»Bitte!« sagte ich.
Die Augen funkelten wild. Dann schlang es ein weiteres Fleischstück herunter.
Nach kürzer Zeit war der Sack leer.
Ich wandte mich um, und wir setzten unseren Weg fort. Alles andere war nun nur noch eine Frage der Zeit.
Meine Hauptsorge galt der Möglichkeit, daß das Wesen das Fleisch in seinen Vorratsmagen geschickt hatte, um es erst später in den Verdauungsmagen weiterzuleiten. Dagegen sprach, daß die Kurii sich unterwegs selten gern mit solchem Ballast befrachteten; außerdem wirkte der Kur bereits ein wenig müde und erschöpft, wie nach einer richtigen Mahlzeit.
Plötzlich war der Schlitten erheblich leichter; der Kur war von den Kufen gestiegen. Besorgt blickte ich mich um. Mein Bewacher stand hinter dem Schlitten und blickte sich um. Wir befanden uns auf einer Ebene, in einer runden Senke von etwa hundert Metern Durchmesser. Es war eine relativ glatte Fläche inmitten der wirren Eisklippen, die die Landschaft bestimmten.
Der Kur bedeutete mir durch eine Armbewegung, das Zuggeschirr abzustreifen.
Ich kam der Aufforderung nach.
Wir standen uns gegenüber. Der Wind hatte nachgelassen. Es war sehr kalt und einsam. Das Ungeheuer zeigte die Zähne.
Ich trat einen Schritt zurück, obwohl ich genau wußte, daß mich der Kur mühelos einholen konnte.
Das Wesen ließ sich auf alle viere nieder. Es begann vor Vorfreude zu zittern. Es legte den riesigen Zottelkopf in den Nacken und ließ einen mächtigen, heulenden Schrei zu den Monden Gors aufsteigen.
Mein Herz schien auszusetzen. Der Kur ließ seine Krallen vorspringen und kratzte damit auf dem Eis herum. Voller Freude beobachtete er meine zögernden Rückwärtsschritte. Dann legte er die Ohren an.
Ich lief los, doch er flog auf mich zu.
In den Armen des Kur gefangen, wehrte ich mich vergeblich. Ich sah die funkelnden Augen. Das Ungeheuer hob mich mühelos in die Höhe, dem Maul entgegen. Es hielt mich fest und sah mich dabei einen Augenblick lang an. Dann legte es den Kopf auf die Seite. Sein Atem fuhr mir heiß ins Gesicht, und ich konnte in dem Dampf, den unser Atem machte, kaum etwas erkennen. Dann suchten die Zähne des Kur meinen Hals. Urplötzlich – es ging so schnell, daß ich zunächst nicht begriff, was da passierte – entrang sich der Bestie ein schriller Schrei, der mir in den Ohren gellte. Einer instinktiven Regung folgend, schleuderte mich der Kur von sich. Die Sterne drehten sich plötzlich haltlos, und ich prallte auf das Eis und rollte und rutschte darüber hin. Dann richtete ich mich in eine kniende Stellung auf, gut vierzig Fuß von dem Ungeheuer entfernt,
Zusammengekrümmt stand es da und sah mich an.
Vorsichtig stand ich auf.
Der Kur versuchte einen Schritt in meine Richtung zu tun. Aber dann verzog sich sein Gesicht in unerträglichem Schmerz. Er hob eine Pfote. Wie von innen getroffen, schrie das Wesen zum zweitenmal auf und stürzte seitwärts abrollend in den Schnee. Noch zweimal schrie es und lag dann reglos, aber noch lebendig auf dem Rücken und starrte zu den Monden empor.
Die Verdauungssäfte taten unaufhaltsam ihr chemisches Werk. Schritt für Schritt, unbarmherzig, unaufschiebbar, zersetzten sie die Moleküle der Sehnenbänder, die die zusammengedrückten, angespitzten Fischbeinpfeile im Zaum hielten – bis dieses schlanke Band brach. Und wieder gellte der Schrei des Kurs.
Gedankenlos mußte das Ungeheuer fünfzehn oder zwanzig verborgene Fallen verschlungen haben.
Ich glaubte der Gefahr ledig zu sein.
Ich begab mich zum Schlitten, der allerdings wenig enthielt, was ich gebrauchen konnte.
Zum Glück hob ich noch rechtzeitig den Kopf. Irgendwie hatte es der Kur geschafft, auf die Beine zu kommen.
Vorgebeugt stand er da und stierte mich an. Er hustete voller Schmerzen und spuckte Blut ins Eis. Langsam, Schritt für Schritt, kam er auf mich zu, die Krallen nach mir ausstreckend. Und wieder schrie er auf, von einem der spitzen Pfeile innerlich getroffen. Wimmernd stand der Kur auf dem Eis.
Auf allen vieren griff er schließlich an. Dabei riß er den Schlitten um, der zwischen uns stand. Das Ungeheuer stolperte, machte eine Art Purzelbaum und hinterließ dunkle Blutspuren im strahlenden Eis. Qualvoll jaulte es zum Himmel, als zwei weitere Fischbeinfallen ihr gräßliches Werk taten.
Vorsichtig entfernte ich mich von dem Wesen. Ich nahm nicht an, daß ich mit dem Kur noch Schwierigkeiten haben würde.
Das Wesen blutete inzwischen stark aus Maul und After. Eine Lippe hatte es halb durchgebissen. Blut und Ausscheidungen bedeckten das Eis.
Ich entfernte mich in großem Bogen und schlug den Weg ein, den wir gekommen waren, ich nahm Kurs auf die Kur-Station, die in der Eisinsel verborgen war.
Den Schlitten ziehend, näherte ich mich unserem Ausgangspunkt. Das Ungeheuer folgte mir mit stockenden Schritten, die ihm ungeheure Anstrengung abverlangten. Ich ließ es nicht zu nahe an mich herankommen.
Nach den Schreien zu urteilen, mußte es neunzehn gefährliche Fischbeinfallen im Magen gehabt haben. Es erstaunte mich, daß es sich nicht einfach hinlegte und starb; jeder Schritt mußte eine unermeßliche Qual sein. Doch es verfolgte mich weiter. In diesen Stunden lernte ich etwas über die Ausdauer eines Kur.
Etwa vier Ahn später, als ich der Station schon sehr lange nahe war, starb es endlich.
Es ist nicht leicht, einen Kur zu töten.
Ich betrachtete den riesigen Kadaver. Ich hatte kein Messer. Ich mußte mit Händen und Zähnen arbeiten.
33
»Das ist kein Kur!« rief der Mann. »Schießt!«
Im nächsten Augenblick legte ich ihm die Hände um die Kehle und schleuderte ihn zwischen mich und seinen Gefährten. Ich hörte den Pfeil in seinen Körper eindringen und stieß ihn von mir fort. Vor meinen Augen wurde er auseinandergerissen. Der andere Mann, der wie sein Opfer einen leichten Plastikanzug mit einem Heizgerät an der Hüfte trug, fummelte an seiner Waffe herum in dem Bemühen, ein neues Geschoß einzulegen. Ich stürmte auf ihn zu. Das Geschoß fauchte an mir vorbei, nachdem ich im letzten Augenblick den Lauf zur Seite gestoßen hatte. Ich warf den Kerl zu Boden, und wir verwickelten uns halb in den weißen Pelz des Kur. Ich legte ihm den linken Arm um den Hals und versetzte ihm gleichzeitig mit der Rechten einen Hieb gegen die Schläfe. Mit gebrochenem Genick blieb er liegen. Ein Krieger lernt solche Dinge.
Ich hob den Kopf. Niemand schien etwas gemerkt zu haben, obwohl zwei Schüsse abgefeuert worden waren. Die röhrenförmigen Waffen werden mit einem relativ leisen Zischen abgefeuert. Viel lauter ist dagegen die Explosion der Pfeile, die so eingestellt ist, daß sie Sekunden nach dem Auftreffen auf das Ziel eintritt. Die erste Explosion war vom Körper des Mannes gedämpft worden. Die zweite jedoch hätte man hören können. Der Pfeil war nach einem langen gekrümmten Sturz tausend Fuß unter mir aufgetroffen und hatte gut zweihundert Fuß weit Eisbrocken verschleudert.
Ich war mit dem Schlitten zur Station der Kurii zurückgekehrt. Mit dem Schlitten hoffte ich nicht für ein primitives Eis-Ungeheuer gehalten zu werden. Außerdem hatte ich mir den Pelz des Kurs umgehängt der Beobachter im schwachen Licht der polaren Nacht täuschen mochte. Darüber hinaus war ich nach Möglichkeit in der Deckung des Packeises geblieben. Ich hatte den Schlitten am Fuß der Eisinsel stehenlassen und war im Schutz des Kur-Pelzes an der Eisflanke emporgestiegen. Das Luk, durch das ich die Insel verlassen hatte, war von außen zu gut getarnt. Hier oben hoffte ich nun Zugang zur Eis-Station zu finden. Dabei interessierten mich weniger Türen und Tunnel, die sicher bewacht wurden, als Öffnungen, die sich für meine Zwecke besser eigneten, unbewachte Öffnungen, bei denen keine Losungsworte ausgesprochen werden mußten. In der Station hatte es stets frische Luft gegeben, und so hoffte ich, daß Belüftungsschächte bestanden. Wenn sich die Kurii allerdings auf ein geschlossenes System verließen, mußte ich bei einem regulären Eingang mein Glück versuchen.
Es geschah so schnell, daß ich gar nicht genau wußte, ob ich es überhaupt sah; vielleicht hörte und spürte ich das Projektil, das das Fell meiner Parka durchschnitt und sich einen Fuß hinter mir ins Eis bohrte. Ich hechtete weg davon; im gleichen Augenblick detonierte das Eis auswärts, Druckwelle und Eis drückten mich wie eine Hand fort, und ich stieß gegen einen Vorsprung und rutschte abwärts. Dann sah ich sie kommen, zwei bewaffnete Männer. Ich blieb verkrümmt am Fuß des Eisvorsprungs liegen.