»Nein!« rief sie. »So etwas gibt es doch nur in Romanen«
Ich lächelte.
»Nein!« rief sie. Mit hektischen Blicken sah sie sich um, betrachtete die Männer, die sie nicht losließen. Ächzend warf sie den Kopf in den Nacken und spürte dabei den Stahlring um ihren Hals. »Nein, nein!« schluchzte sie. »Ich möchte nicht auf Gor sein! Nicht als Frau auf Gor.«
Ich zuckte die Achseln.
»Sie machen doch nur einen Spaß mit mir!« sagte sie hoffnungsvoll.
»Nein«, gab ich zurück.
»Und was ist das für eine Sprache, die hier gesprochen wird?«
»Goreanisch«, antwortete ich lächelnd. »Du solltest sie schleunigst lernen. Es ist die Sprache deiner Herren.«
»Meiner Herren?«
»Ja, dir dürfte doch inzwischen klar sein, daß du Sklavin bist.«
»Nein!« schrie sie. »Nein! Nein! Nein!«
»Bringt sie fort!« sagte Samos ungeduldig.
Das Mädchen kreischte und schluchzte, doch sie wurde aus dem Saal geschleppt. Wie weiblich sie plötzlich war! Sie hatte nichts mehr von einem männlichen Wesen an sich, wie es ihre irdische Kleidung hatte andeuten wollen. Sie war, was sie war, eine Sklavin, die in die Gehege gebracht wurde.
Samos hatte das abgewickelte Band in der Hand und betrachtete es. »Arrogante Ungeheuer!« brummte er.
Ich zuckte die Achseln.
»Bis jetzt hatten wir keinerlei Hinweise«, fuhr er fort. »Jetzt haben wir dies.« Zornig hob er das Band. »Eine klare Botschaft, eine Aufforderung.«
»Sieht so aus«, sagte ich.
Wir wußten nicht, wo das Ende der Welt lag, konnten uns aber vorstellen, wo es zu suchen war. Das Ende der Welt befand sich angeblich zwischen Cos und Tyros, am Ende des Thassa, am Rand der Welt. Bisher war noch niemand zum Rand der Welt gesegelt und hatte diesen Vorstoß überlebt. Was sich dort ereignet hatte, war nicht bekannt. Manche behaupteten, das Thassa wäre endlos, und es gäbe kein Ende der Welt, das grüne Wasser erstrecke sich in unermeßlich schimmernder Weite, Seemann und Helden immer weiter lockend, bis die Männer einer nach dem anderen zugrundegegangen waren und die leeren Schiffe mit festgezurrten Rudern stumm weiterfuhren, bis die Planken verrotteten und auch das widerstandsfähigste Holz eines Tages unter der Wasseroberfläche versank.
»Das Schiff ist bereit«, sagte Samos und blickte mich an. Ein Schiff war für die Reise zum Ende der Welt vorbereitet worden, das Werk Tersites’, eines halb blinden und leicht verrückten Schiffsbauers, der auf Gor sehr umstritten war. Samos hielt ihn für ein Genie. Ich wußte, daß er den Verstand verloren hatte; ob er zugleich auch ein Genie war, vermochte ich nicht zu sagen. Es war ein ungewöhnliches Schiff mit tiefem Kiel und quadratischen Segeln, ganz im Gegensatz zu den meisten goreanischen Schiffen. Obwohl es als Rammschiff konzipiert war, besaß es einen Fockmast. Es war mit langen Rudern ausgerüstet, die von mehreren Männern bedient werden mußten. Anstelle zweier seitlich angebrachter Steuerruder hatte es ein langes Heckruder, das nach hinten ausgerichtet war. Der Rammsporn befand sich oberhalb der Wasserlinie und würde den Schaden beim feindlichen Schiff daher sehr weit oben anrichten. Im Hafen von Port Kar wurde viel über diesen Bau gelacht, doch Tersites beachtete seine Kritiker nicht. Er arbeitete fleißig, wenig essend, am Arbeitsplatz schlafend. Er überwachte das große Werk in jeder Einzelheit. Es wurde behauptet, der tiefe Kiel würde das Schiff langsam machen, die beiden Masten würden im Notfall nur mühsam umzulegen sein, das lange Steuerruder würde sich als unhandlich erweisen und nicht von einem Mann bedient werden können. Es hieß, nicht alle Ruderer könnten ihre Arbeit im Sitzen verrichten, und wenn sie zu mehreren am Ruder säßen, würden manche ihre Anstrengung nur vortäuschen.
Ich war kein Schiffsbauer, ich war Kapitän. Auch ich hatte den Eindruck, daß ein solches Schiff zu schwerfällig und langsam sein würde, daß es sich besser für Frachtdienste eignete, beschützt im Rahmen eines Konvois, anstatt auf dem schimmernden Thassa den Angriffen der schmalen Lateinersegler ausgesetzt zu sein. Wäre es meine Aufgabe, das Ende der Welt zu suchen, so hätte ich das lieber an Bord der Dorna oder Tesepkom getan, schmalen, wendigen Schiffen, deren Eigenschaften und Launen ich bestens kannte.
Andererseits war Tersites’ Schiff sehr widerstandsfähig. Es ragte zu ehrfurchtgebietender Höhe auf, mit stolz emporgeschwungenem Bug, der dem Hafenkanal zugewandt war. Wenn ich so neben dem Schiff stand und an seiner hohen Bordwand entlangschaute, hatte ich zuweilen das Gefühl, daß vielleicht nur ein solches Schiff die gefährliche und vielleicht unmögliche Reise zum Ende der Welt wagen konnte.
Tersites hatte den Bau so angelegt, daß der Bug nach Westen, wies – damit zeigte er nicht nur auf den Hafenkanal zum Meer, sondern zugleich zwischen Cos und Tyros hindurch – auf das Ende der Welt.
»Die Augen sind noch nicht aufgemalt«, sagte ich zu Samos. »Das Schiff lebt noch nicht.«
»Dann male die Augen auf«, sagte er zu mir.
»Das muß Tersites tun«, meinte ich. Er war der Schiffsbauer. Wie sollte ein Schiff ohne Augen sehen können? Für den goreanischen Seemann sind seine Schiffe Lebewesen. Dies mag man als Aberglauben abtun, viele sehen darin aber eine Art unerklärliche Realität, die ein Seemann zu spüren vermag, die er aber anderen Menschen nicht erklären kann und vielleicht auch nicht erklären sollte. Auch ich habe dieses Gefühl manchmal erfahren, spätnachts, auf dem Deck liegend, zu den Monden Gors emporschauend. Es ist eine seltsame Anwandlung. Es ist, als wären das Schiff und das Meer und die ganze Welt irgendwie am Leben. Im allgemeinen hat der Goreaner zu vielen Dingen eine viel intensivere und persönlichere Beziehung als der gebildete Erdenbürger. Vielleicht ist das darauf zurückzuführen, daß er das Opfer einer primitiveren Bewußtseinsstufe ist; andererseits mag es sein, daß wir längst Dinge vergessen haben, die ihm noch bewußt sind. Vielleicht teilt sich die Welt nur jenen mit, die zum Zuhören bereit sind. Wie die Wahrheit in dieser Frage auch aussehen mag, ob der Mensch grundsätzlich ein chemischer Mechanismus ist oder mehr als das, ein bewußtes Lebewesen, dessen Schmerz und Erkenntnis und Bewußtheit das Aufeinanderwirken von Kohlenstoff und Sauerstoff, den Austausch von Gasen, das öffnen und Schließen von Ventilen übersteigen muß – es steht fest, daß manche Menschen – und dazu gehören auch Goreaner – ihre Welt auf eine tiefgründige, vielschichtige Weise erleben, die von der Welterkenntnis der technisch orientierten Mentalität sehr entfernt ist. Der Erdenmensch stellt sich die Welt als im wesentlichen tot vor; der Goreaner sieht sie als durch und durch lebendig. Der eine gebraucht das Schlagwort von der blinden Maschine, der andere das des Lebewesens. Zweifellos übertrifft die Realität alle Metaphern, die nur dünne Strohhalme sind, mit denen wir mitleiderregende, staunende Wesen an den Toren granitener Rätsel zu kratzen versuchen. Aber wenn wir schon unseren Weg wählen müssen, auf dem wir letztlich doch versagen, haben die Goreaner in meinen Augen keine schlechte Entscheidung getroffen. Ihr Weg ist dem des Erdenmenschen zumindest nicht unterlegen. Dem Goreaner liegt seine Welt am Herzen; sie ist .sein Freund; er würde sie nicht töten.
Es mag die Bemerkung genügen, daß die goreanischen Seeleute ihre Schiffe wie Lebewesen behandeln. Anders hätten sie sie nicht so lieben können.
»Dieses Schiff ist weitgehend fertig«, sagte Samos. »Es kann bald zum Ende der Welt absegeln.«
»Findest du es nicht seltsam, daß ausgerechnet jetzt, da das Schiff vor der Vollendung steht, die Botschaft eintrifft?« fragte ich.
»Ja«, sagte Samos. »Seltsam, in der Tat.«
»Die Kurii möchten, daß wir jetzt zum Ende der Welt in See stechen«, meinte ich.
»Arrogante Ungeheuer!« rief Samos und schlug mit der Faust auf den kleinen Tisch. »Sie fordern uns damit auf, den Versuch zu machen, ihnen Einhalt zu gebieten!«
»Vielleicht«, räumte ich ein.