»Das stimmt schon«, sagte Cuwignaka nachdenklich. »Er hätte das wirklich nicht tun dürfen.«
»Nein.«
»Das ist nicht recht.«
»Außerdem hängen Dinge wie Zivilisation und Freundschaft und Verständigung von gegenseitigem Vertrauen ab«, meinte ich.
»Außerdem könnte ein solches Verhalten gefährlich sein«, sagte Cuwignaka.
»Inwiefern?« wollte ich wissen.
»Der eigene Schild könnte einen verraten.«
Ich betrachtete den jungen Mann.
»Ja«, sagte Cuwignaka. »Es ist eine allgemein bekannte Tatsache. Wenn man lügt, kann sich der eigene Schild weigern, den Kämpfer zu verteidigen.«
»Außerhalb des Ödlands verhalten sich Schilde aber nicht so«, sagte ich lächelnd.
»Wie ich sehe, bist du skeptisch«, sagte Cuwignaka. »Nun ja, ich kann es dir ganz genau sagen, mein Freund. Ich spreche von den Schilden der Völker des Ödlands. Dabei handelt es sich nicht um gewöhnliche Schilde. Unsere Schilde werden mit Hilfe von Zaubersprüchen gefertigt. Diese Kriegsmedizinen sind wichtig in Aufbau und Entwurf. Es handelt sich bei ihnen nicht einfach nur um Kriegsgerät, nicht nur um Gegenstände aus Metall oder Leder. Sie sind heilig. Sie sind kostbar. Sie sind Freunde und Verbündete. Gewiß hast du sie schon auf Stativen hinter Zelten gesehen, wo sie der Sonne ausgesetzt wurden?«
»Ja«, mußte ich zugeben.
»Sie sollen die Kraft der Sonne in sich aufsaugen.«
»Ich verstehe.«
»Bei einem normalen Schild würde man das nicht machen, oder?«
»Im allgemeinen nicht«, sagte ich.
»Also sind es keine normalen Schilde«, folgerte Cuwignaka.
»Im Kampf sind einige Krieger sicher erfolgreicher als andere«, bemerkte ich.
»Selbstverständlich. Wahrscheinlich ist ihre Kriegsmedizin stärker.«
»Aha.«
»Kehren wir in unser Zelt zurück«, sagte Cuwignaka.
»Du sprichst goreanisch«, sagte ich. »Du hast bei Weißen gelebt.«
»Ja?« fragte Cuwignaka.
»Glaubst du wirklich an diese Dinge?«
»Welche Dinge?«
»Na, an die Sache mit den Schilden.«
»Natürlich!«
»Komm, bleib ernst!«
»Ich weiß nicht«, sagte Cuwignaka lächelnd. »Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
»Glauben alle deine Stammesgenossen daran?«
»Ich würde sagen, die meisten.«
»Was ist mit Kriegern wie Canka und Hci? Glauben sie daran?«
»Natürlich!«
»Gehen wir in unser Zelt«, sagte ich.
»Ja«, stimmte mir Cuwignaka zu. »Ich muß mich ausruhen. Morgen muß ich tanzen. Morgen wird ein herrlicher Tag!«
13
»Herr! Herr!« rief das blonde Mädchen entzückt und hielt mich an der Hand fest.
Lächelnd zog sie mich hinter ein Zelt. Bis auf den perlenbesetzten Sklavenkragen war sie nackt. Es war der Morgen des Tages, an dem der große Tanz stattfinden sollte. Hinter dem Zelt kniete sie nieder. »Ich bin ja so glücklich, Herr!« sagte sie. »So glücklich!«
Es war das Mädchen, das mir zweimal im Lager begegnet war und das ich sodann mit Hilfe der perlenbesetzten Sklavenpeitsche, die mir Macht über Herdensklavinnen verlieh, an einem langen Nachmittag in die wahre Bedeutung der Sklaverei eingeführt hatte.
»Du bist doch nicht etwa fortgelaufen?« fragte ich besorgt.
»Nein«, antwortete sie lachend. »Man hat mich aus der Herde genommen. Ich habe einen neuen Herrn! Mein alter Herr hat mich verschenkt. Er meinte wohl eine eiskalte, unnahbare Sklavin loszuwerden, doch kaum lag ich auf den Fellen meines neuen Herrn, begann ich ihm auf das Unterwürfigste zu dienen. Er war entzückt. Ich glaube, er ist sehr erfreut über mich, er sagte jedenfalls, ich wäre ein prächtiges Geschenk. Er hat meinem alten Herrn sogar noch eine Kaiila zusätzlich geschenkt. Mein alter Herr regte sich sehr auf, weil er mich weggegeben hatte. Doch nun kann er nichts mehr daran ändern. Ich gehöre jetzt meinem neuen Herrn!«
»Wundervoll!« sagte ich.
»Ich habe nun auch einen Namen!«
»Ja?«
»Oiputake«, sagte sie.
»Das bedeutet ja ›Kuß‹!« rief ich.
»Ja«, lächelte sie. »Und manchmal weiß ich nicht, ob mein Herr mich nur ruft oder mir befiehlt, ihn zu erfreuen.«
»Als Sklavin dürftest du kein Risiko eingehen.«
Sie lachte. »Wenn ich die geringsten Zweifel habe, küsse ich ihn.«
Ich hatte dieses Mädchen wirklich durchgreifend verändert. Ihr neuer Herr würde viel Vergnügen mit ihr haben. Von einer frigiden freien Frau hatte sie sich in eine vielversprechende Sklavin verwandelt.
»Die Dinge stehen wirklich gut für die Kaiila«, sagte ich. »Dein Herr hat eine wunderschöne weiße Sklavin erstanden. Mein Herr und Freund Canka, Angehöriger der Isbu-Bande, hat seine Sklavin, die er liebt, behalten können, ein Mädchen namens Winyela, und mein Freund Cuwignaka wird nach jahrelangem Warten heute endlich das Zelt des großen Tanzes betreten.« Ich lächelte vor mich hin.
»Das freut mich für ihn«, sagte Oiputake.
»Es gibt überreichlich Fleisch im Lager«, fuhr ich fort, »und wir feiern Feste und Tänze. Wir besuchen uns gegenseitig und geben Geschenke.«
»Auch ich war so ein Geschenk«, sagte sie lächelnd.
»Zum Kummer deines alten Herrn. Und was noch schöner ist, scheint es in Kürze Frieden zwischen den Kaiila und den Gelbmessern zu geben. Die Zivilhäuptlinge der Gelbmesser sind bereits bei uns im Lager.«
»Das sind keine Zivilhäuptlinge«, sagte sie.
»Was?«
»Ich habe die Gelbmesser-Häuptlinge im Dorf gesehen«, sagte die Sklavin. »Ich sah sie vor Tagen ins Lager kommen, als ich noch bei den anderen Mädchen bewacht wurde. Und gestern nacht sah ich sie bei einem späten Essen, als man mich in das Zelt meines Herrn brachte. Und ich sah sie heute früh im Isanna-Lager, dicht beim Zelt von Watonka. Es sind keine Zivilhäuptlinge.«
»Du irrst.«
»Ich war eine Zeitlang Sklavin bei den Gelbmessern«, sagte Oiputake. »Ich weiß Bescheid.«
»Es sind nicht Zivilhäuptlinge?« fragte ich.
»Die Zivilhäuptlinge der Gelbmesser habe ich einmal bei einer Ratsversammlung beobachtet«, erwiderte sie. »Und zwar ist das erst Wochen her. Kurze Zeit später wurde ich bei einem Überfall von Isanna-Kriegern erbeutet.«
»Die Zeit für eine Ratsversammlung scheint mir zu früh gewesen zu sein.«
»Es hat aber eine stattgefunden.«
»Waren die Pte schon eingetroffen?« fragte ich. Normalerweise hängt eine solche Ratsversammlung mit dem Eintreffen der Pte und der Vereinigung aller Gelbmesser-Banden zur großen Jagd zusammen. Die Pte erreichten die Gebiete der Kaiila normalerweise vor denen der Gelbmesser.
»Nein«, erwiderte sie.
»Das ist interessant«, sagte ich. »Weißt du, worum es bei der Ratsversammlung ging?«
»Nein.«
»Vor einigen Wochen«, sagte ich, »fand ein Überfall auf einen großen Wagenzug und eine Söldnerhorde statt. Weißt du davon?«
»Ja«, sagte sie. »Man brachte Gefangene ins Lager der Gelben Messer.«
»Fand die Ratsversammlung vor oder nach diesem Überfall statt?«
»Mehrere Tage danach.«
»Das ist ebenfalls interessant«, bemerkte ich. »Bist du sicher, daß du nicht weißt, worüber beraten werden sollte?«
»Ganz sicher, Herr«, erwiderte sie. »Niemand lehrte mich den Gelbmesser-Dialekt. Ich kenne nur wenige Worte. Bei den Gelbmessern wurde ich auch nur für die einfachsten Arbeiten eingesetzt, angeleitet durch Schläge und Peitschenhiebe. Für die Krieger war ich eine Art Kaiila, ein zweibeiniges Lastentier.«
»Natürlich«, sagte ich.
»Bei dieser Ratsversammlung«, fuhr das Mädchen fort, »sah ich die Zivilhäuptlinge der Gelbmesser. Und es waren nicht die Männer, die jetzt bei uns im Lager sind.«
»Du mußt dich irren«, sagte ich.
»Nein, Herr.«
»Hast du diese Männer schon im Lager der Gelbmesser gesehen?«
»Ja, Herr.«
»Es sind Zivilhäuptlinge.«
»Nein, Herr!«
»Weißt du, was sie sind?«
»Ja, Herr.«
»Was?«
»Kriegshäuptlinge.«