Im Empfangszimmer lag ein echter Orientteppich. Nicht so ein schäbiges Nylonding. Nicht einmal ein LaFitton! Und überall waren die Symbole von LaFittes Macht und seinem Genie zu sehen. In einer Nische stand, von Scheinwerfern beleuchtet, ein Acrylmodell seines Solar-Transformers, das transparent schimmerte. Auf einem scharlachroten Podest in der Mitte des Raumes erhob sich das Modell des selbsttätigen LaFitte-Ionen-Austausch-Wasserdestillierapparats, und zwar der kleine Typ, der vierzig Gallonen pro Stunde schaffte. (Zwei Apparate des größeren Typs versorgten ganz London mit funkelndem, kristallklarem Wasser, das aus der schmutzigen, schlammigen, stinkenden Themse stammte.)
»Moment mal!« rief Dunlop heiser. »Sagen Sie ihm, daß er meinen Namen nicht kennen wird - aber wir haben einen gemeinsamen Freund.«
Das Ex-Modell zögerte und dachte über diese neue Information nach. Das änderte natürlich alles. Sogar LaFitte könnte einen Freund haben, der zufallig mit einem kleinen blonden Niemand bekannt war, der ungeputzte Schuhe trug. Es war unwahrscheinlich, aber möglich. Vor allem, wenn man berücksichtigte, daß LaFitte aus ganz einfachen Verhältnissen stammte: Er hatte sogar einmal an einer Universität unterrichtet.
»Ja, Sir«, sagte sie, sehr viel herzlicher als zuvor. »Würden Sie mir bitte den Namen Ihres Freundes nennen?«
»D-den kenne ich nicht.«
»Oh!«
»Aber Mr. LaFitte wird wissen, wen ich m-meine. Sagen Sie nur, der Freund ist ein M - ein M - ein M-Marsmensch.«
Die sanften blauen Augen wurden ausdruckslos. Das glatte, frische Gesicht vereiste zu den harten Fogwe-Zügen, die es besessen hatte, bevor ein unerträgliches Interesse für Schokoladennougat die junge Dame den Kameras der Modefotografen entrissen und hinter einen Schreibtisch verfrachtet hatte.
»Hinaus!« sagte sie. »Ich finde das kein bißchen komisch!«
Der dicke kleine Mann sagte fröhlich: »Vergessen Sie den Namen nicht! Dunlop. Und ich wohne in 449 West, 191th Street. Es ist ein Mietshaus.« Damit ging er. Er wußte, daß sie das niemandem mitteilen würde, aber er wußte auch, und das war ja das Schöne, daß es keine Rolle spielte. Er hatte das kleine, goldbeschlagene Mikrofon gesehen, das auf einer Ecke ihres Schreibtisches stand. Das LaFitte Auto-See, mit dem es verbunden war, würde sich unfehlbar an jedes einzelne Wort erinnern, würde alles analysieren und weitergeben.
»Ha-hum«, sagte Dunlop zum Liftboy. »Ihr Jungs müßt doch wirklich viel zu hart arbeiten bei diesem Wetter. Ich werde dafür sorgen, daß ihr eine Klimaanlage bekommt.«
Der Liftboy starrte ihn an wie einen monströsen Geist, aber das störte Dunlop nicht. Warum sollte es auch? Er war ja ein Monstrum. Aber er würde bald ein sehr reiches Monstrum sein.
Hector Dunlop trottete in die Hitze der Fifth Avenue hinaus und atmete pfeifend, weil er Asthma hatte. Trotzdem war er sehr mit sich zufrieden.
An der Straßenecke blieb er stehen und schaute zum La-Fitte-Gebäude hinauf, das ganz aus Kupfer und Glas gebaut war, im Stil der merkwürdigen Architekturperiode, die Lafitte liebte. Soll er nur seinen Spaß dran haben, dachte Dunlop großzügig. Es sieht schrecklich aus, aber wir wollen LaFitte diese kleine Freude gönnen. Es war nur fair, daß LaFitte das Haus hatte, das er sich wünschte. Dunlops Geschmack tendierte eher zu moderneren Linien, und wenn er es wollte, würde ihn nichts daran hindern, auf der anderen Straßenseite ein hundertzwei Stockwerke hohes Gebäude zu errichten. LaFitte hatte ein Recht auf alles, was er nur wollte - solange er bereit war, es mit Hector Dunlop zu teilen. Wozu er ganz gewiß bereit sein würde, wahrscheinlich noch am heutigen Tag.
In heitere Meditationen über die unvermeidliche Großzügigkeit LaFittes versunken, watschelte Dunlop die Fifth Avenue hinab, durch die sengende Hitze, die er nicht spürte. Er hatte viel Zeit. Es würde eine kleine Weile dauern, bis es losging.
Natürlich ist es möglich, daß heute überhaupt nichts passiert, dachte er geduldig. Welchem menschlichen Wesen das Auto-See auch immer die Information übermitteln würde, es könnte sie vergessen. Ja, es konnte einiges schiefgehen. Aber er hatte Zeit. Wenn es nötig war, würde er es eben noch ein paarmal versuchen müssen. Früher oder später würden die magischen Worte LaFitte erreichen. Nachdem die Vorbereitung auf diesen Augenblick acht Jahre gedauert hatte, würde es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht ankommen.
Dunlop hielt den Atem an.
Ein Mädchen ging klickend auf hohen, spitzen Absätzen vorbei. Der heiße Wind ließ den Rock an ihren Beinen festkleben. Sie warf einen zufälligen Blick auf die Stelle, die Hector Dunlop zu okkupieren glaubte, und sah nichts. Dunlop knurrte, aus reiner Gewohnheit. Sie war nicht das erste Mädchen, das seine Hormone in Aufruhr brachte und ihn nicht wahrnahm. Aber er gewann seine Fassung wieder. Zum Teufel mit dir, mein Kind, sagte er sich lächelnd. Wenn ich dich später haben will, werde ich dich nehmen. Ich werde zwanzig Mädchen deinesgleichen haben - oder jeden Tag zwanzig, wenn es mir Spaß macht - und das sehr bald.
Er sprintete über die 42nd Street, und da stand das vertraute, graue, altmodische Gebäude der Bibliothek.
Aus einem sentimentalen Impuls heraus stieg er die Stufen hinauf und ging hinein.
Der Liftboy nickte. »Guten Tag, Mr. Dunlop. Dritter Stock?«
»Genau, Charley. Wie immer.« Hier mochten sie ihn alle. Das war der einzige Ort der Welt, wo man ihn mochte, aber er hatte ja auch nirgendwoanders so viel Zeit verbracht.
Als der langsame Aufzug im dritten Stock knarrend anhielt, stieg Dunlop aus. Von Erinnerungen erfüllt, ging er durch den breiten, warmen Flur, zwischen den Reihen der Schaukästen. Gleich dort hinter dem Trinkbrunnen - dort war die Tür zur Fortescue-Sammlung, flankiert von den Glasschränken mit Fortescues Marsfotos und bislang unerforschten Relikten einer frühen Rasse, die all die Kanäle angelegt hatte.
Dunlop blickte auf die Kärtchen mit den erklärenden Texten und konnte sich eines Kicherns kaum erwehren. Die Marsbewohner waren häßliche, schleimige, kopflose Kreaturen mit Schlangenarmen. Schlimmer noch - Updykes »Marsabenteuer«, Fortescues »Erster Landung« und Wilberts, Shevelsens und Buchbinders »Beobachtung der Mars-Halbfauna« (erschienen in den »Forschungsberichten des Astro-Biologischen Instituts«, Winter 2011) zufolge stanken sie wie faule Fische. Ihre Intelligenz wurde von Fortescue, Burlutzki und Stanko mit jener der »Fehden« verglichen (wenn Gaffney sie auch höher ansetzte und irgend etwas von niederen Menschenaffen gesagt hatte). Sie besaßen keine Sprache. Sie kannten die Geheimnisse des Feuers nicht. Ihr fortschrittlichstes Werkzeug war eine Handaxt. Kurz gesagt, die Marsmenschen waren die Trottel des Solarsystems, und es war nicht erstaunlich, daß LaFittes Empfangsdame es als Unverschämtheit betrachtet hatte, daß man einen Marsmenschen als Freund ihres Chefs ausgab.
»Oh, das ist ja Mr. Dunlop!« rief die Bibliothekarin und spähte durch das Drahtgitter in der Tür. Sie erhob sich und sperrte ihm die Tür der Fortescue-Sammlung auf.
»Nein, danke«, sagte er hastig. »Ich gehe heute nicht hinein, Miß Reidy. Heiß ist es, was? Nun ja - ich muß weiter.«
Wenn die Hölle zufriert, gehe ich rein, fügte er in Gedanken hinzu, als er sich abwandte, obwohl Miß Reidy in den vergangenen acht Jahren immer sehr hilfsbereit gewesen war. Sie hatte ihm die gesamten Bibliotheksarchive zur Verfügung gestellt, nicht nur die extraterrestrischen Sammlungen, sondern alles, worauf seine Forschermasse gestoßen war. Ohne sie wäre es ihm viel schwerer gefallen, alles über LaFitte herauszufinden, was er jetzt wußte. Andererseits trug sie eine Brille. Ihre Haut war bleich. Einer ihrer Vorderzähne war abgebrochen. Dunlop würde sich nur mit TV-Stars und Gesellschaftsdebütantinnen abgeben, das gelobte er sich feierlich, und sogar die würde er wie nassen Staub behandeln.