Es war wirklich idyllisch. Danach lebten sie glücklich vor sich hin, bis sie beschlossen, sich nicht mehr anzustrengen und zu sterben.
Natürlich hatten sie sich nie wiedergesehen.
Oh, ich sehe euch jetzt vor mir, ihr Holzkohlensteakfresser, wie ihr mit einer Hand an einem im Anfangsstadium entzündeten Fußballen kratzt und mit der anderen dieses Buch festhaltet, während die Stereoanlage plärrt.
Ihr glaubt kein Wort von dieser Geschichte, was? Keine Minute lang.
Kein Mensch würde so leben wollen, sagt ihr mit einem ärgerlichen und keineswegs belustigten Grunzen, während ihr neue Eiswürfel in eure schalen Drinks werft.
Trotzdem eilt Dora durch die roten Transportröhren zu ihrem Unterwasserheim zurück (sie fühlt sich wohl dort, denn sie hat sich somatisch so verändert, daß sie Wasser atmen kann). Wenn ich Ihnen jetzt erzähle, welch süße Erfüllung sie findet, wenn sie Dons aufgezeichnete Analoga in den Symbolmanipulator steckt, wenn sie sich selbst darin festklemmt und sich einschaltet. Wenn ich Ihnen irgend etwas davon berichte, werden Sie nur die Augen aufreißen. Oder Sie werden murmeln: »Was soll denn das für ein Liebesakt sein, zum Teufel?« Und doch kann ich Ihnen versichern, lieber Freund, daß DDras Ekstasen ebenso leidenschaftlich sind wie die Abenteuer der James Bond-Gespielinnen und sogar noch viel schöner als alles, was Sie in Ihrem »wirklichen Leben« genießen können. Reißen Sie nur die Augen auf, murmeln Sie nur! Wenn Dora an Sie denkt, an ihren Dreißig-mal-Urururgroßvater, kann sie diesen primitiven Rohling nur verachten. Ja, das sind Sie. Dora ist weiter von Ihnen entfernt als Sie vom Australopithekus, der vor fünf Jahrtausenden gelebt hat. Sie könnten keine Sekunde lang in Doras starkem Existenzstrom schwimmen. Und Sie glauben doch nicht etwa, der Fortschritt würde sich in einer geraden Linie voranbewegen? Erkennen Sie, daß dies eine ansteigende, beschleunigende, vielleicht sogar exponentionale Kurve ist. Sie braucht ihre Zeit, um sich in Bewegung zu setzen, aber dann explodiert sie wie eine Bombe. Und ihr - ihr Scotchsäufer und Steakfresser, die ihr in euren Fernsehsesseln hockt, ihr habt gerade erst die Zündschnur dieser Bombe gefunden. Was haben wir denn jetzt -den sechs- oder siebenhunderttausendsten Tag nach Christus?
Dora lebt am millionsten Tag. In tausend Jahren. Ihre Körperfette sind polyungesättigt. Ihre Ausscheidungsprodukte werden aus dem Blutkreislauf hämodialysiert, während sie schläft. Das bedeutet, daß sie niemals auf die Toilette gehen muß. Um sich eine langweilige halbe Stunde zu vertreiben, kann sie mehr Energie verschwenden, als ganz Portugal am heutigen Tag verbraucht, und sie benutzen, um einen Wochenend-Satelliten zu starten oder einen Mondkrater nachzubilden. Sie liebt Don sehr. Sie hat alle seine Gesten, seine Manierismen, die Berührung seiner Hände, die Erregung des Zusammenseins, die Leidenschaft seiner Küsse in symbolischmathematischer Form gespeichert. Wenn sie sich nach ihm sehnt, braucht sie nur die Maschine anzuschalten, und schon ist er bei ihr.
Und sie ist natürlich auch bei ihm. Wenn Don ein paar Hundert Yards über ihrem Kopf eine Satellitenstadt anfliegt oder den Arcturus umkreist, fünfzig Lichtjahre weit weg, braucht er nur seinen Symbol-Manipulator anzustellen, um Dora aus den FerritAkten zu holen und zum Leben zu wecken. Und dann lieben sie sich die ganze Nacht, leidenschaftlich und unermüdlich. Natürlich nicht körperlich. Aber Dons Fleisch hat sich im Lauf der Jahre stark verändert, und deshalb würde ihm das auch gar keinen Spaß machen. Er braucht kein Fleisch, um sich zu vergnügen. Geschlechtsorgane fühlen nichts, ebensowenig die Hände, die Brüste und Lippen. Sie sind nur Receptoren, die Impulse empfangen und aussenden. Es ist das Gehirn, das fühlt - es ist die Interpretation jener Impulse, die Lust und Orgasmen bewirkt. Und Dons Symbol-Manipulator schenkt ihm die Analoga von Umarmungen und Küssen, von wilden, glühenden Stunden mit dem ewigen, wunderbaren, unzerstörbaren Analogen von Dora. Oder von Diana. Oder von der süßen Rose oder der lachenden Alicia. Denn wir wollen nicht verschweigen, daß die beiden schon vorher mit anderen Leuten Analoga ausgetauscht haben und es immer wieder tun werden.
Verdammt, werden Sie sagen, wenn das nicht verrückt ist. Und Sie mit Ihrer After Shave Lotion, mit Ihrem kleinen roten Auto - Sie, ein Mann, der tagsüber Papiere auf einem Schreibtisch herumschiebt und nachts auf Mädchenjagd geht - was glauben Sie wohl, was Tiglatpileser oder Attila, der Hunnenkönig, von Ihnen halten würde?
Der Vater der Sterne
Norman Marchand saß zwischen den Kulissen der kleinen Bühne im Ballsaal auf einem Lederhocker, den ihm irgend jemand gebracht hatte. Draußen im Saal warteten eintausendfünfhundert Leute, um ihn zu ehren und zu feiern.
Marchand erinnerte sich noch gut an den Ballsaal. Er hatte ihn einst besessen. Vor vierzig Jahren - nein, es waren nicht vierzig, auch nicht fünfzig. Vor sechzig Jahren hatte er mit Joyce in diesem Saal getanzt. Damals war es das allerneueste Hotel der Welt gewesen und Marchand der Jungverheiratete Sohn des Mannes, der es gebaut hatte. Die Hochzeitsparty hatte in diesem Saal stattgefunden. Davon wußten die Leute da draußen natürlich nichts. Aber Marchand erinnerte sich daran. O Joyce, mein Liebling! Aber sie war schon lange tot.
Wie laut sie waren. Er spähte zwischen den Kulissen hindurch und sah, wie sie an dem Tisch Platz nahmen, der auf der Bühne stand. Der Vizepräsident der Vereinigten Staaten schüttelte dem Gouverneur von Ontario die Hand, als hätten sie vergessen, daß sie verschiedenen Parteien angehörten. Da war Linfox vom Institut, der einen Schimpansen höflich zu dem Platz neben dem Stuhl führte, auf dem Marchand sitzen würde - nach den vielen Mikrofonen zu schließen, die davor aufgebaut waren. Linfox schien sich in der Gesellschaft des Schimpansen etwas unbehaglich zu fühlen. Das Tier war zweifellos humanisiert worden, aber die eingepflanzte menschliche Intelligenz hatte die Affenbeine nicht verlängert.
Dann erschien Dan Fleury auf den Stufen, die vom Boden des Ballsaals heraufführten, wo die übrigen Gäste saßen.
Fleury sieht nicht besonders gut aus, dachte Marchand mit einer gewissen Befriedigung, denn Fleury war fünfzehn Jahre jünger als er. Aber Marchand war nicht neidisch. Nicht einmal auf den Hotelpagen, der ihm den Hocker gebracht hatte, einen Zwanzigjährigen, der wie ein Football-Verteidiger gebaut war.
Ein Leben war genug. Besonders, wenn man sich seinen schönsten Wunsch erfüllt hatte. Oder beinahe.
Natürlich hatte er sein gesamtes Erbe dafür opfern müssen. Aber was hätte er denn sonst mit dem Geld machen sollen?
»Es ist soweit, Sir. Darf ich Ihnen helfen?« Es war der FootballVerteidiger, dessen jugendliche Muskeln fast die Uniform sprengten. Das Schönste an diesem Ehrendinner im Marchand-Hotel war die Ehrerbietung, die ihm das Personal entgegenbrachte - als ob ihm das Haus immer noch gehören würde. Aus diesem Grund hatte das Komitee vermutlich dieses Hotel ausgesucht, obwohl es heutzutage etwas seltsam und altmodisch wirkte. Aber damals.
Er riß sich zusammen. »Tut mir leid, junger Mann. Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Vielen Dank.«
Er stand auf, langsam - aber es tat nicht sonderlich weh, wenn man bedachte, daß es ein langer Tag gewesen war. Als der Football-Verteidiger ihn auf die Bühne führte, erhielt er einen donnernden Applaus, der die automatische Lautstärkekontrolle seines Hörgeräts in Gang setzte. Deshalb verpaßte er die ersten Worte Fleurys, die zweifellos sehr schmeichelhaft waren. Vorsichtig ließ er sich auf seinem Stuhl nieder, und als der Beifall verklang, konnte er verstehen, was der Mann sagte.
Dan Fleury war immer noch ein großer Mann, wie ein Faß gebaut, mit buschigen Brauen und einer dichten Haarmähne. Er hatte Marchands verrücktes Projekt, den ersten menschlichen Vorstoß ins All zu wagen, von Anfang an unterstützt. Und davon sprach er jetzt. »Der großartigste Traum der Menschheit!« dröhnte er. »Die Eroberung der Sterne! Und hier ist der Mann, der uns gelehrt hat, diesen Traum zu träumen - Norman Marchand!«