Natürlich bewies er im Lauf der Jahre seine Qualitäten auch auf andere Art. Er wurde zu einem gefragten SF-Dozenten und hielt Vorträge über die Welt der Zukunft, sprach dabei ein sehr verschiedenartiges Publikum an und kämpfte für den Rang, den die Science Fiction schon längst eingenommen hatte, der aber erst jetzt von einem größeren Leserkreis entdeckt wurde. Es ist nicht zuletzt Pohl zu verdanken, daß dieser Kreis ständig wuchs. Er unterrichtete Science Fiction in Autorenschulen. Er unternahm weite Reisen (zum Beispiel nach Rußland und Japan), um das internationale Flair der SF zu betonen.
Während ich dieses Vorwort schreibe, fungiert er wieder als Herausgeber, diesmal als SF-Berater für einen großen Taschenbuchverlag. Und glücklicherweise schreibt er immer noch mit die besten Science Fiction Stories, die man in Büchern oder Magazinen finden kann.
Lester del Rey
Ein Tunnel unter der Welt
Am Morgen des 15. Juni erwachte Guy Burckhardt schreiend aus einem Traum. Er war realer gewesen als jeder Traum, den er je in seinem Leben gehabt hatte. Er konnte immer noch die Explosion hören, konnte immer noch fühlen, wie das Metall zerbarst, spürte die heftige Bewegung, die ihn aus dem Bett warf, die sengende Hitzewelle.
Ruckartig setzte er sich auf, blickte sich ungläubig in dem stillen Zimmer um, das von hellem Sonnenschein erfüllt war.
»Mary?« rief er heiser.
Seine Frau lag nicht neben ihm. Ihre Decke war zerknüllt, als wäre sie eben erst aufgestanden, und die Erinnerung an den Traum war so lebendig, daß er unwillkürlich auf dem Boden nachschaute, um festzustellen, ob seine Traumexplosion sie aus dem Bett geschleudert hatte.
Aber da lag sie nicht. Natürlich nicht, sagte er sich, als er auf den vertrauten Toilettentisch mit dem Hocker blickte, auf die unzerbrochenen Fensterscheiben, die unversehrten Wände. Es war nur ein Traum gewesen.
»Guy?« rief seine Frau vom Fuß der Treppe herauf. »Alles okay?«
»Ja«, erwiderte er mit schwacher Stimme.
Eine kleine Pause entstand. Dann sagte Mary mit leicht skeptischem Unterton: »Das Frühstück ist fertig. Geht es dir auch wirklich gut? Du hast doch vorhin geschrien.«
»Ich hatte nur einen bösen Traum, Liebling«, entgegnete Guy, nun etwas zuversichtlicher. »Ich komme gleich hinunter!« Unter der lauwarmen Dusche sagte er sich, daß es ein unheimlicher Traum gewesen war. Aber Alpträume waren ja nichts Besonderes - und daß man dabei von Explosionen heimgesucht wurde, war durchaus normal. Wer hatte in den vergangenen Jahrzehnten, seit es die H-Bombe gab, nicht von Explosionen geträumt?
Sogar Mary hatte davon geträumt, wie sich herausstellte, als er ihr von dieser schlimmen Nacht erzählen wollte. Aber sie unterbrach ihn. »Wirklich?« fragte sie. »Stell dir vor, ich habe das gleiche geträumt. Nun ja - fast das gleiche. Ich habe nichts gehört. Ich träumte, daß ich von irgend etwas geweckt wurde, und dann hatte ich das Gefühl, einen Schlag auf den Kopf zu bekommen. Das war alles. Hast du das auch geträumt?«
Burckhardt räusperte sich. »Hm - nein.« Mary gehörte nicht zu den Frauen, die stark wie Männer und tapfer wie Tiger waren. Er fand, daß es nicht nötig war, ihr die Einzelheiten zu schildern, die seinem Traum eine so reale Atmosphäre gegeben hatten. Sie brauchte nichts zu wissen von den zerbrochenen Rippen, den salzigen Blasen in seinem Hals, von dem Wissen, daß dies der Tod sein müßte. »Vielleicht ist wirklich irgend etwas in der Stadt explodiert«, sagte er. »Wahrscheinlich haben wir es gehört, und das hat unseren Traum ausgelöst.«
Mary tätschelte geistesabwesend seine Hand. »Vielleicht«, stimmte sie zu. »Es ist schon fast halb neun, Liebling. Solltest du dich nicht lieber beeilen? Du willst doch nicht zu spät zur Arbeit kommen.«
Er schlang den Rest seines Frühstücks hinunter, küßte sie und rannte aus dem Haus. So spät war er nun auch wieder nicht dran, daß er nicht noch nachsehen könnte, ob seine Vermutung zutraf.
Aber das Stadtzentrum von Tylerton sah unverändert aus. Als Burckhardt im Bus saß, blickte er aufmerksam aus dem Fenster und hielt nach irgendwelchen Anzeichen einer Explosion Ausschau.
Aber da war nichts. Tylerton sah sogar besser aus als je zuvor. Es war ein schöner, kalter Tag. Der Himmel war wolkenlos, die Gebäude wirkten sauber und einladend. Wie er feststellte, hatten sie das Power & Light-Gebäude, den einzigen Wolkenkratzer der Stadt, einer Dampfwäsche unterzogen. Es hatte eben auch gewisse Nachteile, wenn das Hauptwerk der Contro Chemical am Stadtrand stand. Der Rauch der Brennereien hinterließ seine Spuren auf den Steinhäusern.
Burckardt saß allein im Bus, und so konnte er niemanden nach der Explosion fragen. Und als er an der Ecke der Fifth Street und der Lehigh Street ausstieg und der Bus mit einem gedämpften Dieselstöhnen davonrollte, war er schon fast überzeugt, daß er sich alles nur eingebildet hatte.
Er blieb vor dem Zigarettenkiosk in der Halle des Bürogebäudes stehen, in dem er arbeitete. Aber Ralph war nicht da. Ein Fremder verkaufte ihm die Zigarettenpackung.
»Wo ist denn Mr. Stebbins?« fragte Burckhardt.
»Er ist krank, Sir«, antwortete der Mann höflich. »Morgen wird er wieder kommen. Eine Packung Marlins?«
»Chesterfields«, verbesserte Burckhardt.
»Gewiß, Sir«, sagte der Mann. Aber was er dann aus einem Regal nahm und auf die Theke legte, war eine grüngelbe Packung, die Burckhardt noch nie zuvor gesehen hatte. »Versuchen Sie die mal, Sir«, schlug er vor. »Sie enthalten einen Anti-Husten-Faktor. Haben Sie noch nie gemerkt, daß Sie von den gewöhnlichen Zigaretten einen starken Hustenreiz kriegen?«
»Von dieser Marke habe ich noch nie gehört«, erwiderte Burckhardt mißtrauisch.
»Natürlich nicht. Das ist ganz was Neues.«
Burckhardt zögerte, und der Mann sagte einschmeichelnd: »Versuchen Sie's doch! Ich trage das Risiko. Wenn Ihnen die Zigaretten nicht schmecken, bringen Sie mir die leere Packung zurück, und Sie bekommen Ihr Geld wieder. Das ist doch fair, nicht wahr?«
Burckhardt zuckte mit den Schultern. »Was kann ich schon dabei verlieren? Aber geben Sie mir trotzdem auch eine Packung Chesterfields, ja?«
Er öffnete die grüngelbe Packung und zündete sich eine Zigarette an, während er auf den Aufzug wartete. Der Glimmstengel schmeckte gar nicht schlecht - wenn er auch Zigaretten mißtraute, deren Tabak chemisch behandelt worden war. Aber in Ralphs Kiosk würde man mit diesem neuen Zeug keinen Erfolg haben. Die Leute würden ihm die Hölle heiß machen, wenn er versuchen sollte, ihnen so was aufzuschwatzen.
Die Lifttür öffnete sich mit leiser Musik. Burckhardt und drei andere Männer stiegen ein, und er nickte ihnen zu, als sich die Tür schloß. Die Musik verstummte, und aus dem Lautsprecher an der Decke der Kabine drangen die üblichen Reklamesprüche.
Nein, es waren nicht die üblichen, wie Burckhardt nun feststellte. Er war der auditivsuggestiven Werbung schon so lange ausgesetzt gewesen, daß sie kaum noch in sein Bewußtsein drang. Aber was jetzt auf dem Tonbandgerät im Erdgeschoß des Hauses ablief, erregte seine Aufmerksamkeit. Nicht nur, daß er die angepriesenen Waren nicht kannte - auch das Schema der Werbung war völlig neu.
Da wurde mit rhythmischem Geklingel von Drinks geschwärmt, die er noch nie gekostet hatte. Da fand ein Schnatter-Dialog zwischen zwei etwa zehnjährigen Jungs über einen Schokoladeriegel statt, worauf ein autoritärer Baß befahclass="underline" »Dann lauft mal los und holt euch einen köstlichen Schokohappen und eßt euren Tangy-Riegel ganz schnell auf!« Dann rief eine weinerliche Frauenstimme: »Wenn ich nur einen Feckle-Kühlschrank hätte! Ich würde alles tun, wenn ich einen Feckle-Kühlschrank bekäme...« Burckhardt erreichte seine Etage und verließ den Lift, während die Frauenstimme immer noch jammerte. Ein leichtes Unbehagen erfüllte ihn, weil er die Artikel nicht kannte, die da in den höchsten Tönen gelobt wurden.