»Er ist tot«, sagte einer der Männer.
»Ich jage ihm noch einen Pfeil in den Leib«, sagte der andere.
»Sei kein Dummkopf! Siehst du nicht, daß er nicht mehr atmet? Wenn er noch am Leben wäre, müßten wir den Dampf seines Atems sehen.«
»Du hast recht«, sagte der zweite Mann.
Offenbar hatte noch keiner der beiden Männer den schnellen Meeres-Sleen gejagt. Es freute mich, daß ich mit Imnak einmal die Bekanntschaft dieses gefährlichen und heimtückischen Tiers gemacht hatte.
»Aii!« schrie der erste Mann, als ich aufsprang und ihn mit der rechten Hand zur Seite stieß. Den zweiten Mann mußte ich als ersten erreichen. Er war der mißtrauischere, der gefährlichere der beiden. In seiner Waffe steckte ein Pfeil. Die Waffe wurde hochgerissen, doch schon war ich heran. Der andere Mann hatte sein Gewehr noch nicht wieder geladen. Ich wandte mich nach ihm um, als ich den ersten Mann ausgeschaltet hatte. Erst später ging mir auf, daß er mit dem Kolben von hinten nach mir geschlagen hatte. Sein Schrei gellte, bis sein Körper tief unten unterhalb der Eisklippen aufschlug.
Hastig durchsuchte ich die Sachen des zweiten Mannes. Ich mußte schnell handeln. Sekunden später hatte ich einen der dünnen Plastikanzüge mitsamt der Kapuze übergestreift und trug ein Heizgerät an der Hüfte. Ich wußte nicht, wie lange die Ladung des Geräts vorhalten würde, doch ich nahm nicht an, daß ich sie lange brauchen würde. Dann nahm ich dem zweiten Mann den Beutel mit Geschossen ab und warf ihn mir über die Schulter. Schließlich brachte ich die beiden Waffen an mich.
Noch ein Gegenstand lag auf dem Eis, ein kleines Funkgerät. Aus dem Lautsprecher tönte eine Stimme, die auf Goreanisch drängende Fragen stellte. Ich beschloß, nicht zu antworten. Sollte der Mann sich ruhig fragen, was da oben auf der zerklüfteten Eisinsel geschehen war. Hätte ich geantwortet, wäre ich wohl schnell als menschlicher Eindringling identifiziert worden, an meiner Stimme oder zumindest an meinem Unvermögen, die richtige Parole zu äußern. Ohne klare Antwort konnte der Mann am Gerät annehmen, daß mein Funkgerät nicht funktionierte, daß ein Unfall geschehen war oder daß ein Eis-Ungeheuer die Patrouille angegriffen hatte. Bald würde man der Sache nachgehen, was mir nicht mißfiel. Je mehr Männer sich außerhalb der Anlage befanden, desto weniger waren drinnen. Und die verschiedenen Ausgänge ließen sich bestimmt nicht von außerhalb öffnen. Und wenn doch, konnte man den Mechanismus sperren oder vernichten. Ich wußte, drinnen hatte ich mindestens einen Verbündeten, der sein Leben für mich riskieren würde – Imnak. Er hatte schon viel gewagt.
Nach kurzer Zeit fand ich einen Ventilations-Schacht, durch den frische Luft in die Anlage gesaugt wurde; in der Nähe fand ich weitere Öffnungen – einige für Frischluft, andere für den Ausstoß der verbrauchten Atmosphäre. Die Kurii haben große Lungen und müssen ihren Blutkreislauf sehr mit Sauerstoff anreichern. Deshalb legen sie größten Wert auf eine reine Atmosphäre. Das Außengitter des Schachts ließ sich nicht entfernen. Es war am Metall festgeschweißt.
Ich trat einige Schritte zurück und drückte den Feuerknopf an einer der Röhrenwaffen. Sofort schob ich einen neuen Pfeil in die Kammer, aber ein zweiter Schuß war nicht mehr erforderlich. Das Metall war losgebrochen und ragte verdreht in die Höhe.
Die Öffnung war nicht groß, würde aber ausreichen. Ich tastete an der Innenseite des geschwärzten Schachts herum, fand aber keine Handgriffe oder Sprossen. Ich kannte die Tiefe des Schachtes nicht, schätzte ihn aber auf hundert Fuß oder mehr. Ich hatte kein Seil. Ich ließ mich in die Öffnung gleiten, den Rücken gegen die eine Seite, die beiden Füße gegen die andere Seite gestemmt. So stieg ich Zoll um Zoll abwärts. Es war eine anstrengende Kletterpartie. Ich brauchte mich nur einmal in Position oder Hebelwirkung zu verschätzen und würde dann hilflos in den Schacht stürzen, bis ich in unbekannter Tiefe aufprallte.
Für den Abstieg brauchte ich mehr als eine Viertel-Ahn.
Die letzten zwanzig Fuß glitt ich dahin und landete mit metallischem Klirren am Ende des Schachts. Das Gitter, gut sieben Fuß über dem Stahlfußboden eines großen Raumes, saß nicht so fest wie der obere Verschluß. Zu meinem Erstaunen konnte ich es mühelos abnehmen.
»Wo bleibst du so lange?« fragte Imnak.
Er saß an einer Wand auf zwei Kisten und schnitzte aus einem Sleen-Knochen einen Parsitfisch.
»Ich wurde aufgehalten.«
»Du hast großen Krach gemacht«, stellte Imnak fest.
»Tut mir leid.«
Jetzt bemerkte ich, daß die Schrauben, die das Gitter hielten, entfernt worden waren.
»Woher wußtest du, daß du mich hier finden würdest?«
»Ich dachte mir gleich, daß du Mühe haben würdest, den Wächtern dein Eintrittsbegehren zu begründen.«
»Aber es gibt doch sicher viele Belüftungsschächte.«
»Ja«, sagte Imnak, »aber nicht viele, in denen Leute herumkriechen.«
»Hier«, sagte ich und reichte Imnak eine der Röhrenwaffen und etliche Projektile aus dem Beutel über meiner Schulter.
»Was soll man mit der Waffe?« fragte Imnak. »Sie zersprengt das Fleisch, und man kann an der Spitze keine Leine festmachen.«
»Man kann damit Leute erschießen.«
»Ja, dazu mag sie angehen.«
»Ich habe die Absicht, den Sprengsatz dieser Station zu finden und zu zünden. Damit wollen die Kurii verhindern, daß ihr Arsenal in unbefugte Hände fällt.«
»Das sind komplizierte Worte«, sagte Imnak.
»Ich suche einen Schalter oder Hebel, der diese ganze Anlage – peng! krach! – auseinanderfliegen läßt – so wie der Pfeil, wenn er sein Ziel trifft.«
»Du willst eine Explosion auslösen?« fragte Imnak.
»Ja – woher kennst du das Wort?«
»Karjuk hat mir davon erzählt.«
»Wo ist Karjuk?«
»Irgendwo draußen«, sagte Imnak.
»Hat er je von einer Einrichtung gesprochen, die die Anlage hier vernichten kann?«
»Ja.«
»Hat er dir gesagt, wo sie sich befindet?«
»Nein«, antwortete Imnak. »Ich glaube auch nicht, daß er weiß, wo das Ding ist.«
»Imnak, nimm diese Waffe und führe möglichst viele Mädchen aus der Station heraus.«
Imnak zuckte verwirrt die Achseln. »Und was ist mit dir?«
»Um mich mach dir keine Sorgen.«
»Na schön«, sagte Imnak und wandte sich zum Gehen.
»Und wenn du Karjuk siehst«, sagte ich, »bringst du ihn um.«
»Das wäre Karjuk aber nicht recht.«
»Trotzdem, tu’s!«
»Und woher bekommen wir einen neuen Wächter?«
»Karjuk bewacht nicht das Volk, sondern die Kurii.«
»Woher weißt du, was er bewacht?«
»Beeil dich!« sagte ich. »Hol die Mädchen zusammen!«
»Ist es dir recht, wenn ich mir um dich doch ein wenig Sorgen mache, Tarl, der mit mir jagt?«
»Ja, ja, ein wenig kannst du dir Sorgen machen.«
»Gut«, sagte Imnak. Dann machte er kehrt und verschwand im Korridor.
Ich hob den Kopf. An der Decke verliefen die Sklavenschienen, die den Bewegungsraum der Sklaven bestimmten.
In diesem Augenblick bogen weiter unten zwei Männer in braunschwarzen Tuniken um eine Ecke.
»Warum trägst du den Anzug?« fragten sie mich.
»Ich komme von der Oberfläche«, sagte ich. »Dort oben gibt es Ärger.«
»Was für Ärger?«
»Das wissen wir noch nicht.«
»Gehörst du zur Sicherheitsabteilung?« fragte einer der Männer.
»Ja.«
»Euch bekommt man nicht oft zu Gesicht.«
»Es ist besser, wenn ihr nur eure eigenen Abschnitte kennt«, sagte ich.
»So ist es sicherer«, sagte einer.
»Ja«, meinte der andere.
»Macht sofort Meldung, wenn ihr etwas Verdächtiges bemerkt!« rief ich ihnen zu.