An der Tür zu Zarendargars Raum blieb ich stehen und hob das Pfeilgewehr. Aber die Tür war offen.
Es hatte in der Station heftige und blutige Kämpfe gegeben. Viele Besatzungsmitglieder der Station und rothäutige Jäger waren gefallen. Der Widerstand war von dem riesigen Kur mit dem zerfetzten linken Ohr geleitet worden. Aber die Zahl der rothäutigen Jäger war zu groß gewesen. Als der Kampf verloren schien, hatte er es den Kurii und den Menschen freigestellt zu fliehen oder sich zu ergeben. Von den Kurii hatte keiner kapituliert. Die meisten hatten bis zum Äußersten gekämpft und waren getötet worden. Einige waren verwundet geflohen und in die arktische Nacht verschwunden. Zarendargar hatte sich in seine Bastion zurückgezogen.
Die Tür stand offen. Mit dem Lauf meiner Waffe stieß ich sie auf. Vorsichtig glitt ich über die Schwelle und senkte die Waffe.
»Sei gegrüßt, Tarl Cabot«, tönte es aus dem Übersetzungsgerät.
Wie schon einmal erblickte ich Zarendargar auf dem pelzbelegten Podest. Ganz in seiner Nähe lag ein kleines Gerät.
Die riesige Gestalt richtete sich schwerfällig in eine sitzende Stellung auf und beobachtete mich.
»Verzeih mir, mein Freund«, sagte sie. «Ich habe viel Blut verloren.«
»Dann wollen wir deine Wunden verbinden«, sagte ich.
»Trink einen Schluck Paga«, antwortete das Ungeheuer und deutete auf die Flaschen und Gläser an der Wand.
Ich ging zu dem Regal, warf mir das Pfeilgewehr über die Schulter und schenkte zwei Gläser Paga ein. Eines gab ich Zarendargar, das andere behielt ich für mich. Dann setzte ich mich mit untergeschlagenen Beinen vor der Plattform nieder, nach Art eines Kriegers.
»Du bist mein Gefangener«, sagte ich zu Halb-Ohr.
»Das glaube ich nicht«, kam die Antwort. Der Kur griff nach dem kleinen Metallgerät das neben ihm auf dem Podest gelegen hatte. Es verschwand in seiner linken Pfote.
»Ich verstehe«, sagte ich. Meine Nackenhaare begannen sich zu sträuben. Ein Kribbeln lief mir über den Rücken.
»Trinken wir auf deinen Sieg!« sagte er und hob das Glas. »Auf den Sieg der Menschen und Priesterkönige k
»Du bist großzügig.«
»Ein Sieg in einer Schlacht ist noch kein gewonnener Krieg«, sagte er.
»Das stimmt.«
Wir stießen an und tranken.
Der Kur stellte das Glas fort und hob das metallische Gebilde. Ich erstarrte.
»Ich kann diesen Schalter bedienen«, sagte er, »ehe du schießen könntest.«
»Das ist mir klar«, sagte ich. »Du blutest«, fügte ich hinzu.
Der Kur hob das Metallgebilde. »Dies hast du gesucht«, sagte er.
»Natürlich«, gab ich zurück. »Ich habe zu spät begriffen, wo ich es zu suchen hatte.«
»Du wirst mich nicht lebendig gefangennehmen können«, sagte Halb-Ohr.
»Eine Kapitulation ist nichts Ehrenrühriges. Du hast gut gekämpft, aber verloren.«
»Ich bin Halb-Ohr, ein Kur«, lautete seine Antwort.
»Ist die Station denn so wertvoll, daß du sie zerstören möchtest?« fragte ich.
»Die Vorräte hier und die Aufmarschpläne, die Unterlagen und Kodebücher dürfen den Priesterkönigen nicht in die Hände fallen«, sagte das Wesen und sah mich an. »Ich habe hier zwei Schalter an dem Gerät«, fuhr es fort und hob das Gebilde. »Ich brauche nur einen der Hebel zu betätigen«, sagte er, »und zwei Dinge nehmen unwiderruflich ihren Lauf. Erstens wird aus der Station ein Signal an die Stahlwelten gefunkt. Dieses Signal, das von den Kundschafterschiffen wie auch von der Flotte empfangen werden kann, informiert meine Artgenossen von der Vernichtung der Station, von dem Verlust dieser Munition und des Kriegsmaterials.«
»Und der zweite Teil des Impulses, gleichzeitig ausgelöst, betrifft die Vernichtung der Anlage«, ergänzte ich.
»Natürlich«, sagte Halb-Ohr.
Sein Finger lag auf dem Schalter.
»Es befinden sich noch zahlreiche Menschen in der Station«, sagte ich.
»Aber keine Kurii.«
»Das stimmt. Aber Menschen, Und viele davon, jetzt gefangen, waren deine Helfershelfer.«
Der Kur drückte den zweiten Schalter.
Ich verkrampfte mich, doch der Raum, die Anlage, flog nicht in die Luft.
»Der zweite Schalter ist betätigt«, sagte er. »Das Signal an die Welten, die Flotte ist hinausgegangen. Außerdem ist die Vernichtung unserer Basis eingeleitet.«
»Aber es ist die zweite Variante«, sagte ich.
»Ja, die zweite Variante, die genug Zeit läßt für die Evakuierung der Anlage.«
»Wieviel Zeit?«
»Drei Kur-Ahn«, lautete die Antwort. »Das Gerät ist natürlich auf Kur-Zeitrechnung eingestimmt, die sich nach der Rotation unserer Heimatwelt richtet.«
»Dieselbe Zeit, die hier in der Station gilt?«
»Natürlich.«
»Das wären gut fünf goreanische Ahn«, sagte ich.
»Ungefähr. Ich würde euch aber raten, eine gute Kur-Ahn entfernt zu sein, wenn die Anlage explodiert.«
»Ich werde schnell handeln«, sagte ich. »Du mußt uns begleiten.«
Der riesige Kur legte sich mit geschlossenen Augen auf die Plattform.
»Nein«, sagte er. Blut strömte über dem riesigen Körper des Ungeheuers.
»Wir können dich fahren«, sagte ich.
»Wer mir zu nahe kommt, wird sterben!«
»Wie du willst.«
»Ich bin Zarendargar, Halb-Ohr«, sagte das Wesen. »Ich bin zwar in Ungnade gefallen, ich habe versagt, doch ich bin Zarendargar, Halb-Ohr, ein Kur.«
»Ich lasse dich jetzt allein«, sagte ich.
»Dafür bin ich dir dankbar. Du scheinst dich recht gut in unser Denken hineinversetzen zu können.«
»Es unterscheidet sich nicht sehr von dem des Kriegers«, sagte ich.
Ich schenkte noch ein Glas Paga ein und ließ es in seiner Reichweite auf der Plattform stehen.
Dann wandte ich mich ab und begab mich zur Tür. Er wollte alleingelassen werden, er wollte in der Dunkelheit verbluten; niemand sollte sein Leiden beobachten. Die Kurii sind stolz.
Auf der Schwelle machte ich kehrt. »Ich bin stolz, dich kennengelernt zu haben, Kommandant«, sagte ich.
Das Übersetzungsgerät blieb stumm. Ich ging.
34
Befehle wurden gegeben.
Zwei Ahn später waren wir bereit, die Station zu verlassen. Schlitten standen bereit, Gefangene waren in Pelze gehüllt und gefesselt worden; ihnen drohte ein Sklavenschicksal. Die Frauen, die wir in der Kur-Basis gefunden hatten, waren auf ähnliche Weise aneinandergefesselt worden. Sie würden es lernen, rothäutigen Herren zu dienen.
»Du möchtest doch sicher auch ein Mädchen haben, das dich warmhält und dir Freude bereitet?« wandte sich Imnak an Karjuk, den Wächter des Volkes.
»Ich bin ein mürrischer, verschlossener Mann«, sagte er und schnürte ein Bündel, um es auf seinen Schlitten zu tun.
Imnak blinzelte mir zu. »Komm mit, du ernster Freund«, sagte er. »Ich wollte dir etwas zeigen.«
»Ich weiß wenig von solchen Dingen«, sagte Karjuk.
»Vielleicht kann dir so ein Mädchen den Schlitten ziehen.«
Wir marschierten durch einen Gang und betraten einen großen Raum. In der Mitte kniete eine junge rothäutige Frau, die einzige Angehörige des Volkes, die man in der Station als Sklavin gefunden hatte.
»Niemand will dieses Mädchen«, sagte Imnak. »Sie ist Sklavin der Weißen gewesen.«
Das Mädchen hatte Tränen in den Augen. Sie war sehr hübsch, wenn auch klein und rundlich gebaut wie die meisten Frauen der rothäutigen Jäger.
»Was wirst du mit ihr tun?« fragte Karjuk.
»Sie auf das Eis hinausjagen«, antwortete Imnak. »Sie ist eine Schande für das Volk.«
»Ich lebe außerhalb«, sagte Karjuk.
»Möchtest du sie?«
»Natürlich nicht!« sagte Karjuk hastig. »Sie ist zu hübsch für mich.«
»Kennst du sie denn?« fragte Imnak.
»Sie hieß einmal Neromiktok und stammt aus dem Lager der kupfernen Klippen«, antwortete er.
»Kennst du ihn?« wandte sich Imnak an das Mädchen. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.