»Was?«
»Er hat auch immer gehustet.«
Sie sah mich verwirrt an. »Du meinst - wie.«
»Verdammt, hör auf!« Der Barkeeper blickte zu mir herüber. Nun war sie wirklich wütend, aber ich wollte nicht, daß sie ging. »Gilvey war einer der Jungs, die mit mir zum Mars flogen«, sagte ich. »Pat Gilvey.« »Oh.« Sie setzte sich wieder und beugte sich über den Tisch. »Zum Mars.«
Der Barkeeper brachte uns die Drinks und starrte mich mißtrauisch an.
»Hören Sie mal, Mac«, sagte ich. »Könnten Sie die Klimaanlage ein bißchen runter schalten?«
»Ich heiße nicht Mac. Nein.«
»Haben Sie doch ein Herz! Es ist zu kalt hier drin.«
»Tut mir leid.« Er sah aber nicht so aus, als ob es ihm leid täte. Und mir war kalt. Ich finde, bei so einem Wetter ist es in diesen Kneipen immer kalt. Waren Sie im August schon mal in New York? Achtzig, fünfundachtzig oder neunzig Grad! In allen Lokalen surren Klimaanlagen. Wahrscheinlich, weil die Leute wollen, daß man ein Sakko und eine Krawatte trägt. Aber ich gehe gern spazieren. Das tun Sie doch sicher auch. Und in langen Hosen und Sakko und all dem Zeug kann man nicht so gut herumlaufen. Nicht in dieser Gegend. Nicht im August. Und wenn man dann in eine Bar geht, haben sie dort ein Tiefkühlgerät laufen, für die Gebrauchtwagenhändler, die mit ihren Freundinnen oder Frauen ausgehen, im schicken Anzug mit Krawatte. Wozu? Mir war jedenfalls eiskalt.
»Der Mars«, keuchte das Mächen. »Der Mars.«
Ich wurde wieder nervös und begann zu zittern. »Wollen Sie tanzen?«
»Hier kann man nicht tanzen«, sagte sie. »Byron, ich wußte ja gar nicht, daß du auf dem Mars warst. Bitte, erzähl mir davon!«
»Es war okay«, sagte ich, und das war eine Lüge.
Sie war interessiert und vergaß zu lächeln. Jetzt sah sie viel netter aus. »Ich kannte einen Mann«, sagte sie. »Er war mein Schwager - der Bruder meines Mannes - meines Verflossenen.«
»Ich weiß.«
»Er war bei General Atomic angestellt. In Rockford, Illinois. Weißt du, wo das ist?«
»Klar.« Ich könnte nicht dorthin gehen, aber ich wußte, wo Illinois war.
»Er hat am ersten Marsschiff gearbeitet. Oh, das ist schon fünfzehn Jahre her, nicht wahr? Er wollte immer selber rauffliegen. Aber er hat die Tests nicht bestanden.« Sie brach ab und schaute mich an. Ich wußte, was sie dachte. Aber ich habe nicht immer so ausgesehen, wissen Sie. Ich meine - es ist zwar alles mit mir in Ordnung, aber ich würde die Tests nicht mehr bestehen. Das würde keiner von uns schaffen. Deshalb fliegt jeder nur einmal.
»Ich zittere nur, weil mir kalt ist«, sagte ich. »Das ist der einzige Grund.«
Das stimmte natürlich nicht. Es war so was ähnliches wie Gilveys Husten. Ich wollte nicht an Gilvey denken, auch nicht an Sam oder Chowderhead oder Wally oder den Captain. Ich wollte an keinen von den Jungs denken. Weil ich dann immer zitterte. Wissen Sie, wir durften einander nicht töten. Das war verboten. Bevor wir starteten, hatten sie uns einer Gehirnwäsche unterzogen, um ganz sicherzugehen. Aber so was wirkt nicht bis in alle Ewigkeit. Es hält zwei Jahre an, dann läßt die Wirkung nach. Das ist lang genug, weil man in zwei Jahren zum Mars und zurück fliegen kann. Und wenn man es von einem anderen Standpunkt aus betrachtet, ist es fast zu lange, weil man sich wie in einer Zwangsjacke vorkommt. Wissen Sie, wie man ein Baby zum Schreien bringt? Halten Sie seine Hände fest. Das ist das sicherste Mittel. Und was sie mit uns taten, damit wir einander nicht umbrachten, war genauso, als hätten sie uns gefesselt, als hätten sie uns in Zwangsjacken gesteckt. Es war so, als würde man uns die Hände festhalten, so daß wir uns nicht losreißen konnten. Nun, zwei Jahre, das war lang genug - zu lange.
Der Barkeeper kam zu uns. »Tut mir leid, Kumpel. Ich habe die Klimaanlage schwächer gestellt. Alles okay? Sie sehen so.«
»Klar bin ich okay«, sagte ich. Seine Stimme klang besorgt.
Ich hatte seine Schritte gar nicht gehört, als er an unseren Tisch gekommen war. Das Mädchen sah auch besorgt aus, wahrscheinlich, weil ich so heftig zitterte, daß ich meinen Drink verschüttete. Ich legte ein paar Geldscheine auf den Tisch, ohne sie zu zählen. »Schon gut. Wir wollten gerade gehen.«
»So?« Sie starrte mich verwirrt an. Aber sie ging mit mir. Sie gehen immer mit, wenn sie herausgefunden haben, daß man auf dem Mars war.
In der nächsten Bar sagte sie zwischen zwei Ausflügen auf die Toilette: »Man muß wohl sehr mutig sein, um sich auf so was einzulassen. Warst du schon in der Schule wissenschaftlich interessiert? Muß man nicht furchtbar viel wissen, um Raumfahrer zu werden? Hast du diese kleinen Affentypen gesehen, die angeblich auf dem Mars leben? Ich habe in einem Artikel gelesen, daß sie in kleinen Städten aus Zweimannzelten wohnen
- oder so was ähnliches. Aber sie bauen die Zelte nicht, sondern sie züchten sie. Komisch! Hast du sie gesehen? Der Flug muß schrecklich anstrengend gewesen sein. Wie lange warst du unterwegs? Neun Monate! In der Zeit kann man ja schon ein Baby kriegen! Entschuldige mich mal für einen Augenblick. Und jetzt erzähl mal - wie hast du denn das alles geschafft? Ich meine - mußtest du denn nie aufs - du weißt schon was -gehen?«
»Wir haben's geschafft«, sagte ich. Sie kicherte, und das erinnerte sie wieder daran, und so ging sie erneut auf die Toilette. Ich überlegte, ob ich verschwinden sollte, während sie draußen war, aber was hätte das für einen Sinn gehabt?
Es war schon fast Mitternacht. Aber auf ein paar Minuten kam es nicht an. Ich griff in meine Tasche und nahm die kleine Pillenschachtel heraus, die sie uns gegeben hatten. Man kann sie nicht nachfüllen, aber wir kriegen jeden Monat ein neues Rezept per Post zugeschickt, zusammen mit dem Pensionsscheck. Auf der Schachtel stand: Vorsicht! Nur nach ärztlicher Anweisung einnehmen! Personen mit Herz- und Kreislaufkrankheiten sowie Verdauungsstörungen dürfen das Medikament nicht nehmen. Nicht zusammen mit alkoholischen Getränken schlucken!
Ich nahm drei Pillen. Ich nehme sie nicht gern vor Mitternacht, aber ich hörte wenigstens zu zittern auf.
Ich schloß meine Augen, und dann war ich wieder an Bord des Schiffs. Der Lärm in der Bar verwandelte sich in die ohrenbetäubende Hölle der Raketen, Luftreiniger und Energieschleusen. Ich begann zu schwitzen, obwohl auch hier eine Klimaanlage surrte. Ich hörte Wally vor sich hin pfeifen, so wie er es immer tat, und die Töne drangen gedämpft durch seine Sauerstoffmaske, wurden vom Raketenlärm verschluckt und waren dennoch deutlich zu vernehmen. Er pfiff »Sophisticated Lady«, manchmal auch »Easy to Love« oder »Chasing Shadows«, aber meistens »Sophisticated Lady«. Er war am Juilliard gewesen. Irgend jemand nieste, und es klang so, als würde Showderhead niesen. Wissen Sie, daß jeder Mensch einen ganz individuellen Stil beim Niesen hat? Chowderhead hatte ein damenhaftes, leises Niesen
- »hatschi« - ganz schnell ging das, alles durch den Mund, die Nase wurde nicht in Mitleidenschaft gezogen. Beim Captain hörte es sich an wie »hrrrraschiiii«, bei Wally wie »aschuuu, aschuuu, aschuuu«, bei Gilvey wie »Hutschuuu«. Sam nieste nicht viel, aber er hustete und spuckte dabei, und das war am schlimmsten. Manchmal überlegte ich, ob ich Sam umbringen sollte, indem ich ihn fesselte und Wally und dem Captain auftrug, ihn zu Tode zu niesen. Aber das war natürlich nur ein Spaß, so wie ich gern Spaße machte, wenn ich mich wohl fühlte. Oder halbwegs wohl. Normalerweise malte ich mir aus, daß ein Messer das Beste für Sam wäre. Für Chowderhead eignete sich eine Revolverkugel, direkt in den Bauch. Für Wally war eine Maschinenpistole vorgesehen, die ihn von oben bis unten durchlöchern würde. Den Captain wollte ich in einen Käfig voller hungriger Löwen sperren und Gilvey mit bloßen Händen erwürgen. Wahrscheinlich wegen seines Hustens.