»Worauf warten sie noch?« gellte die Frage.
»Ihre Reihen öffnen sich!« beobachtete jemand.
»Es kommt etwas hindurch.«
»Ein Sleen«, vermutete ein Mann.
»Nein«, sagte ein zweiter.
»Das Wesen bewegt sich auf allen vieren.«
»Es muß ein Sleen sein.«
»Dazu ist es zu groß.«
»Aii!« rief ein Mann. »Er richtet sich auf! Es geht auf zwei Beinen!«
»Ein Wesen aus der Medizinwelt!« rief ein Mann.
»Es ist der Medizinhelfer der Gelbmesser!« schrie ein anderer.
Beinahe im gleichen Augenblick waren hinter uns bestürzte Rufe zu hören. »Reiter! Reiter!«
Wir rissen unsere Kaiila herum. Im hinteren Teil des Lagers gab es Geschrei; das Getrappel und Wiehern zahlreicher Kaiila war zu hören. In vollem Galopp stießen Reiter in mehreren Reihen gegen das Lager vor, mit wehenden Wimpeln und gesenkten Lanzen.
»Weiße!« rief ein Mann in meiner Nähe.
Ich sah, wie eine Frau niedergeritten wurde und ein Mann einer Lanze der geordnet vorpreschenden Angreifer zum Opfer fiel.
»Weiße!« wurde der Ruf wiederholt.
»Wendet!« befahl Mahpiyasapa. »Kämpft! Verteidigt das Lager!«
Unsere Kampfformation fuhr herum, und Mahpiyasapas Männer galoppierten schrill schreiend unter der Bespannung und zwischen den Zelten hindurch, um sich dem neuen Feind zu stellen. Ich hielt meine Stellung.
Bei den weißen Angreifern handelte es sich zweifellos um die Kämpfer Alfreds, des Söldnerhauptmanns aus Port Olni. Mit etwa tausend Mann war er in das Ödland eingedrungen; in seinem Treck hatte er siebzehn Kurii mitgeführt, ein Hinrichtungskommando von den Stahlwelten, das es auf Zarendargar, auch Halb-Ohr genannt, abgesehen hatte, einen Kriegsgeneral der Kurii, ehemals Befehlshaber über den Versorgungskomplex in der goreanischen Arktis, ein Stützpunkt, der für die vorgesehene Kur-Invasion Gors umgerüstet wurde. Dieser Komplex war vernichtet worden. Es gab Beweise für eine Flucht Zarendargars in das Ödland. Im Norden hatten sich Zarendargar und ich einmal als Soldaten gegenübergesessen und gemeinsam Paga getrunken. Meine Reise in das Ödland hatte das Ziel, ihn vor der Gefahr zu warnen, in der er schwebte. Dabei war ich in die Sklaverei der Kaiilakrieger geraten. Ein Wagenzug mit Siedlern, mit dem sich Alfred zusammengetan hatte, war angegriffen worden. Dem nachfolgenden Massaker war Alfred mit dreibis vierhundert berittenen Söldnern in Richtung Südosten entkommen, indem er den größten Teil der ihm Anvertrauten im Stich ließ. Aus dem Südosten, daran mußte ich nun denken, waren die Kailiauk dieses Jahr zu früh eingetroffen. Aus dem Südosten waren auch die Kinyanpi herangeflogen.
Bisher hatte ich vermutet, daß Alfred und seine Leute in die Zivilisation zurückgekehrt waren. Nun aber mußte ich erkennen, daß ich mich geirrt hatte. Irgendwie hatten sie sich mit den Kinyanpi verbündet und waren durch sie und aufgrund eines besonderen Umstands, den ich zu kennen glaubte, mit den Gelbmessern in Berührung gekommen und hatten sie zur Mitarbeit verpflichten können. Urplötzlich taten sich höchst unangenehme Perspektiven auf. Die überraschende Disziplin der Gelbmesser sah ich nun in einem ganz anderen Licht. Ebenso die anscheinend vorhandene Bereitschaft, in der Abenddämmerung zu kämpfen. Erklärlich wurde auch plötzlich ein für das Ödland so untypisches Verhalten wie der betrügerische Friedensvorstoß, das Vorschieben einer Ratsversammlung, die alle führenden Persönlichkeiten der Gelbmesser zusammenführen sollte, und wie das unglaubliche Sakrileg eines Angriffs auf ein Volk, das gerade seine jährlichen Riten abhielt. Diese Dinge deuteten nicht auf Kräfte aus dem Ödland hin, sondern auf Drahtzieher, die hier fremd waren, auf Lenker, die ganz anders dachten. Selbst eine so winzige Tatsache, wie der zuvor erfolgte kleinere Angriff der Kinyanpi wurde mir nun in seiner Bedeutung klar. Es mußte sich wirklich um einen Versuchsballon gehandelt haben, der unsere Abwehr auf die Probe stellte, ehe die in Reserve gehaltene Hauptstreitmacht vorgeschickt wurde. Auch das hierin zum Ausdruck kommende Führungsdenken deutete mir eher auf die Städte hin, auf weiße Soldaten – und nicht auf rote Wilde.
Verzweifelt schaute ich zu den Gelbmessern zurück. Wie erwartet, hatten sie ihren Vorstoß begonnen. Ihre gefiederten Lanzen senkten sich in die Angriffsstellung. Die Kaiila rückten vor und wurden immer schneller. Wenn sie das Lager der Kaiila erreichten, würden sie sich, ohne erschöpft zu sein, im vollen Galopp bewegen. In diesem Moment wogte die Kette der Gelbmesser an dem Geschöpf vorbei, das vorhin aus ihren Reihen hervorgetreten war. Es stand im Gras, umgeben von Kriegern. Es war etwa acht Fuß groß. Es hob die zottigen Arme. Es war ein Kur. Wir würden uns an zwei Fronten wehren müssen.
Hinter mir wurde bereits gekämpft. Ich fuhr herum. Soldaten hackten auf unsere Tarnnetze ein.
»Kinyanpi!« rief jemand. »Sie kommen schon wieder!«
»Das ist das Ende«, dachte ich. »Die Kurii haben gesiegt.« Die Kurii, verbündet mit den Gelbmessern, unterstützt von den Fliegenden, den Kinyanpi, konnten nun systematisch das Ödland erforschen und brauchten bei ihrer Suche nach Zarendargar keine Behinderung mehr zu fürchten – und wenn ihnen ein ganzes Volk, der Kaiila-Stamm, im Weg stand, was machte es, wenn die ganze Nation vernichtet wurde?
Ich hörte das Kriegsgeschrei der Gelbmesser lauter werden.
Dann wendete ich meine Kaiila und ritt in den hinteren Teil des Lagers.
26
Von den Vorderhufen meiner Kaiila zur Seite getrieben, schrie eine Sklavin auf. Ein anderes Mädchen blickte angstvoll zu mir auf.
»Lauft!« schrie eine freie Frau und schnitt den Sklavinnen ihre Fesseln auf. »Bringt euch in Sicherheit!«
Ich schob meine Kaiila durch das Gedränge.
Seitlich von mir entdeckte ich Oiputake.
»Wo ist Cotanka?« rief ein Mädchen. »Ich bin Cotankas Sklavin! Wo ist er?« Es war die Sklavin, die ich mitten im Kampfgetümmel gefangen hatte.
Schräg links vor mir war ein großer Teil der Tarnbespannung heruntergerissen worden. Sklavinnen knieten dort.
Auf einen Blick war zu erkennen, daß wir bei diesem Kampf keine Chance hatten.
Die dicke Saite einer Armbrust sirrte. Ein Kaiilakrieger fiel rückwärts von seinem Tier.
»Flieht!« rief ein Mann im Vorbeireiten. »Flieht!«
Ich sah mich um. Die Gelbmesser mußten sich zunächst durch das Durcheinander der Sklaven drängen.
»Gelbmesser kommen!« rief ich und deutete nach hinten. »Gelbmesser im Westen!«
Mahpiyasapa sah sich hastig um. Dann wehrte er einen Lanzenangriff ab.
Ein dunkler Schatten raste vorüber. Mit erhobenem Schild wehrte ich den von oben herbeisirrenden Pfeil ab.
Ein Kind lief vorbei.
»Bildet Kampflinien!« rief Mahpiyasapa. »Nach Osten! Nach Westen! Frauen und Kinder zwischen die Linien!«
Hci erledigte mit geschicktem Stoß einen Söldner, der von seiner Kaiila fiel.
Das Kriegsgeschrei der Gelbmesser klang uns in den Ohren. Unsere Streitmacht war in kleine Gruppen zerfallen, unsere Front zeigte sich aufgelöst. Der Kampf wurde zu einem blutigen Gemetzel.
Ich sah Cuwignaka, der seine Kaiila verloren hatte, im Staub rollen. Ich drehte mein Tier gegen die Schulter eines reiterlosen Tiers und drückte es in Cuwignakas Richtung. Cuwignaka hatte sich bereits wieder aufgerichtet; er blutete am Kopf. Ein Gelbmesser, ein Bodenkämpfer, lief mit erhobenem Messer auf ihn zu. Die beiden Männer begannen zu kämpfen. Schließlich torkelte der Gelbmesser mit blutiger Kehle rückwärts. Cuwignaka stand mit erhobener Waffe im Staub. Ich verlor ihn aus den Augen, als zwei Krieger zwischen uns hindurchgaloppierten. Im nächsten Moment packte ich den Zügel der reiterlosen Kaiila und zerrte das schnaubende und wiehernde Tier auf Cuwignaka zu. Mein Freund zog einem gefallenen Gelbmesser die Lanze aus dem Leib und sprang behende auf den Rücken des Tiers, das ich ihm gebracht hatte.
Mahpiyasapa schaltete einen Gelbmesser mit seiner Lanze aus. »Schilde nach oben!« brüllte ich. Ein Pfeilhagel prasselte zwischen uns nieder. Riesige Flügel schmetterten über unseren Köpfen durch die Luft, der Luftzug zerrte an unserer Kleidung und ließ überall wirbelnde Staubwolken aufsteigen.