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Ich trank einen großen Schluck aus dem Wasserbeutel, den ich wieder verschloß und an der Zeltwand verstaute. Das Zelt hat einen Durchmesser von etwa fünfzehn Fuß und ist daher ziemlich geräumig. In solchen Zelten haben Familien von fünf bis acht roten Wilden bequem Platz. Gewiß, der größte Teil der Zeit wird im Freien verbracht, außerdem mögen Lebensumstände dem einen, der aus einer bestimmten Kultur kommt, beengt erscheinen, während sie einem anderen mit anderer Herkunft genau richtig und sogar gemütlich erscheinen. Das Aufeinanderleben in Familie und Gemeinschaft, mit all seinen Vor- und Nachteilen, ist typisch für die Existenz des roten Wilden. Ich nahm nicht an, daß er es sich anders wünschte. Gewiß kommt es vor, daß ein Mann gelegentlich die Unterkunft seiner Kriegergemeinschaft aufsucht, wohin ihm Kinder und Frau nicht folgen dürfen. In seinem Klub, wenn man das so bezeichnen kann, findet er dann ein wenig Frieden und Ruhe, die ihm zu Hause fehlen. Außerdem sind die Meditation und das Erstreben von Visionen und Träumen einsame Tätigkeiten. Man kann anzeigen, daß man meditiert, indem man sich einfach eine Decke über den Kopf zieht, selbst wenn dies mitten in einem überflüllten Lager geschieht. Dann wird der Betreffende in Ruhe gelassen. Träumen und Visionen geht man allerdings eher in der Wildnis nach.

»Howo, Tatankasa!« sagte Cuwignaka und schob den Kopf ins Zelt. »Komm, komm, Roter Bulle!«

»Ich komme ja schon«, sagte ich und trat ins Freie. Obwohl es noch völlig dunkel war, vermochte ich Gestalten auszumachen, die sich ringsum bewegten. Cuwignaka hatte die beiden Lastengestelle bereits angeschirrt.

Im Lager herrschte ein aufgeregtes Durcheinander. Ich verschwand zwischen zwei Zelten.

»Wo hast du gesteckt?« fragte Cuwignaka bei meiner Rückkehr.

»Was glaubst du?« fragte ich. »Ich bin dem Ruf der Natur gefolgt!«

Zwei rote Wilde ritten vorbei. Es waren Sleensoldaten. In einem der beiden erkannte ich Hci.

»Wir brechen jeden Moment auf«, sagte Cuwignaka. »Das bezweifle ich«, widersprach ich. Hci zog seine Kaiila herum und ließ sie vor uns halten. Er trug eine lange Lederhose und Mokassins. Um seinen Hals baumelte ein Band aus Sleenklauen, und das Haar war zu Zöpfen geflochten. An der linken Hüfte führte er den noch nicht gespannten Bogen und einen Köcher mit Pfeilen. Am Gürtel steckte ein Messer in einer perlenbesetzten Scheide. Hcis Kaiila besaß ein Zaumseil, das hinten über den Hals führte; ein Hilfsmittel, das beim Kampf oder auf der Jagd allerdings kaum benutzt wird. Der Reiter lenkt das Tier vorwiegend mit den Knien. Auf diese Weise sind seine Hände frei für den Einsatz des Bogens oder anderer Hilfsmittel. Über dem Hals hängt allerdings ein loses Stück Seil, das seitlich hinter die Kaiila geworfen wird. Sollte der Reiter im Gewirr der Jagd zu Boden müssen, kann er sich vielleicht die Kontrolle über sein Tier zurückholen, indem er das Seil oder einen Steigbügel packt und hastig wieder aufsteigt. Hci ritt übrigens ein ausgezeichnetes Tier, was durch die eingekerbten Ohren angezeigt wurde. Bei erstklassigen Tieren werden beide Ohren gekennzeichnet.

»Denk daran, hübsche Siptopto«, sagte Hci spöttisch zu Cuwignaka, »du darfst nicht mitjagen! Du mußt dich im Hintergrund halten. Deine Aufgabe ist es, mit den anderen Frauen Fleisch zu schneiden.« ›Siptopto‹ war ein beleidigender Spitzname, den Hci manchmal gegenüber Cuwignaka benutzte, ein Name, wie er einer Sklavin gegeben werden konnte. Das Wort bedeutete ›Perlen‹.

»Ich bin keine Frau«, sagte Cuwignaka.

»Du hältst dich beim Jagen im Hintergrund«, sagte Hci. »Du wirst mit den anderen Frauen Fleisch schneiden. Du und dein Sklave.«

Dann drehte Hci seine Kaiila und folgte den anderen Reitern.

»Bereitet eure Pfeile vor!« wurde gerufen. »Bereitet eure Pfeile vor! Schärft eure Messer! Schärft eure Messer! Wir werden Fleisch erringen!« Langsam ritt Agleskala, der Ausrufer der Sleensoldaten, durch das Lager.

Hinter ihm folgten in einer Reihe etliche Jäger aus der Gemeinschaft der Sleensoldaten. Sie waren ähnlich wie Hci gekleidet und ausgerüstet. Zwei Männer aber trugen anstelle von Pfeil und Bogen kurze breite Jagdlanzen.

Hinter den Soldaten, sorgsam darauf bedacht, nicht zu weit nach vorn zu geraten, erschienen die ersten Jäger und passierten uns auf ihren Reittieren.

Einige Meter weiter vorn wartete bereits eine Gruppe von Kaiilareitern, unter ihnen ein älterer Mann, Mitglied der Sleensoldaten. Er richtete das Wort an eine Gruppe von fünf oder sechs jungen Männern, beinahe noch Knaben. Für sie war dies wohl die erste Jagd, die sie nicht nur aus der Ferne verfolgen durften, sondern bei der sie sich auch zwischen die Tiere begeben mußten. Ich schritt aus, bis ich verstehen konnte, was gesprochen wurde. »Denkt daran«, sagte der ältere Mann, »ihr jagt heute nicht für euch. Ihr jagt für andere. Sicher wird es Jäger geben, die heute keine Beute machen. Ihr werdet für sie jagen. Und dann jene in den Lagern, die zu schwach und zu gebrechlich sind. Eure Jagd gilt auch ihnen. Und dann die Kranken und Verwundeten. Für sie alle und viele andere, für Männer, die weniger gut dran sind als ihr, geht ihr heute auf die Jagd. Denkt immer daran, daß dies alles nicht nur für euch geschieht. Man jagt niemals für sich allein. Man jagt für die Kaiila.«

»Howe, howe!« riefen die Jungen.

»Gute Jagd!« sagte er zu ihnen. »Oglu waste! Viel Glück!«

Dann zogen alle die Kaiilas herum, um ihren Platz in der Jagdgruppe einzunehmen.

Die Beute seiner allerersten Jagd schenkt ein Junge an andere weiter. Nur die Zunge des ersten Tieres, das beliebteste Fleisch, steht ihm für seine Tüchtigkeit und seinen Mut zu. Diese Sitte scheint die jungen Leute von Anfang an dazu anregen zu wollen, die gebührende Großzügigkeit und Fairneß des Kriegers zu üben.

Ich kehrte zu Cuwignaka zurück.

»Wir ziehen bald los«, sagte er.

»Ich glaube, du hast recht«, erwiderte ich.

Bei einer solchen Jagd werden die Zelte übrigens nicht abgebrochen. Die Pte, eine Herde dieser Größe, bewegt sich so langsam, daß sie drei oder vier Tage lang in Reichweite sein würde. Natürlich ließe sich das gesamte Lager der roten Wilden schnell auflösen; es dauert weniger als zwanzig Ehn, bis ein solches Lager eingerissen, verpackt und weitergezogen ist. Natürlich hat dies auch mit der Bauweise der Zelte zu tun. Ohne Hilfe vermag eine Frau einen solchen Bau in fünfzehn Ehn zu errichten – und in drei Ehn wieder einzureißen.

»Canka«, sagte Cuwignaka beim Anblick des Bruders, der seine Kaiila vor uns verhielt.

»Sei gegrüßt, mein Bruder!« erwiderte Canka.

»Sei gegrüßt, Bruder!« rief Cuwignaka fröhlich. »Was gedenkst du heute früh zu tun?«

»Ich glaube, ich sehe mir mal die Pte an«, antwortete Canka lächelnd.

»Wo ist Winyela?« erkundigte sich Cuwignaka. »Reitet sie mit? Soll sie uns begleiten? Wir achten auf sie.«

»Sie zieht mit«, antwortete Canka. »Aber ich schicke sie mit Wasnapohdi, der Sklavin des Händlers Wapeton. Wasnapohdi hat die Jagd schon einmal mitgemacht und wird sich nicht zu weit vorwagen. Sie kann Winyela zeigen, wie Fleisch geschnitten wird.«

»Winyela ist eine Weiße«, sagte Cuwignaka. »Sie wird sich beim erstenmal übergeben. Sie wird nicht viel zustande bringen.«

»Wenn sie Fleisch verkommen läßt, wird sie bestraft«, sagte Canka.

»Du hast sie doch noch nie bestraft!« behauptete Cuwignaka.

»Wenn sie Fleisch verkommen läßt, soll sie die Peitsche spüren.«

»Gut«, meinte Cuwignaka.