»Was ist denn?«
»Keine Ahnung. Hören Sie, Mr. Ferguson, wir gehen lieber hinaus.«
»Wasch?« Die bellende Stimme kämpfte mit dem Affenkörper, aus dem sie sich mühsam herauspreßte. »Wasch haben Schie gemeint?«
Ein unhöflicher junger Mann, dachte Marchand verärgert. Der Bursche ging ihm auf die Nerven.
Wenn ihn die beharrliche Frage auch irgendwie beeindruckte.
Marchand stöhnte und hatte das Gefühl, er müßte sich übergeben. Es ging vorbei, aber danach zitterte er am ganzen Körper. Es war unmöglich, daß er sich etwas gebrochen hatte. Das hätte Czerny ihm gesagt. Trotzdem.
Er verlor jedes Interesse an dem Schimpansen und wandte nicht einmal den Kopf, als Fleury das Tier aus dem Zimmer scheuchte und dabei aufgeregt mit ihm flüsterte, zirpend wie eine Grille.
Wenn ein Mann seinen gottgegebenen Menschenkörper aufgab und sein Gehirn, seine Gedanken und - ja, auch seine Seele in den Körper eines Anthropoiden verpflanzen ließ, so verdiente er damit keineswegs die besondere Wertschätzung Norman Marchands.
Natürlich nicht! Marchand rief sich die wohlvertrauten Argumente ins Gedächtnis zurück, während er auf den Krankenwagen wartete. Die Männer, die sich freiwillig für interstellare Flüge meldeten, wußten genau, worauf sie sich einließen. Und solange nicht irgendein Superman den mythischen SAL-Treibstoff erfand, würde es immer so sein. Bei den derzeit möglichen Geschwindigkeiten, die unter der Lichtgeschwindigkeit von 186000 Sekundenmeilen lag, brauchte man Jahrzehnte, um all die Planeten zu erreichen, die man kannte und für die sich die Mühe lohnte.
Der Humanisierungsprozeß erlaubte es diesen Männern, ihre Gehirne zu benutzen, um Schimpansenkörper zu kontrollieren, die leicht zu züchten und enorm widerstandsfähig waren. Die Menschenkörper lagen während der langen Reise in Tiefkühltruhen.
Das waren selbstverständlich sehr tapfere Männer, die ein Recht auf Höflichkeit und Rücksichtnahme hatten.
Aber dieses Recht hatte er auch, und es war ganz einfach unhöflich, von »Eschael« zu quatschen, was immer das sein mochte, während der Mann, der die interstellaren Flüge ermöglicht hatte, ernsthaft verletzt war.
Es sei denn.
Marchand schlug wieder die Augen auf.
Eschael. Es sei denn, Eschael war jener Ausdruck, den Schimpansenstimmbänder und Schimpansenlippen produzieren konnten, wenn ihnen das menschliche Gehirn befahl, das Zauberwort zu sagen. Es sei denn, sie hätten während seiner Bewußtlosigkeit von jenem völlig unmöglichen, hoffnungslosen, phantastischen Traum gesprochen, dem er, Marchand, den Rücken gekehrt hatte, als er die Kolonisationskampagne zu organisieren begann.
Es sei denn, jemand hätte tatsächlich einen Weg gefunden, den Traum von der SAL-Fahrt zu verwirklichen.
Sobald er sich am nächsten Tag kräftig genug fühlte, um aufzustehen, setzte sich Marchand in einen Rollstuhl - ganz allein, denn dabei wollte er sich nicht helfen lassen - und fuhr in den Kartenraum des Hauses, das ihm das Institut mietfrei zur Verfügung stellte, bis zu seinem Lebensende. (Zuerst hatte er es natürlich dem Institut geschenkt.)
Das Institut hatte dreihunderttausend Dollar in den Kartenraum gesteckt. Sterne an Sprossen und Spanndrähten füllten einen Saal, der vierzig Fuß im Quadrat maß, und stellten das All dar, im Umkreis von fünfundfünfzig Lichtjahren von der Sonne aus gemessen. Jeder Stern war mit einem Schildchen versehen und zusätzlich in einer Kartei verzeichnet. Vor einem Jahr hatte man ein paar Sterne sogar leicht bewegt, um ihre Position zu korrigieren, so daß sie ihren Pendants im All entsprachen, die ihre Stellung in letzter Zeit verändert hatten. Das alles war sehr sorgfältig gemacht.
Auch die sechsundzwanzig großen Sternenschiffe, die das Institut finanziert hatte, waren zu sehen. Ihre Größe stimmte natürlich nicht mit dem Maßstab der Sternendarstellung überein, aber Marchand verstand, was sie repräsentieren sollten. Er rollte seinen Stuhl über den markierten Weg zum Zentrum des Raumes, und dann saß er direkt unter der gelben Sonne und blickte sich um.
Der blauweiße Sirius beherrschte die anderen Sterne, und der Procyon hing direkt darüber. Die beiden leuchteten am hellsten von allen, obwohl der rote Altair auf seine Art noch heller war als der Procyon. In der Mitte des Saals bildeten die Sonne und Alpha Centauri A ein strahlendes Paar.
Mit trüben Augen starrte er auf diese größte Enttäuschung seines Lebens. Alpha Centauri B. So nah. So schön. So steril. Es war eine Ironie, ein Mißgriff der Schöpfung, daß diese Sonne, die beste und nächstliegende Möglichkeit, ein Heim für die Menschheit zu schaffen, keine Planeten gebildet hatte. Oder sie hatte welche gebildet und sie in irgendwelche unheilvollen Fallen gelockt, die sie zusammen mit ihren beiden Gefährtinnen gestellt hatte.
Aber es gab noch andere Hoffnungen.
Marchand suchte und fand den Tau Ceti, gelb und bleich. Nur elf Lichtjahre entfernt, müßte die Kolonie mittlerweile etabliert sein. In einem Jahrzehnt würden sie eine Antwort bekommen -natürlich nur, wenn die Sonne Planeten hatte, auf denen die Menschen leben konnten.
Das war die große Frage, auf die sie schon so viele verneinende Antworten bekommen hatten. Aber der Tau Ceti gibt trotzdem zu gewissen Hoffnungen Anlaß, sagte sich Marchand eigensinnig. Er war trüber und kühler als die Sonne. Er gehörte dem Typus G an und war der Spektropolarimetrie zufolge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Planetenträger.
Marchand richtete den Blick auf 40 Eridani A, noch trüber, noch weiter weg. Er erinnerte sich, daß die Expedition zu 40 Eridani A vom fünften Schiff durchgeführt worden war, dessen Start er ermöglicht hatte. Es müßte sein Ziel bald erreichen, vielleicht in diesem Jahr oder im nächsten. Man konnte die Zeit nicht abschätzen, wenn sich das Tempo fast der Lichtgeschwindigkeit näherte.
Aber nun war die Spitzengeschwindigkeit natürlich viel höher. Es wurde ihm fast schlecht, als er an seinen Fehlschlag dachte.
Schneller als das Licht - wie konnten sie es wagen!
Aber er hatte keine Zeit, um sich solchen Gefühlen hinzugeben. Er durfte sich überhaupt keine Gefühle leisten. Er spürte, daß ihm die Zeit davonlief, und er richtete sich kerzengerade auf und sah sich wieder um. Mit sechsundneunzig mußte man sich beeilen - sogar, wenn man seinen Tagträumen frönte.
Er sah auf den Procyon und klammerte ihn aus. Kürzlich hatten sie versucht, den Procyon anzufliegen. Das Schiff würde mittlerweile nicht einmal die halbe Strecke zurückgelegt haben. Sie hatten fast alles versucht. Sogar Epsilon Eridani und Groombridge 1618. Auch 61 Cygni A und Epsilon Indi, trotz der Skepsis der Spektralanalytischen Universitäten. Und sie hatten einen letzten, verzweifelten Versuch unternommen, Proxima Centauri zu erreichen (Obwohl sie fast sicher waren, daß sich die Mühe nicht lohnte. Bei der Alpha Centauri-Expedition hatte man keine bewohnbaren Planeten gefunden.).
Im ganzen waren es sechsundzwanzig Schiffe gewesen. Drei waren verlorengegangen, drei waren zurückgekehrt, eines flog die Erde an. Und neunzehn befanden sich noch im All.
Um sich zu trösten, schaute Marchand auf den hellgrünen Pfeil, der die Position der Tycho Brake anzeigte. Von ionisiertem Gas angetrieben, flog sie dahin. Sie war das größte seiner Schiffe und faßte dreitausend Männer und Frauen. Er glaubte sich zu erinnern, daß in letzter Zeit irgend jemand die Tycho Brake erwähnt hatte. Wann? Warum? Er war sich nicht sicher, aber der Name des Schiffs ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Die Tür öffnete sich, und Dan Fleury kam herein, blickte auf die Sterne und Schiffe, ohne sie zu sehen. Der Kartenraum hatte ihm nie etwas bedeutet. »Verdammt, Norman, du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt!« schimpfte er. »Du solltest doch im Krankenhaus liegen.«
»Ich war dort, aber ich wollte nicht bleiben. Schließlich hat Asa Czerny begriffen, daß ich es ernst meine, und so hat er gesagt, daß ich nach Hause darf, wenn ich mich nicht anstrenge und mich seinen regelmäßigen Untersuchungen nicht widersetze. Nun, wie du siehst, strenge ich mich nicht an. Ich sitze ganz ruhig da. Und es ist mir egal, ob Czerny kommt oder nicht. Es gibt nur noch eins, was mich interessiert. Ich möchte die Wahrheit über SAL herausfinden.«