»Dann haben wir also eine künstliche Erscheinung wahrgenommen.«
»Ja, aber dem natürlichen Phänomen verwandt. Sie wird erzeugt, indem wir die Atmosphäre mit bestimmten Mustern geladener Partikel sättigen. Diese Muster lassen sich in bestimmter Weise anordnen, beispielsweise zu alphabetischen Buchstaben; in der Kur-Sprache oder auch in Goreanisch. So dienen die Lichter, nur scheinbar ein Naturphänomen, als Verständigungsmitteclass="underline" zu Kur-Gruppen und ihren menschlichen Helfern.«
»Klug ausgedacht«, sagte ich.
»Ich ließ mein Gesicht am Himmel abbilden, um dich zu ehren und dich im Norden willkommen zu heißen.«
Ich nickte.
»Noch etwas zu trinken?« fragte der Kur.
»Ja. Die Anlage hier ist sehr beeindruckend. Würdest du mich ein wenig herumführen.«
»Das kann ich tun, ohne diesen Raum zu verlassen«, lautete die Antwort. Halb-Ohr bediente verschiedene Instrumente und erhellte die Öffnungen, die ich bisher für Bullaugen oder andere Fensteröffnungen gehalten hatte und bei denen es sich in Wirklichkeit um zurückgesetzte Bildschirme handelte, verbunden mit verschiedenen beweglichen Kameras, die von diesem Gemach aus gesteuert werden konnten. Mit Hilfe dieser Kameras erhielt ich einen Eindruck von der Weite und Verzweigtheit der Anlage. Einige Bildschirme befanden sich über meinem Kopf; wenn ich mich an gewisse Querstreben klammerte und hochzog, konnte ich auch dort etwas erkennen. Das Ungeheuer bewegte sich leichtfüßig neben mir auf den Turngestellen.
»Sehr eindrucksvoll«, sagte ich schließlich.
»Fast alles läuft automatisch ab«, antwortete das Ungeheuer. »Wir haben hier lediglich zweihundert Menschen und ungefähr zwanzig meiner Artgenossen.«
»Unglaublich!« sagte ich. Die Anlage erstreckte sich über viele Stockwerke, die eine Ausdehnung von vielen Pasangs hatten.
»Es machte uns keine Probleme, eine Eisinsel gyroskopisch zu stabilisieren und für unsere Zwecke umzuformen«, berichtete der Kur. »Wir haben unsere Anlage in das Eis gebaut. Die Eismassen, die bei der Aushöhlung anfallen, werden zerkleinert und einfach ins Meer geworfen.«
»Ihr wolltet die Tabuk an ihrer Wanderung nach Norden hindern. Damit wolltet ihr die rothäutigen Jäger aus der Gegend hier vertreiben, in den Süden.«
»Besonders vor dem Winter«, sagte das Wesen, »ehe sie beginnen, über das Eis zu streifen.«
»Ihr habt hier eine erstaunliche Basis angelegt«, sagte ich.
»Elektrische Anlagen, Sprengstoffe, Waffen, Proviant, Fahrzeuge«, zählte Halb-Ohr auf. »Und zahlreiche andere Dinge.«
»Es muß Jahre gedauert haben, das Depot anzulegen.«
»Richtig. Aber ich führe erst seit kurzem das Kommando hier.«
»Dann steht uns also die Invasion der Kurii unmittelbar bevor – von dieser Zone ausgehend.«
»Wir wollen die große Flotte nicht in Gefahr bringen«, sagte das Geschöpf. »Mit Hilfe dieser Ausgangsbasis brauchen wir für den großen Schlag nicht mehr als die im Winterschlaf befindlichen Märsche einzubringen.« Ein »Marsch« ist ein militärischer Ausdruck der Kur. Er bezeichnet zwölf Gruppen und ihre Offiziere und umfaßt insgesamt zweitausendeinhundert bis zweitausendzweihundert Ungeheuer.
»In zwölf Kur-Stunden können alle Städte auf Gor vernichtet sein«, sagte Halb-Ohr.
»Und die Priesterkönige?«
»Ich glaube nicht, daß sie einem massierten Angriff begegnen könnten.«
»Bist du dir dessen sicher?«
»Ganz sicher«, sagte er und bleckte die Zähne. »Aber das gilt nicht für alle«, fügte er hinzu.
»Und deshalb soll die große Flotte nicht in Gefahr gebracht werden.««
»Natürlich«, sagte er, »könnte ich auf den Start der Flotte drängen. Aber ich bin nur ein einfacher Soldat. Andere stehen im Rang höher als ich.«
»Truppentransporter, die ihre Ladung absetzen, müßten voll und ganz ausreichen«, sagte ich, »wenn diese Versorgungsbasis zur Verfügung steht.«
»Ja«, sagte er, »unter der Voraussetzung, daß die Priesterkönige so schwach sind, wie ich vermute.«
»Warum hältst du sie für schwach?«
»Wegen des Nestkrieges. Du hast bestimmt davon gehört.«
»Ich habe Gerüchte gehört.«
»Ich glaube, die Gerüchte stimmen. Der Augenblick ist gekommen, da wir zuschlagen müssen.« Er sah mich an. »Oh, ich könnte deinen Verstand auseinanderzerren und dich vernichten, doch letztlich wüßte ich auch nicht mehr als das, was du für wahr und richtig hältst – und das muß nicht unbedingt wahr und richtig sein.« Er ließ sich auf den Boden fallen, und ich setzte mich ebenfalls. »Die Priesterkönige sind sehr schlau«, fuhr er fort.
»Ich habe davon gehört.«
»Ich glaube, es wäre unmöglich, deinen Willen zu brechen. Man müßte dich schon töten.«
Ich zuckte die Achseln.
»Du gleichst einem Kur. Deshalb mag ich dich.« Er legte mir eine schwere Pfote auf die Schulter. »Es wäre nicht richtig, wenn du in der Wahrheitsmaschine sterben solltest.«
»Es gibt hier viele wertvolle Vorräte«, sagte ich. »Wenn die nun in die Hände der Priesterkönige fielen?«
»Es sind Vorkehrungen getroffen, daß das nicht geschehen kann«, sagte der Kur.
»Das hatte ich schon vermutet.« Ich war davon überzeugt, daß die Kameras nicht alle Bereiche der Station abgesucht hatten, ebenso wie die Deckenschienen sicher nicht in alle Räume reichten.
»Wie sind die Priesterkönige?« fragte das Ungeheuer. »Sind sie wie wir?«
»Nein«, antwortete ich.
»Sie müssen furchteinflößend sein.«
Ich dachte an die intelligenten, zierlichen goldenen Geschöpfe. »Vielleicht«, sagte ich.
»Hast du jemals einen gesehen?«
»Ja.«
»Möchtest du nicht darüber sprechen?«
»Nein, lieber nicht.«
Er legte mir die mächtigen Pfoten auf die Schulter. »Gut«, sagte er. »Du bist loyal. Ich will dich nicht bedrängen!«
»Vielen Dank.«
»Aber eines Tages werden wir es trotzdem wissen. Wenden wir uns jetzt weniger schwierigen Themen zu.«
»Wie wurde ich gefangengenommen?« fragte ich.
Das Ungeheuer schenkte uns zwei Paga nach. »Das war ganz einfach. Ein Gas wurde von draußen in deine Eisunterkunft eingeblasen, daraufhin verlort ihr alle das Bewußtsein.«
»Imnak stand Wache.«
»Der rothäutige Jäger, der Karjuk ähnelt?«
»Ja.«
»Karjuk sprach mit ihm, und er schloß sich unserer Sache an; er ist ein vernünftiger Mann, der sich wirtschaftlichen und anderen Erwägungen nicht verschließt.«
»Ich habe nie daran gezweifelt, daß Imnak ein entscheidungsfreudiger Mann ist.«
»Sei nicht verbittert«, sagte er.
»Was würdest du denken, wenn ein Kur seine Artgenossen verriete?« fragte ich.
Er sah mich verblüfft an. »Das könnte nie geschehen.«
»Gewiß hat es doch auch unter Kurii schon Verrat gegeben.«
»Doch nie gegenüber dem Menschen, gegenüber einer anderen Rasse«, sagte der Kur. »Das wäre undenkbar.«
»Dann sind die Kurii in dieser Beziehung edler veranlagt als der Mensch.«
»Ich gehe davon aus, daß der Kur in jeder Beziehung dem Menschen überlegen ist.« Das Geschöpf musterte mich. »Du bist die Ausnahme«, fügte er hinzu. »Ich glaube, du hast etwas von einem Kur in dir.«
»Im Duellraum gab es einen großen Spiegel«, stellte ich fest.
»Zur Beobachtung«, sagte der Kur.
»Das dachte ich mir.«
»Du hast großartig gekämpft«, sagte das Ungeheuer. »Du stellst dich mit deiner winzigen Waffe sehr geschickt an.«
»Vielen Dank.«
»Auch ich kann mit Waffen umgehen, mit den verschiedenen Waffen, die für mein Volk typisch sind, aber auch mit modernen Waffen.«
»Dann gibt es also bei euch trotz der fortgeschrittenen Technologie eine Duelltradition?«
»Natürlich – wie auch eine Tradition von Reißzahn und Klaue, die sich ebenfalls fortsetzt.«
»Natürlich.«
»Moderne Waffen mag ich nicht so – sie rauben einem den Kitzel, die Unmittelbarkeit des Kampfes. Ich habe gesehen, wie du gekämpft hast. Willst du mir einreden, daß es dir keinen Spaß gemacht hat?«
»Ich versuche dir nichts einzureden«, sagte ich.