Margery sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Was?«
Er tönte wie ein aufgedrehtes Grammophon. »Dabei ist die spontane Mutation noch nicht berücksichtigt«, fügte er hinzu. »Oder die induzierte Mutation. Und wenn man die Umweltfaktoren im Uterus in Betracht zieht - also diverse Antibiotika, die Radiation der Nuklearwaffen, Diäteinflüsse et cetera - ja, die Wahrscheinlichkeit einer induzierten Mutation ist ziemlich hoch. Ja, vielleicht von der Größenordnung.«
»Hier ist dein Aspirin«, unterbrach ich ihn. »Und jetzt sag, was du willst.«
»Harlan!« rief Margery warnend.
»Ich meine - nun, was willst du?«
Er stützte den Kopf in die Hände. »Ich möchte, daß ihr mir helft, die Welt zu erobern«, sagte er.
Klirr! »Hol einen Lappen!« befahl Margery. Das Baby hatte gerade den Wassernapf des Hundes umgeworfen. Sie starrte mich an und lächelte Winnie zu. »Komm«, schmeichelte sie, »nimm dieses hübsche kleine Aspirin. Über deine Weltreise reden wir später.«
Aber das hatte er nicht gemeint.
Er wollte die Welt erobern. Ich hatte es ganz deutlich gehört. Ich ging hinaus, um den Lappen zu holen, denn das war eine ebenso gute Methode wie jede andere, um in Ruhe zu überlegen, was man gegen Winston McNeely McGhee tun könnte. Ich meine - was sollte ich denn mit der Welt anfangen? Onkel Otto hatte mir bereits die Welt vererbt, zumindest einen beträchtlichen Teil davon - auf jeden Fall ganz sicher mehr, als ich je erhofft hatte.
Als ich zurückkam, taumelte Winnie im Zimmer herum, in respektvoller Distanz gefolgt von meiner Frau, die das Baby auf dem Arm hielt. Sie fragte den künftigen Eroberer der Welt: »Wie hast du denn von Harlans Glü. Ich meine, wie hast du vom tragischen Tod seines lieben Onkels erfahren?«
»Ich habe es in der Zeitung gelesen«, stöhnte er.
»Es war am besten so«, sagte Margery in philosophischem Ton und zupfte feuchte Graham-Kräcker-Krümel aus dem Ohr des Babys. »Der liebe Otto hatte ein reiches, erfülltes Leben. Denk nur an all die Jahre im Yemen! Und die enorme Befriedigung, die es ihm gegeben haben muß, für den Bau der größten Pipeline westlich von Suez verantwortlich zu sein!«
»Östlich, meine Liebe. Das Königreich Mutawakelite liegt südlich von Saudiarabien.«
Sie sah ihn nachdenklich an, und dann sagte sie: »Winnie, du hast dich verändert.«
Das stimmte. Aber sie hatte sich auch verändert. Diese Heuchelei sah Margery gar nicht ähnlich. Daß sie mit ihrem Exgatten flirtete, konnte ich noch verstehen - das war nicht so schlimm. Sie wollte dem armen Kerl nur zeigen, daß sie jetzt ein viel schöneres Leben führte, als ihr das an seiner Seite jemals gelungen wäre. Aber den tragischen Tod meines lieben Onkels hatte sie keine Sekunde lang betrauert. Ich übrigens auch nicht. Es ist eine ganz simple Tatsache, daß sie bis zu dem Augenblick, als der Mann von Associated Press anrief, gar nichts von Onkel Ottos Existenz gewußt hatte. Ich selber hatte ihn so gut wie vergessen. Otto war der Bruder meiner Mutter gewesen, und ihre Familie hatte es vorgezogen, nicht von ihm zu sprechen. Wie hätten sie auch ahnen können, daß er der arabischen Halbinsel reiche Öl- und Goldschätze entreißen würde?
Das Telefon läutete. Winnie hatte den Hörer sorglos auf die Gabel zurückgelegt. »Nein!« schrie Margery, ohne richtig zuzuhören. »Wir wollen keine Uranaktien! Wir haben ganze Schränke voll davon!«
Ich nutzte es aus, daß ihre Aufmerksamkeit gerade abgelenkt war, und sagte zu Winnie: »Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Willst du mir nicht endlich erzählen, was du willst?«
Er setzte sich, stützte den Kopf in die Hände und holte mühsam Atem.
»Es - ist - schwierig.« Er sprach sehr langsam. Jedes Wort kam einzeln über seine Lippen, als müßte er sorgfältig zwischen all den Wörtern wählen, die ihm auf der Zunge lagen. »Ich -habe - etwas - erfunden. Du - verstehst? Und - als - ich -hörte, daß - du - ein Vermögen - geerbt - hast.«
»Da dachtest du, daß du was aus mir herausholen könntest«, unterbrach ich ihn spöttisch.
»Nein!« Er richtete sich abrupt auf- und griff sich stöhnend an den Kopf. »Ich will dir helfen, Geld zu machen - viel Geld.«
»Wir haben ganze Schränke voll Geld«, erwiderte ich sanft.
»Aber ich könnte dir die Welt schenken, Harlan!« rief er verzweifelt. »Hab doch Vertrauen zu mir!«
»Das hatte ich noch nie.«
»Dann vertraue mir jetzt! Du verstehst das nicht, Harlan. Wir können die ganze Welt besitzen, wir beide, wenn du mir nur eine kleine finanzielle Unterstützung zukommen läßt. Ich habe eine Droge entwickelt, die mir meine gesamten Erinnerungen zurückgibt.«
»Wie schön für dich!« sagte ich und griff nach der Türklinke.
Aber dann begann ich nachzudenken.
»Deine gesamten Erinnerungen?« fragte ich.
»Das Aufwallen des Unterbewußten!« rief er, und seine Stimme überschlug sich vor Eifer. »Die Fähigkeit, sich an alles zu erinnern! Die eidetische Erinnerung eines idiotischen Barbaren -und die durchdachten Kenntnisse eines Quiz-Siegers! Willst du wissen, wie die ersten sechs Könige von England geheißen haben? Egbert, Ethelwulf, Ethelbald, Ethelbert, Ethelred und Alfred. Willst du den Brunstschrei eines nordamerikanischen Haselhuhns hören?« Er demonstrierte den Brunstschrei eines nordamerikanischen Haselhuhns.
»Oh!« sagte Margery, die mit dem frischgewickelten Baby ins Zimmer zurückkam. »Du imitierst Vogellaute.«
»Ich kann noch viel mehr!« kreischte Winnie. »Wißt ihr, wann die Vereinigten Staaten zwei Präsidenten hatten?«
»Nein, aber.«
»Am 3. März 1877!« sagte er. »Rutherford B. Hayes - ich sollte ihn wohl besser Rutherford Birchard Hayes nennen - sollte Grants Nachfolger werden, und er wurde einen Tag zu früh vereidigt. Ich müßte jetzt erklären, daß.«
»Nein, erklär es bitte nicht«, unterbrach ich ihn.
»Nun, wie wäre es denn damit - soll ich die A. B. C. BowlingWeltmeister von 1931 bis heute aufsagen? Clack, Nitschke, Hewitt, Vidro, Brokaw, Gagliardi, Anderson - Moment mal, ich habe das Jahr 1936 ausgelassen, das war Warren. Danach kam erst Gagliardi, dann Anderson, Danek . -«
»Hör auf, Winnie, ja?« sagte ich. »Das war ein harter Tag für mich.«
»Aber dies ist der Schlüssel zur Eroberung der Welt!«
»Ha! Du wirst alle Leute zu Tode langweilen mit deinen Bowling-Weltmeistern.«
»Wissen ist Macht, Harlan.« Er gönnte seinem Kopf eine kleine Ruhepause in den Handflächen, dann hob er ihn wieder. »Aber ich kriege einen schrecklichen Brummschädel davon.«
Ich nahm meine Hand von der Klinke.
»Setz dich, Winnie«, sagte ich mürrisch. »Ich gebe zu, daß du mein Interesse geweckt hast. Also, was für einen Schwindel hast du dir da ausgedacht? Ich platze schon vor Neugier.«
»Harlan!« rief Margery warnend.
»Es ist kein Schwindel, das schwöre ich dir«, sagte Winnie. »Stell dir doch vor, was das bedeutet! Wissen ist Macht, Harlan, wie ich bereits betont habe. Mit meinem Supergehirn können wir die Herrscher aller Länder überlisten. Wir können die Welt besitzen. Und - Geld, hast du gesagt? Wissen ist auch Geld. Hast du zum Beispiel.« Er zwinkerte mir zu. »Hast du Probleme mit deiner Steuer? Ich sage dir, in Oosterhagen, 486 Alabama 3309 gibt es eine Gesetzeslücke, durch die du mit einem Panzerwagen fahren kannst.«
Margery setzte sich und steckte eine Zigarette in die lange lange Zigarettenspitze, die ich ihr ein Jahr nach unserer Hochzeit gekauft hatte, um einen Ehestreit zu begraben. Sie sah mich an und dann die Zigarette. Da merkte ich, worauf sie hinauswollte, und raste mit einem brennenden Streichholz zu ihr.
»Danke, Liebling«, sagte sie mit kehliger Stimme.
Sie hatte sich ebenso wie das Baby umgekleidet. Nun trug sie etwas, das besser zur Miterbin eines großen, fetten Geldsacks paßte, der gerade Besuch von ihrem Exgatten hatte. Es war ein Hausmantel aus Goldlamé, den sie eine Stunde nach dem Anruf der Associated Press-Typen gekauft hatte, mit Hilfe eines Kredits, wie wir ihn nie bekommen hätten, bevor die Morgenzeitungen in den Läden rings um Levittown eingetroffen waren.