Hci zügelte seine wiehernde Kaiila in einer Staubwolke vor uns.
Die Entstellung war wirklich sehr auffällig. Der scharfe Canhpi hatte das Jochbein durchschlagen.
»Was machst du hier?« wollte Hci im Dialekt der Kaiila wissen. Nach längerem Zusammensein mit Grunt und Cuwignaka und nach meinem Aufenthalt im Isbu-Lager konnte ich den Gesprächen einigermaßen folgen. In gewissem Maß vermochte ich mich in dieser ausdrucksvollen, zischelnden Sprache selbst schon auszudrücken.
»Wir wollen uns die Pte ansehen«, antwortete Cuwignaka.
Ich blickte an Hci vorbei auf die Tiere, die zwei oder drei Pasangs entfernt vorbeizogen. Der Kailiauk ist ein großes, zottiges, trottendes, dreifach gehörntes Wandertier. Es besitzt vier Mägen und ein Herz mit acht Kammern. Es ist gefährlich und gesellig, hat kleine Augen und ein aufbrausendes Temperament. Männchen erreichen in den Schultern eine Höhe von zwanzig bis fünfundzwanzig Hand und wiegen bis zu viertausend Pfund.
»Du hast kein Recht, hier zu sein«, sagte Hci zornig.
»Wir schaden niemandem«, gab Cuwignaka zurück.
»Niemand wird bis zur großen Jagd einen Pte erlegen«, sagte Hci. »Erst dann geht es los. Die Isbu werden jagen. Die Casmu werden jagen. Ebenso die Isanna und die Napoktan und die Wismahi! Und auch die Kaiila werden erst dann jagen!«
Die Namen kennzeichneten die fünf Banden, aus denen sich der Kaiila-Stamm zusammensetzt; dabei ist die Herkunft dieser Namen nicht immer bekannt. Wahrscheinlich bezogen die Isbu oder Kleine-Steine-Bande und die Casmu oder Sand-Bande ihre Namen von geographischen Besonderheiten, wie sie sich in der Nähe bestimmter Flußlager fanden. Die Wismahi- oder Pfeilspitzen-Bande hatte ihr Winterlager angeblich am Zusammenfluß zweier Wasserläufe errichtet, einer Stelle, die der Spitze eines Pfeils ähnlich sah. Andere behaupten, die Gruppe habe früher in einer feuersteinreichen Gegend gewohnt und einen lebhaften Handel mit den benachbarten Stämmen getrieben. Die Armband-Bande, die Napoktan, tragen kupferne Bänder am linken Handgelenk. Außerhalb des Kaiila-Stammes wird diese Bande oft auch Mazahuhu-Bande genannt, das ist der Staubfuß-Name für ›Armband‹. Unbekannt ist mir, woher der Name für die Isanna kommt, die Kleine-Messer-Bande. Zuweilen leiten sich solche Bezeichnungen – wie ich es auch bei den Napoktan vermutete – von den Besonderheiten bestimmter Anführer her, vielleicht auch von einzigartigen geschichtlichen Ereignissen und vielleicht sogar von Träumen. Träume, insbesondere von wichtigen Ereignissen, werden von den roten Wilden sehr ernst genommen. Geschieht es denn nicht in den Träumen, daß man sogar die eigentliche Medizinwelt betreten darf? Stimmt es nicht, daß man in Träumen an den Feuern der Toten sitzen und mit ihnen sprechen kann? Und ist es nicht so, daß man im Traum sogar die Sprache der Tiere verstehen kann? Und sich plötzlich in fernen Ländern wiederfindet, Monde entfernt, nur um dann in der eigenen Unterkunft wieder zu erwachen, vor der eigenen Feuersglut, im Schutz der eigenen Zeltstangen und Häute ringsum?
»Wir sind hier, um uns die Pte anzusehen«, sagte Cuwignaka, »nicht um zu jagen.«
»Das ist gut für dich«, antwortete Hci ärgerlich, »denn du weißt, welche Strafen auf unerlaubtes Jagen stehen.«
Cuwignaka ließ sich zu einer Antwort nicht herab. Gewiß, die Strafen waren nicht von der Hand zu weisen. Man konnte öffentlich entehrt und sogar verprügelt werden. Man konnte seine Waffen verlieren, ebenso Kleidung und sonstiges Eigentum. Nach Auffassung der roten Wilden geht das Wohl des Ganzen, des Stammes, dem Wohlergehen des einzelnen unbedingt vor. In den Augen der roten Wilden steht das Recht, die Gemeinschaft zu gefährden und zu beschränken, nicht dem Individuum zu.
»Verschwinde!« sagte Hci und schwenkte ärgerlich den Arm.
Cuwignaka erstarrte auf dem Rücken seiner Kaiila.
»Das ist ein Befehl«, sagte Grunt auf Goreanisch zu Cuwignaka. »Und er hat die Macht, ihn durchzusetzen. Er ist ein Sleensoldat, und es gehört zu seinen Aufgaben, den Kailiauk aufzuspüren und zu beschützen. Du darfst nichts Persönliches darin sehen. Er tut als Sleensoldat nur seine Pflicht. An seiner Stelle würdest du sicher ähnlich handeln.«
Cuwignaka nickte.
Wir zogen die Kaiila herum, um uns zu entfernen.
»Frauen, Sklaven und Weiße dürfen nicht zu den Pte reiten, auch nicht um sie nur anzuschauen!« rief Hci hinter uns her.
Cuwignaka wendete aufgebracht seine Kaiila. Ich folgte seinem Beispiel und hielt ihn am Arm fest.
»Ich bin keine Frau!« sagte Cuwignaka.
Hci lachte. »O doch!« rief er. »Du solltest Kriegern zu Gefallen sein!«
»Ich bin keine Frau!«
»Du trägst keinen Lendenschurz«, sagte Hci. »Du bist nicht mit auf den Kriegspfad gekommen.«
»Ich hatte keine Händel mit den Fliegern!«
»Du bist bei den Isbu nicht willkommen. Du trägst das Kleid einer Frau und tust Frauenarbeit. Ich glaube, ich werde dir einen Frauennamen geben, ich werde dich Siptopto nennen.«
Cuwignakas Fäuste ballten sich um die Zügel seiner Kaiila. ›Siptopto‹ ist eine allgemein gebräuchliche Bezeichnung für Perlen.
»Ich bin ein Isbu«, sagte Cuwignaka. »Ich bin ein Isbu-Kaiila!«
Mit festem Griff verhinderte ich, daß Cuwignaka den anderen angriff.
»Man hätte dich angepflockt liegen lassen sollen«, sagte Hci. »Das wäre für die Kaiila besser gewesen.«
Cuwignaka zuckte die Achseln. »Mag sein«, sagte er. »Ich weiß es nicht.«
Cuwignaka trug die Überreste eines weißen Kleides, das aus der Beute eines vernichteten Wagenzuges stammte. Als Sklave hatte er Soldaten gedient, die die Wagen begleiteten. Ursprünglich ein Isbu-Kaiila, hatte er sich zweimal geweigert, gegen die Flieher, Erbfeinde der Kaiila, in den Kampf zu ziehen. Nach dem erstenmal hatte man ihn in Frauenkleider gesteckt, ihn Frauenarbeit tun lassen und ihm den Namen Cuwignaka – ›Frauenkleid‹ – gegeben. Nach seiner zweiten Kampfweigerung war Cuwignaka gefesselt in der Ihanke, in der Grenzzone zwischen dem Ödland und den Ländereien der Bauern und Viehzüchter, an Weiße verkauft worden. In der Grenzzone hatte er die goreanische Sprache erlernt. Später wurde er von Soldaten gekauft und als Dolmetscher ins Ödland mitgenommen, zurück in seine ehemalige Heimat. Nach der Vernichtung des Wagenzuges war er den Siegern in die Hände gefallen. Unerhörte Vergehen wurden ihm zur Last gelegt: Er war ins Ödland zurückgekehrt, er war Sklave des verhaßten Feindes gewesen. Die Folge war, daß man ihn am Boden festpflockte. Er sollte sterben. Eine unzerbrochene Lanze wurde mit der Spitze nach oben neben ihm in den Boden gestoßen – eine Art Respektbezeigung durch Cuwignakas Bruder Canka, Feuerstahl. Canka hatte auch das Kleid aufgehoben, das Hci verächtlich neben ihn auf den Boden geworfen hatte, und es um die Lanze gewickelt. Auf diese Weise hatte Canka die Stelle wie mit einer Fahne auffällig markiert.