt machte zwei gemessene Schritte, blieb vor der Waffe stehen und versetzte ihr einen Fußtritt.
Der ruinierte blonde Roboter sagte emotionslos: »Ich bezweifle, daß ich noch lange durchhalten werde, Mr. Dorchin.«
»Dann schalten Sie sich aus«, erwiderte der Stahlroboter unbewegt.
Burckhardt blinzelte. »Aber Sie sind doch nicht Dorchin!«
Die stählerne Gestalt richtete ihre unergründlichen Augen auf ihn. »Doch. Ich bin allerdings nicht Dorchin in Fleisch und Blut. Dies ist der Körper, den ich zur Zeit benutze. Ich nehme nicht an, daß Sie ihn mit dieser Waffe verletzen können. Der andere Roboterkörper war verwundbarer. Werden Sie jetzt mit diesem Unsinn aufhören? Ich möchte Sie nicht vernichten. Dazu sind Sie zu teuer. Werden Sie sich jetzt hinsetzen und es dem Instandhaltungs-Team gestatten, Sie zu regulieren?«
»Sie - Sie werden uns nicht bestrafen?« fragte Swanson unterwürfig.
Das Stahlgesicht zeigte keinen Ausdruck, aber die Stimme klang fast überrascht. »Bestrafen? Wie sollte ich Sie denn bestrafen?«