Ich war mit dem Anblick alles andere als zufrieden. Endlich wendete ich meine Kaiila.
Anschließend war ich langsam reitend in die vorderen Reihen zurückgekehrt. Auf meinem kurzen Ritt war ich an mehreren Kaiila vorbeigekommen, die unter den Tarnstoffen festgebunden worden waren. Es waren bei weitem nicht genug Reittiere für alle. Ich passierte umfangreiche Fleischvorräte, die die Frauen von Gestellen genommen und unter den Tarnnetzen auf Tüchern gestapelt hatten. Dieses Fleisch war für die Kaiila von größter Bedeutung. Allein vom Fleisch hing es ab, ob der Stamm den Winter gut überstand oder viele Opfer beklagen mußte. Auf meinem Ritt kam ich auch an vielen Sklavinnen vorbei. Unter ihnen, ungefesselt, hatte ich Oiputake entdeckt, an die ich mich gut erinnerte. Sie hatte ich zuvor in einer Sklavinnengruppe erwählt und mit der Bedeutung ihres Daseins bekannt gemacht. Sie hatte uns auf die Tatsache gebracht, daß die im Lager befindlichen Gelbmesser nicht Zivilhäuptlinge, sondern Kriegshäuptlinge waren.
»Herr!« hatte sie gerufen und mir die Arme entgegengestreckt.
»Schweig, Sklavin!« hatte ich gerufen und war weitergeritten. Ich hatte im Augenblick keine Lust, mit ihr zu sprechen. Dafür hielt ich meine Kaiila kurz neben einem blonden Mädchen, das zitternd zu mir aufblickte.
»Wer bist du?« fragte ich.
»Ich bin eine namenlose Sklavin Cotankas von den Wismahi«, sagte sie.
Sie war die Sklavin, die von Gelbmessern als Lockmädchen in das Kampfgetümmel geschickt worden war. Cotanka hatte Glück gehabt. Er war mit dem Leben davongekommen und besaß nun dieses Mädchen. Ich nahm nicht an, daß sie ein leichtes Leben bei ihm haben würde.
Inzwischen ritten keine Gelbmesser mehr vor den Reihen ihrer Stammesgenossen hin und her, das Schütteln der Kampfstäbe hatte aufgehört, ebenso wie der Gesang.
Die Kaiila des Gegners waren zu uns herumgedreht worden.
»Haltet eure Lanzen bereit! Haltet eure Messer bereit!« rief Mahpiyasapa im Singsang und ritt vor unserer Kampflinie entlang. »Ich wünsche euch scharfe Augen. Ich wünsche euch einen schnellen Arm! Ich wünsche euch eine starke Medizin!«
»Bald kommen sie«, sagte Cuwignaka.
»Ja«, stimmte ich ihm zu.
»Worauf warten sie noch?« fragte ein Mann.
»Auf die Kinyanpi«, antwortete jemand.
Ich blickte zu Hci hinüber und bemerkte seinen Schild, der sich wie aus eigenem Antrieb zu bewegen schien, bis er ihn wieder beruhigt hatte. Mir kribbelte es im Nacken, und ich bekam eine Gänsehaut.
Die Bewegung des Schilds war auch von Mahpiyasapa bemerkt worden, der zu Hci ritt.
»Was ist mit deinem Schild?« fragte er.
»Nichts.«
»Bleib zurück«, forderte Mahpiyasapa den anderen auf. »Kämpfe nicht.« Dann ritt er weiter.
Hci aber verließ seinen Posten nicht.
»Vielleicht kommen die Kinyanpi ja gar nicht«, sagte ein Mann.
»Die Kinyanpi!« tönte es in diesem Augenblick von hinten, ein Ruf, der von Mann zu Mann weitergegeben wurde.
Ich schaute mich um.
»Die Kinyanpi«, sagte Cuwignaka, der sich ebenfalls orientierte.
»Ja«, sagte ich. Die Fliegenden kamen in zwei Gruppen – zwei dunkle Flecken, der eine aus dem Osten, der andere aus Südosten.
Wir richteten die Blicke auf Mahpiyasapa, der uns das Angriffssignal geben mußte.
Mahpiyasapa, der vor uns ritt, hob und senkte seine Lanze.
Wir glaubten ziemlich sicher zu wissen, wie die Taktik der Kinyanpi diesmal aussehen würde. Sie würden den früheren Fehler eines direkten, tiefen Angriffs nicht wiederholen. Entweder würden sie auf Höhe bleiben und uns mit Pfeilen überschütten, oder die Attacke der Gelbmesser unterstützen. Da wir uns vor einfachen Distanzschüssen ziemlich gut mit unseren Schilden schützen konnten, lag auf der Hand, daß unsere Feinde gemeinsam handeln würden. Wenn wir uns der Gelbmesser erwehrten, konnten wir uns nicht gleichzeitig vor dem Beschuß aus der Luft in acht nehmen. Und wenn wir uns nach oben abschirmten, indem wir die Schilde hoben, lieferten wir uns der Attacke der Gelbmesser aus. Der Gegner vermutete, daß wir seinen Angriff unter den Tarnbespannungen abwarteten. Dies erschwerte den Angriff aus der Luft, überließ den Gelbmessern aber den Schwung der Attacke.
Kaum hatte Mahpiyasapa seine Lanze gesenkt, legten wir alle gelbe Schärpen an. Mit diesem Zeichen hatten sich Watonka, Bloketu, Iwoso und andere als Personen identifiziert, die von den Kinyanpi nicht beschossen werden durften.
Wieder hob und senkte Mahpiyasapa seine Lanze und deutete auf den Feind.
Wie ein einziges Lebewesen stürmte unsere breite Kampflinie auf den Feind zu – Kaiila wieherten, Männer brüllten, Lanzen wurden gesenkt.
Eine volle Ehn, ehe sich der Himmel von den dahinhuschenden Kinyanpi verdunkelte, trafen wir auf den Gegner, der verblüfft durcheinanderwimmelte, dessen Kaiila auf die Hinterhand stiegen.
Der Kampf war kurz; dauerte nur etwa vier oder fünf Ehn, dann galoppierten die Gelbmesser heulend und schreiend davon und überließen uns das Schlachtfeld. Im Salut an Cuwignaka hob ich meine blutige Lanze. Die Kinyanpi hatten sich ebenfalls zurückgezogen. Kaum ein Dutzend Pfeile waren zwischen uns niedergegangen. Und getroffen waren ausschließlich Gelbmesser. Welche Verwirrung mußte die Kinyanpi ergriffen haben angesichts der Vielzahl gelber Signale tief unter ihnen! Gewiß hätten sie sich sagen können, daß die meisten von Kaiila getragen wurden, doch im Flug, in schneller Bewegung, ihrer Ziele ungewiß, hatten sie ihre Pfeile weitgehend zurückbehalten.
»Die kommen nicht zurück!« rief ein Mann lachend.
»Seht, das Signal Mahpiyasapas!« sagte ein anderer. »Kehren wir zu unseren Zelten zurück.«
Wir wendeten unsere Kaiila und ritten langsam und zufrieden, müde, doch still-siegesfroh, zu unserem Lager.
»Seht doch!« rief ein Mann, als wir unsere Ausgangsposition erreicht hatten, und deutete nach hinten.
»Das glaube ich einfach nicht!« rief ein zweiter.
Wir schauten zurück, wo sich in drei- oder vierhundert Metern Entfernung auf einer Anhöhe Reihen von Gelbmessern zeigten.
»Sie haben sich neu formiert«, sagte ich. Die Situation war nicht anders zu deuten, doch hatte ich damit nicht gerechnet. Hier äußerte sich eine Disziplin, wie ich sie von erregten roten Wilden nicht erwartet hatte, und auf keinen Fall so schnell.
»Ich dachte, sie wären fort«, sagte ein Mann.
»Ich auch!« rief ein zweiter.
»Sie müssen doch längst genug Frauen und Kaiila haben«, meinte ein dritter. »Eigentlich hätten sie längst verschwinden müssen.«
»Was immer sie jetzt noch erringen könnten, käme sie teuer zu stehen.«
»Und doch sind sie da«, sagte ein Kämpfer.
»Das sieht den Gelbmessern gar nicht ähnlich«, äußerte ein Kaiilakrieger neben ihm.
»O nein!« bestätigte ein anderer.
Auch ich wunderte mich über die Rückkehr der Gelbmesser auf das Schlachtfeld.
Die Dämmerung hatte begonnen – auch das verwirrte mich. Rote Wilde vermeiden es im allgemeinen, bei Dunkelheit zu kämpfen. Nachts kann man seine Erfahrungen kaum in die Tat umsetzen, außerdem bringt das Fehlen von Uniformen die Gefahr, daß man Freund und Feind verwechselt. Manche Wilden meiden den Nachtkampf auch aus Medizingründen. In diesem Zusammenhang gibt es viele Theorien; ich möchte an dieser Stelle nur zwei erwähnen. Die eine besagt, daß ein bei Nacht Getöteter Probleme haben kann, seinen Weg durch die Schwärze in die Medizinwelt zu finden. Und eine andere basiert auf der Befürchtung, daß ein bei Nacht Gefallener das Portal der Medizinwelt womöglich verschlossen vorfindet. Diese und ähnliche Überzeugungen führen natürlich dazu, daß Auseinandersetzungen selten bei Nacht ausgetragen werden.
»Warum verschwinden sie nicht?« fragte ein Mann.
»Bald ist es dunkel«, fügte sein Freund hinzu.
»Sie müssen eine starke Medizin haben«, meinte eine Stimme.
»Vielleicht«, antwortete jemand angstvoll.
Wieder bemerkte ich, daß Hci Mühe mit seinem Schild hatte, den er gewaltsam an sich drücken mußte.