Die Kette mitziehend, marschierte ich durch den Korridor. Sicher war mein Verhalten auffällig: eine Kette ohne Mädchen mußte Neugier erwecken.
Ich kam an etlichen Türen vorbei. Dahinter lagen Trainingsräume, Wohnungen, Ausbildungszimmer. Wenn ich mir lediglich ein Versteck suchte, würden die Helfershelfer der Kur nur viel Zeit brauchen, mich zu finden. Doch ansonsten wäre nichts erreicht. Ich folgte einer Treppe in eine untere Ebene. Mühelos ließ sich die Kette mit in die Tiefe ziehen.
Hinter einer Ecke klang Getrappel auf; eine große Gruppe Männer näherte sich. Ich ließ die Kette baumeln und suchte hastig Zuflucht in einem Nebenraum, einer Küche. Aus einem Korb nahm ich mir ein Brötchen und begann zu essen. Die Männer eilten vorbei, ohne die Kette zu beachten. Als ich schon wieder in den Korridor treten wollte, fuhr ich hastig zurück. Ein Wächter begleitete eine freie Frau, die eine Verhüllungsrobe trug. Erst jetzt ging mir auf, daß womöglich auch freie Frauen in der Station waren. Es gab einen Eindringling im Komplex, also wurde sie an einen sicheren Ort gebracht. Vielleicht war auch zu erwarten, daß diese Ebene durchsucht wurde. Ich schluckte den letzten Bissen hinunter und verließ die Küche.
Draußen kamen mir zwei weitere Wächter mit zwei freien Frauen entgegen.
»Hier ist er nicht«, sagte ich und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Küche, die ich eben verlassen hatte. »Los! Beeilung!« spornte ich sie an.
Sie beschleunigten ihre Schritte.
Im Vorbeigehen erhaschte ich einen Blick auf einen aufreizend schlanken Fuß unter einer der Verhüllungsroben. Ich lächelte. Vermutlich wußten die freien Frauen nicht, daß sie zu Sklavinnen gemacht werden würden, sobald ihre politische und militärische Arbeit für ihre Gruppen beendet war.
Von hinten näherte sich ein Mann. Mit gehobener Waffe fuhr ich herum.
»Nicht schießen«, sagte er. »Ich bin Gron aus der Al-Ka-Sektion.«
»Was suchst du hier?«
»Ich muß Lady Rosa holen.«
»In welcher Wohnung befindet sie sich?«
»Zweiundvierzig«, antwortete er. »Mittelebene Minus Eins, MU-Korridor.«
»In Ordnung«, sagte ich und senkte die Waffe. Er atmete sichtlich auf.
»Ich hole sie für dich.« Ja, ich brauchte eine Frau. »Du kehrst sofort in den Al-Ka-Sektion zurück.«
Er zögerte.
»Los! Beeilung!« sagte ich zornig. »Die ganze Station befindet sich möglicherweise in Gefahr.«
Er hob bestätigend die Hand und machte kehrt. Dann entfernte er sich durch den Korridor.
Goreanische Schriftzeichen, die hoch oben an einer Wand nahe einer Gangkreuzung angebracht waren, verrieten mir, daß ich mich im MU-Korridor befand. Vermutlich war ich auch in der richtigen Ebene, da mein Gespräch mit dem Mann in ziemlich großer Entfernung von der nächsten Treppe stattgefunden hatte.
Ich hatte schon eine Zeitlang keine anderen Leute mehr gesehen.
Nach kurzer Zeit erreichte ich die Stahltür mit dem Zeichen für zweiundvierzig. Eine Abzweigung der Deckenschiene führte durch die Tür, damit Lady Rosa von angemessen angeketteten Sklavinnen bedient werden konnte. Ich öffnete die Tür und zog die Kette mit mir über die Schwelte. Die Wohnung, die sich vor mir auftat, war luxuriös eingerichtet. Das einzige Licht kam von fünf Kerzen auf einem mannshohen Ständer. Überall bemerkte ich reich verzierte Schnitzereien. Zusammenfahrend erhob sich eine Frau von einem großen runden Bett, auf dem sie gesessen hatte. Sie trug eine Verhüllungsrobe.
»Du mußt anklopfen, du Dummkopf!« sagte sie. »Ich hatte kaum Zeit, mein Gesicht zu verbergen.«
Mit blitzenden Augen sah sie mich an. Trotz des Schleiers waren ihre Züge zu erkennen. Sie hatte ein schmales, sehr schön geformtes Gesicht mit großen dunklen Augen und schwarzblaues Haar, das unter der Kapuze der Robe an den Seiten des Kopfes straff anlag. Ihre Wangenknochen waren hoch. Ihr Gesicht wirkte aristokratisch und abweisend.
»Du bist die Lady Rosa?« fragte ich.
Sie musterte mich herablassend. »Ich bin Lady Graziela Consuelo Rosa Rivera-Sanchez«, sagte sie. »Was ist überhaupt los?«
»Es gibt einen Eindringling in der Station«, antwortete ich.
»Hat man ihn schon aufgespürt?«
»Nein. Wie lange lebst du schon in der Station?«
»Vier Monate«, antwortete sie.
»Ist dir das System von Schiene und Kette bekannt?«
»Natürlich.«
»Und die entferntesten Endpunkte des Systems?«
»Ja«, sagte sie. »Wo die Schienen enden, müssen auch die Menschen halt machen.«
Ich lächelte.
»Wie konnte ein Eindringling in die Station gelangen?«
»Durch einen Entlüftungsschacht«, sagte ich. »Du sprichst das Goreanische ziemlich gut«, fuhr ich fort.
»Man hat mich gut ausgebildet. Außerdem habe ich ein Sprachtalent.«
Das war sicher von Vorteil für sie.
»Was will denn der Eindringling?«
»Im Augenblick braucht er eine Frau«, sagte ich.
»Ich verstehe das nicht.«
»Zieh dich aus!« forderte ich.
Sie blickte mich erstaunt an.
»Oder ich übernehme das für dich!« sagte ich. »Ich bin nämlich der Eindringling«, setzte sie hinzu.
»Niemals!« sagte sie und trat einen Schritt zurück.
»Na schön«, sagte ich. »Leg dich auf das Bett, auf den Bauch, Hände und Beine auseinander!« Ich zog das Messer, das ich im Gürtel stecken hatte. Es ist nicht ratsam, einer freien Frau mit bloßen Händen die Kleidung wegzunehmen. Sie mag sich mit vergifteten Nadeln zu schützen versuchen.
»Du machst Witze!« sagte sie. »Du wagst es nicht!«
»Auf das Bett!« forderte ich.
»Ich bin Lady Graciela Consuelo Rosa Rivera-Sanchez!« fauchte sie,
»Das sagtest du schon. Wenn du hübsch genug bist, nenne ich dich vielleicht Pepita.«
»Du nimmst mir die Kleider weg, nicht wahr?« fragte sie.
»Ich bin Goreaner«, sagte ich und machte einen Schritt auf sie zu.
»Faß mich nicht an!« sagte sie hastig. »Ich mache es selbst.«
Widerstrebend näherten sich die kleinen Hände den Haken am Hals.
»Du würdest einen hohen Preis bringen«, sagte ich.
Zornig blickte sie mich an und warf den Schleier zur Seite.
»Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
Nach kurzer Zeit trug sie nur noch ein seidenes Unterkleid. Ihre Haut war sehr hell, das lange dunkle Haar reichte ihr bis auf die Hüften. Mit dem Messer zerschnitt ich die Schulterbänder des dünnen Seidengewandes. Mit dem Messerrücken fuhr ich ihr dabei an der Haut entlang, bis sie erschauderte. »Was willst du von mir?« fragte sie. »Willst du mich vergewaltigen?«
Dabei blickte sie auf das große runde Bett hinter sich.
»Das Recht, mir auf einem solchen Bett zu dienen, mußt du dir erst verdienen«, sagte ich.
Ich griff ihr ins Haar und zerrte sie zur Seite des Raums. Einen Sandalenschnürsenkel band ich ihr um die Hüfte und hüllte sie in einen Streifen roter Seide, der mehr erkennen ließ, als er verdeckte.
Entsetzt starrte sie mich an.
»Als Sklavenseide genügt das vollkommen«, sagte ich.
Ich zerrte sie vor einen Spiegel, und sie betrachtete sich jammernd. »Ich habe dich in rote Seide gesteckt«, sagte ich.
»Das gehört sich nicht!« sagte sie mit zusammengepreßten Zähnen.
»Vielleicht paßt es bald doch«, sagte ich.
Sie wehrte sich heftig, doch vergeblich. Dann beruhigte sie sich. »Ich gebe dir Gold, viel Gold, wenn du mich in Ruhe läßt«, sagte sie.
»Ich will dein Gold nicht.«
Erschrocken sah sie mich an.
Ich zerrte sie zum Eingang der Wohnung, wo die Kette an der Schiene baumelte.
»Was willst du von mir?« rief sie. »Die Kacheln fühlen sich kalt an! Binde mich los. Nein!«