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»Verdammt, Norm! Also ehrlich, du solltest dir keine Sorgen machen.«

»Dan, seit dreißig Jahren benutzt du das Wort >ehrlich< nur dann, wenn du mich anlügst. Jetzt sag mir endlich, was los ist! Ich habe dich heute morgen zu mir gebeten, weil du die Wahrheit kennst. Und ich will sie auch wissen. Um Himmels willen, Dan!«

Fleury blickte sich im Saal um, als würde er die funkelnden Lichtpunkte zum erstenmal sehen. Vielleicht sieht er sie tatsächlich zum erstenmal, dachte Marchand.

Endlich sagte Fleury: »Nun, da gibt es wirklich etwas.«

Marchand wartete. Er hatte eine gewisse Übung im Warten.

»Da ist ein junger Bursche namens Eisele«, fuhr Fleury fort. »Ein Mathematiker! Würdest du das glauben? Er hatte eine Idee.« Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

»Natürlich ist diese Idee keineswegs die Lösung des Problems. Die meisten Leute bezweifeln, daß sie funktionieren wird. Du kennst ja die Theorie. Einstein, Lorentz-Fitzgerald, die ganze Horde - sie sind alle dagegen. Die Idee nennt sich - und jetzt paß auf - Polynomismus!« Hilflos wartete er darauf, daß Marchand lachen würde. Dann fügte er hinzu:

»Wenn ich auch zugeben muß, daß was dran ist, denn die Tests.«

Marchand sagte sanft und mit großer Beherrschung: »Dan, würdest du es bitte endlich ausspucken? Bisher hast du mir nur erzählt, daß es da einen Burschen namens Eisele gibt und daß er eine Idee hat, die zwar verrückt ist, aber zu funktionieren scheint.«

»Nun-ja.«

Marchand lehnte sich langsam zurück und schloß die Augen. »Das bedeutet also, daß wir uns alle geirrt haben. In erster Linie ich. Und unsere ganze Arbeit.«

»Hör mal, Norm! Das darfst du dir nicht einbilden. Deine Arbeit hat uns ganz enorm weitergeholfen. Wenn du nicht gewesen wärst, hätten Leute wie Eisele überhaupt keine Chance. Weißt du denn nicht, daß er eins unserer Stipendien bekommen hat?«

»Nein, das wußte ich nicht.« Marchand öffnete die Augen und blickte sekundenlang zur Tycho Brake hinüber. »Aber das nützt mir nicht viel. Ich frage mich, ob die über fünfzigtausend Frauen und Männer, deren Körper aufgrund meiner Arbeit den größten Teil ihres Lebens in Tiefkühltruhen verbracht haben, ebenso denken wie du. Jedenfalls danke ich dir. Du hast mir gesagt, was ich wissen wollte.«

Als Czerny eine Stunde später den Kartenraum betrat, fragte Marchand sofort: »Ist mein Gesundheitszustand gut genug daß ich eine Gehirn Verpflanzung verkraften könnte?«

Der Arzt stellte erst seine Tasche ab und setzte sich, bevor er antwortete: »Wir haben niemanden zur Verfügung, Norman. Es hat sich schon seit Jahren niemand mehr freiwillig gemeldet.«

»Ich möchte mein Gehirn nicht in einen menschlichen Körper verpflanzen lassen. Ich will nicht, daß ein freiwilliger Spender zum Selbstmordkandidaten wird. Sie haben mir selbst erzählt, daß die Menschenkörper mit fremden Gehirnen manchmal Selbstmord begehen. Nein, ich werde mich mit einem Schimpansen begnügen. Warum soll ich es besser haben als dieser junge Bursche - wie heißt er doch gleich?«

»Sie meinen Duane Ferguson.«

»Genau. Also, warum sollte ich was Besseres sein als er?«

»Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Norm. Sie sind zu alt. Ihre Phospholipoide.«

»Ich bin nicht zu alt, um zu sterben, nicht wahr? Und das ist das Schlimmste, was mir passieren kann.«

»Es wäre nicht richtig. Nicht in Ihrem Alter. Sie verstehen nichts von Chemie. Ich könnte Ihnen nicht mehr als ein paar Wochen versprechen.«

»Wirklich?« rief Marchand erfreut.

Der Doktor versuchte ihn von seinem Plan abzubringen, aber Marchand hatte in seinem sechsundneunzigjährigen Leben schon viele harte Kämpfe gewonnen, und außerdem hatte er Czerny gegenüber einen Vorteil. Der Arzt wußte sogar besser als Marchand selbst, daß es den alten Mann umbringen konnte, wenn er sich zu sehr aufregte. In dem Augenblick, wo Czerny das Risiko einer Gehirnverpflanzung gegen das Risiko eines weiteren Streits abwägen mußte, runzelte er die Stirn, schüttelte den Kopf und ging.

Marchand folgte ihm langsam in seinem Rollstuhl.

Er wollte diese Aktion, die vielleicht die letzte seines Lebens sein würde, nicht überstürzen. Er hatte Zeit genug. Im Institut wurde immer ein gewisser Vorrat an Schimpansen gehalten, aber es würde mehrere Stunden dauern, eines der Tiere vorzubereiten.

Ein Gehirn mußte im Zuge der Verpflanzung geopfert werden. Der Mensch würde die Möglichkeit haben, in seinen eigenen Körper zurückzukehren. Sein Risiko war gering. Die Statistik hatte erwiesen, daß von fünfzig Rückverpflanzungen nur eine schiefging. Aber der Schimpanse würde nie mehr so sein wie zuvor. Marchand unterzog sich den Bestrahlungen, der komplizierten Titrierung seiner Körperflüssigkeiten, ertrug geduldig die endlosen Stunden, wo er festgeschnallt auf dem Operationstisch liegen mußte, während an ihm herumgeflickt wurde. Er hatte solche Operationen schon mitangesehen, und so war die Prozedur nichts Neues für ihn. Aber er hatte nicht gewußt, daß es so weh tun würde.

3

Er versuchte, nicht auf den Fingerknöcheln zu gehen, aber das war schwierig. (Der Affenkörper war gebeugt, die Arme waren zu lang, um seitlich bequem herabzuhängen.) Marchand watschelte zur Abschußrampe und bog seinen steifen Schimpansenrücken nach hinten, um zu dem verhaßten Ding hinaufzublicken. Dan Fleury kam auf ihn zu. »Norm?« fragte er vorsichtig. Marchand versuchte zu nicken. Es gelang ihm nicht, aber Fleury hatte verstanden »Norm, das ist Sigmund Eisele«, sagte er. »Der Mann, der den SAL-Treibstoff erfunden hat.«

Marchand hob einen langen Arm und streckte eine Hand aus, die sich nicht öffnen ließ. Sie war es gewöhnt, zur Faust geballt zu sein. »Gradschuliere«, sagte er, so deutlich er konnte. Aufgrund seiner virtuosen Selbstbeherrschung gelang es ihm, die Hand des jungen, dunkelhäutigen Mannes nicht zu zerquetschen. Man hatte ihn davor gewarnt, daß die Kraft der Schimpansen Menschen verletzen könnte. Natürlich würde er das nicht vergessen, aber einen Augenblick lang war er versucht, ein bißchen darüber nachzudenken.

Er ließ die Hand fallen und stöhnte auf, als ihn ein heftiger Schmerz durchzuckte.

Czerny hatte ihn davor gewarnt. »Instabil - gefährlich - wird nicht lange dauern«, hatte er während des Gesprächs gemurmelt. »Und vergessen Sie nicht, Norman - die Sinneswahrnehmungen sind für Ihr Alter ziemlich kräftig. Eine so große Energiezufuhr sind Sie nicht gewöhnt. Es wird weh tun.«

Aber Marchand hatte dem Doktor versichert, das würde ihm nichts ausmachen, und es machte ihm auch nichts aus. »Dasch isch es alscho«, knurrte er, und wieder beugte er das Rückgrat zurück, die ganze breite Brust des Tieres, in dem seine Seele wohnte, um das Schiff auf der Abschußrampe anzustarren. Es war vielleicht hundert Fuß hoch. »Dasch isch aber nicht grosch«, sagte er verächtlich. »Die Zarian, unscher erschtesch Schiff, war neunhundert Fusch lang und transchportierte tauschend Leute nach Alpha Zentauri.«

»Und hundertfünfzig sind lebend zurückgekommen.« erwiderte Eisele. Er betonte seine Worte nicht, aber er sprach sie sehr deutlich aus. »Ich wollte Ihnen sagen, daß ich Sie schon immer bewundert habe, Dr. Marchand. Ich hoffe, meine Gesellschaft wird Sie nicht stören. Ich habe gehört, daß Sie mit mir zur Tycho Brake fliegen wollen.«

»Warum schollten Schie mich schtören?« Natürlich störte er Marchand. Wenn er es auch nur gut meinte, dieser junge Bursche warf siebzig Jahre aufopfernder Arbeit und ein beträchtliches Vermögen - acht Millionen, die Marchand selbst besessen hatte, zahllose Millionen, die er von Millionären erbettelt, Regierungsgelder, Ersparnisse von Schulkindern - in den Schmelztiegel der Geschichte. Später würden die Leute vielleicht sagen:    Norman Marchand oder Marquand, ein Wissenschaftler, der im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert lebte, versuchte die Sterne mit primitiven Raketenantriebsschiffen zu kolonialisieren. Natürlich hatte er keinen Erfolg und erlitt einen enormen Verlust - nicht nur in finanzieller Hinsicht, auch zahllose Menschenleben wurden geopfert. Aber als Eiseles Schiffe eingesetzt wurden, die schneller als das Licht flogen. Sie würden ihn als Versager betrachten. Und das war er auch.