Ich berührte Arlenes Schläfe mit meinem Handschuh. Sie wandte sich um und blickte lächelnd zu mir auf.
»Möchtest du zur Erde zurück?« fragte ich.
»Der Herr treibt seine Scherze mit mir«, sagte sie.
»Natürlich, denn du bist eine aufreizende Sklavin, die sich gut für die Ketten und den Verkauf eignet.«
»Nein«, sagte sie. »Ich möchte nicht auf die Erde zurück. Dort habe ich mich niemals so sinnlich lebendig gefühlt wie hier in der Unterwerfung unter die Männer. Ich bemitleide sogar die freien Frauen dieser Welt, die die Freuden und das Lieben der Sklavin nicht teilen können. Ich möchte nicht zur Erde zurückkehren und dort weiter so tun müssen, als wäre ich ein Mann. Was hat die Erde zu bieten, das mehr als Freude und Glück wiegt?«
»Vielleicht verkaufe ich dich«, sagte ich.
»Das steht dir natürlich frei, Herr, denn ich bin deine Sklavin«, sagte sie. »Wenn du mich verkaufst, dann hoffe ich meinem nächsten Herrn ebenso zu gefallen.«
»Du redest aber gar nicht wie ein Mädchen von der Erde.«
»Ich bin kein Erdenmädchen mehr, sondern eine goreanische Sklavin.«
»Das stimmt.«
Sie kuschelte sich in ihre Felle auf dem Schlitten. Einige rothäutige Jäger drehten ihre Schlitten. »Seht!« sagte Imnak. Ich bemerkte, daß der Sleen die Pfoten hob und Wasser davon herabtropfte.
»Das ist die heiße Luft, die über das Eis streicht«, sagte ich. »Sie geht von der Explosion der Station aus.«
»Nein«, sagte Imnak. »Dort!«
Er deutete in die Ferne. Dort stieg Dampf aus dem Wasser empor.
Ganze Formationen von Packeis glitten ins Meer. »Seht ihr das Wasser?« fragte er. »Es kocht!«
Ich schaute zur Station zurück. Rauch wallte auf. In den oberen Bereichen der Atmosphäre hatte er sich weit ausgebreitet, wie ein Regenschirm, der sich in der dünnen Luft öffnete. Die pilzförmige Wolke war mir auf beunruhigende Weise vertraut. Die Vernichtung der Anlage ging wohl auf einen nuklearen Sprengsatz oder eine Atombombe zurück.
Ich sah den gewaltigen Eisberg, der die Anlage umhüllt hatte, im Meer versinken.
»Das Wasser dort kocht!« rief Imnak.
»Nichts könnte darin überleben«, bemerkte ich.
»Das Ungeheuer ist tot«, sagte er.
»Vielleicht.«
»Du hast das Gesicht am Himmel gesehen«, sagte er.
»Der Apparat, der das Bild ausstrahlt, kann vorher eingestellt gewesen sein.«
»Das Ungeheuer ist tot«, sagte Imnak. »Wenn es nicht in den Räumen und Korridoren der Station gestorben ist, dann bestimmt verbrüht oder ertrunken im Wasser rings um die Eisinsel.«
»Nichts könnte dort überleben«, sagte ein Jäger.
»Das Ungeheuer ist tot«, meinte Imnak.
»Vielleicht«, sagte ich. »Ich weiß es nicht.«
Das Eis unter unseren Füßen begann sich ächzend zu bewegen.
»Los! Beeilung!« rief Imnak.
Ich warf einen letzten Blick auf das ferne brodelnde Schauspiel, mit dem das Meer auf den Vernichtungsapparat reagierte, der von vernunftbegabten Wesen geschaffen worden war.
Die Priesterkönige haben der technischen Entwicklung der Menschen auf dieser Welt konkrete Grenzen gesetzt. Sie ziehen Speer und Pfeil und Bogen vor, bzw. Armbrust, sie mögen das Schwert und den Stahl des Messers. Die Kurii jedoch unterliegen ihren Beschränkungen nicht. Ich fragte mich, von welchem zottigen Prometheus die Kurii vor langer Zeit das Feuer entgegengenommen hatten. Ich überlegte, welche Bedeutung darin lag, in der Flamme, die in der Klaue eines Ungeheuers Bestand gewann,
»Los! Los! Beeilung!« rief Imnak. »Wir müssen ganz schnell machen!«
Werden Grenzen der Natur gesprengt wendet sie sich vielleicht zornerfüllt gegen den Verursacher.
»Schnell!« forderte Imnak und rüttelte mich an der Schulter. »Das Ungeheuer ist tot!« wiederholte er.
Ich dachte an Zarendargars Gemach und an zwei Gläser, die an einer Stahlmauer zerschmettert worden waren.
Dann hob ich die Hand in Richtung der brodelnden, dampfenden Insel im Meer.
»Schnell!« rief Imnak.
Ich drehte den Schlitten und ließ über dem Kopf meines Sleen die Peitsche knallen. »Los!« rief ich. »Los!«
Der Sleen grub seine Krallen in das Eis und warf sein Gewicht in das Geschirr.
Hinter mir riß das Eis auf, und mein Fuß patschte durch Wasser. Ich schob den Schlitten mit voller Kraft auf das feste Eis hinauf und raste peitscheschwingend davon.
36
Leise schloß ich die Tür des Festhauses hinter mir. Ich glaubte nicht, daß man mein Verschwinden bemerken würde.
Drinnen vergnügten sich die Angehörigen von Imnaks Lager, Es gab dampfendes Fleisch in Mengen. Es wurde gelacht und gesungen. Draußen hatte es leicht zu schneien begonnen. Die Geräusche des Fests drangen schwach aus dem niedrigen, halb in den Boden gebauten Festhaus. Ich blickte zur Küste des Polarmeeres hinunter, jenes nördlichen Ausläufers des Thassa. Am mondhellen Himmel standen funkelnde Sterne.
Ich begab mich zu den Schlitten.
Im Innern des Festhauses hatte Imnak zu singen begonnen. Dies machte mir größte Freude. Der Berg, der sich früher vor ihm aufzurichten schien, ängstigte ihn nicht mehr. Jetzt wußte er, daß der Berg ihn willkommen hieß. »Niemand weiß, woher die Lieder kommen«, heißt es beim Volk. Doch jetzt hatte Imnak seine Lieder gefunden. Sie stiegen in ihm auf wie das Aufgehen der Sonne nach langer Nacht, wie das Aufblühen der Tundra im Frühling, übersät mit winzigen weißen und gelben Blüten.
Im Festhaus sang Imnak. Und Poalu war bei ihm. Ich überprüfte das Geschirr des Schnee-Sleen an meinem Schlitten. Es war alles in Ordnung. Das Tier war unruhig.
Es standen acht Schlitten bereit. Ram und Drusus hatten ihre Abreise vorbereitet, und außer meinem Schlitten standen dort die Fahrzeuge von fünf Jägern bereit, die uns über den Axtgletscher in den Süden begleiten wollten. An der linken hinteren Strebe von Drusus’ Schlitten angebunden warteten zwei Mädchen, die er sich in der Station der Kurii unterworfen hatte. Neben Rams Schlitten stand Tina, und auch die Jäger hatten ihre Sklavinnen an ihren Schlitten festgemacht. An meinem Schlitten wartete eine ganze Kette von Mädchen – an erster Position Arlene, gefolgt von Audrey, Barbara und Constance, während Belinda das fünfte Mädchen war, und in letzter Position, am weitesten außen, die ehemalige Lady Rosa auf mich wartete. Sie alle trugen wärmende Felle. Ringsum wehte der Schnee.
Ich begab mich an das Ende der Reihe und nahm das letzte Mädchen an der Leine sanft in die Arme, Ich küßte sie.
»Wie soll ich dich nur nennen?« fragte ich. »Rosita? Pepita?«
»Nenn mich, wie du willst, Herr«, sagte sie. »Ich gehöre dir, voll und ganz.«
Ich ging zum fünften Mädchen an der Leine, Belinda, die ich in der Station der Kurii gefunden hatte. Ich küßte sie ebenfalls.
»Du bist bereits gebrandet«, sagte ich zu ihr.
»Brande mich tausendmal«, sagte sie, »und jedesmal werde ich noch mehr dir gehören. Mit jeder Berührung drückst du mir dein Brandzeichen auf.«
»Du bist Sklavin. Für dich gälte das gegenüber jedem Herrn.«
Sie senkte den Kopf. »Ja, Herr«, sagte sie.
Ich ging zu Constance weiter, die als viertes Mädchen an der Leine stand.
»Herr«, sagte sie, als ich sie geküßt hatte.
»Ja?«
»Du wolltest mich in Lydius verkaufen.«
»Ja.«
»Hast du das noch vor?«
»Nein. Ich werde dich mit nach Port Kar nehmen.«.
»Vielen Dank, Herr«, sagte sie erleichtert.
»In Port Kar gibt es viele Sklavenmärkte.«
»Willst du mich nicht behalten?« fragte sie bestürzt.
»Vielleicht ein Weilchen.«
»Ich werde mir große Mühe geben, dir zu gefallen!«
»Das wirst du sowieso tun, oder du bekommst die Peitsche zu spüren. Oder wirst gefesselt in einen Kanal geworfen, wo die Urts sich über dich hermachen. So etwas geschieht in Port Kar öfter.«
Lachend gab ich ihr einen Stoß. Sie küßte mich. Vielleicht würde ich sie behalten. Ich wußte es noch nicht. Ich konnte in aller Ruhe darüber entscheiden.