Und er ritt seine Kaiila durch das Zwielicht. Wir sahen, wie Wasnapohdi einen gepeinigten Blick in die Richtung warf, in die Waiyeyeca geritten war. Dann eilte sie neben Grunts Kaiila.
»Er ist der einzige Mann in meiner Bekanntschaft, der das überlebt hat«, sagte Cuwignaka.
»Für sich gesehen ist es nicht tödlich«, sagte ich. »Nur wird es im allgemeinen an Sterbenden oder Toten vollzogen.«
»Du hast natürlich recht«, sagte Cuwignaka.
»Grunt schien in diesem Punkt ziemlich empfindlich zu sein«, sagte ich.
»Es hat ihm heute das Leben gerettet«, meinte Cuwignaka. »Eher sollte er sich darüber freuen.«
»Vermutlich kann man sich daran gewöhnen«, meinte ich.
»Scheußlich sieht es aus.«
»O ja, bereitwillige Nachahmer wird es nicht geben.«
»Gewiß nicht!« sagte Cuwignaka lachend.
»Er ist ein guter Mann«, meinte ich.
»Ja, und sehr freundlich.«
»Ja.«
»Ich frage mich, ob Wasnapohdi jemals begreift, wie besorgt Grunt um ihr Leben war.«
»Irgendwann wird sie es sicher erkennen«, sagte ich. »Sie ist eine intelligente Frau.«
»Mahpiyasapa weiß, daß das Lager verloren ist«, stellte Cuwignaka fest.
»Ja«, erwiderte ich. »Die jungen Krieger brachten Kaiila für die Evakuierung von Frauen und Kindern.«
»Meinst du, es werden genug Kaiila zusammenkommen?«
»Keine Ahnung«, entgegnete ich.
»Die Tiere werden nicht reichen«, behauptete Cuwignaka.
27
Hauend und stechend kämpften wir eine Gruppe von Soldaten nieder.
»Kaiila! Freunde!« schrie ich mit erhobener Lanze.
»Tatankasa! Cuwignaka!« rief ein Mann.
Das dünne, unregelmäßige, ausgedünnte Oval an Kriegern, etwa hundert Meter lang, öffnete sich und ließ uns ein. Im Innenkreis drängten sich Frauen und Kinder und Kaiila.
Mahpiyasapa und seinen Leutnants war es mit der Hilfe von gebrüllten Befehlen und Signalen ihrer Kriegsstäbe und Pfeifen gelungen, eine neue Kampflinie zu bilden und einen Abwehrkreis zu formen.
Wir zogen unsere Kaiila herum und ließen uns in die Formation eingliedern.
Zwischen uns landeten Pfeile hochfliegender Kinyanpi.
Hier und dort stellten Gelbmesser und Soldaten in kurzen, heftigen Scharmützeln unsere Verteidigungskraft auf die Probe.
»Niemand flieht, ehe Mahpiyasapa das Zeichen gibt!« rief ein Mann.
»Wir müssen durchhalten, bis es dunkel wird«, bemerkte ein anderer.
»Und dann müssen wir, die Frauen und Kinder abschirmend, durch die gegnerischen Linien brechen, soweit das möglich ist.«
»Es wird eine bedeckte Nacht«, meinte jemand. »Die Kinyanpi werden uns kaum folgen können.«
»Bald ist es dunkel«, sagte eine Stimme hoffnungsvoll.
Hci lenkte seine Kaiila aus der Kampflinie und verhielt sie neben Cuwignakas Tier.
»Ich hatte nicht geglaubt, daß du zurückkommen würdest«, sagte er.
»Ich bin ein Kaiila«, antwortete Cuwignaka.
Hci kehrte an seinen Posten zurück.
»Ich glaube, wir können die Stellung bis zur Nacht halten«, sagte ich zu Cuwignaka.
»Ich bin deiner Meinung. Wenn nicht, gibt es hier ein Blutbad.«
Plötzlich hörten wir das Klappern von Rasseln und das Dröhnen kleiner Handtrommeln. Die Gelbmesser öffneten ihre Linien. Die Soldaten zogen sich ebenfalls ein Stück zurück. In dem nun gebildeten Korridor erschienen Tänzer: Ihre Körper waren bemalt, sie hatten sich Zweige um Hand- und Fußgelenke gebunden. Sie sangen, stampften, drehten sich schlurfend im Kreis.
»Gelbmesser«, sagte ein Mann angstvoll.
»Sie machen Medizin«, flüsterte ein anderer.
Die Masken, die sie trugen, waren groß, beinahe so breit wie ihre Schultern. Durch die Mundlöcher der Masken vermochte ich die mit gelben Streifen bemalten Gesichter zu erkennen. Die Masken waren ebenfalls bemalt. Sie bestanden aus Holz und Leder.
»Sie rufen Medizinhelfer!« sagte ein Mann erschrocken.
Für den roten Wilden sind solche Masken nicht einfach nur Masken, sondern besitzen eine angsteinflößende Macht. Nach der Überlieferung ihrer Völker konnten die auf solchen Masken festgehaltenen Visionen direkt aus der Medizinwelt stammen.
Unbehaglich rutschten Männer auf dem Rücken ihrer Kaiila hin und her. Ein oder zwei Tiere wichen bereits aus der Linie.
»Haltet eure Plätze!« rief Mahpiyasapa. »Wir haben keine Angst vor Holz und Leder!«
Ich lächelte vor mich hin. Mahpiyasapas Bemerkung klang mir sehr nach Ketzerei. Andererseits war es in diesem Moment bestimmt nicht in seinem Interesse, die Gültigkeit der Gelbmesser-Medizin herauszustreichen.
»Es ist eine falsche Medizin!« rief Mahpiyasapa. »Wir haben keine Angst vor Holz und Leder!«
Wieder lächelte ich vor mich hin. Mahpiyasapa hatte eine angemessene Unterscheidung getroffen, indem er unterstellte, daß es falsche und echte Medizin gebe, wobei die Medizin der Kaiila vermutlich die echte sein sollte und die der Gelbmesser unwirksam. Besser hätte man wohl zwischen schwächerer und stärkerer Medizin unterschieden. Der rote Wilde bezweifelt im allgemeinen nicht, daß auch der Feind über Medizin verfügt; dabei hofft er natürlich, daß seine Medizin sich als die stärkere erweisen wird. Sollte die Medizin der Gelbmesser dagegen eine absolut falsche Medizin sein – was gab es dann noch zu befürchten?
Der wahre Test für die stärkere Medizin schien mir letztlich im Erfolg zu liegen, im Sieg.
»Habt keine Angst!« rief Mahpiyasapa. »Die Medizin der Gelbmesser ist eine falsche Medizin!«
»Was sind das für Medizinwesen, die da auf den Masken dargestellt werden?« fragte ein Mann.
»Keine Ahnung«, antwortete ein anderer unbehaglich.
»Ich habe ein solches Ungeheuer noch nie gesehen«, meinte ein dritter.
»Solche Geschöpfe gibt es sicher nur in der Medizinwelt«, meinte ein vierter.
»Die Medizin der Gelbmesser ist falsch!« rief jemand. »Mahpiyasapa hat recht!«
»Und wenn nicht?«
»Solche Lebewesen gibt es nicht«, sagte ein Mann. »Nicht einmal in der Medizinwelt!«
»Woher aber kam die Vision für solche Masken?« wollte jemand wissen.
»Wenn diese Geschöpfe in der Medizinwelt existierten, würden sie die Gelbmesser nicht begünstigen.«
»Das stimmt«, sagte ein Mann.
»Und was ist, wenn sie es doch tun?« fragte eine Stimme.
»Dann wären wir verloren!« rief der erste Mann.
Ich beugte mich auf dem Kaiilarücken vor. Aus dieser Entfernung vermochte ich die auf den Masken nachgestalteten Gesichter einigermaßen deutlich auszumachen. Sofort begannen sich mir die Nackenhaare zu sträuben. Es waren eindeutig Kurgesichter!
»Haltet eure Position!« bat ich die Männer links und rechts von mir. »Was auch passiert, weicht nicht zurück!«
»Eure Medizin ist falsch!« rief Mahpiyasapa den Gelbmessern zu, obwohl sie ihn zweifellos nicht verstehen konnten. »Wir haben keine Angst davor! Sie besteht nur aus Holz und Leder!«
Ein erschreckender Laut ertönte in den Reihen der Gelbmesser und Söldner. Es war ein langer, heulender Schrei. Auch den Gelbmessern und ihren Verbündeten mußte dieser Laut schrecklich in den Ohren klingen. Es war ein unmißverständlicher Schrei – ich hatte ihn schon auf den Felshängen Torvaldslands vernommen, im Sand der Tahari, in den Dschungeln der Ua.
In diesem Augenblick tauchte in den Reihen des Feindes ein riesiger Kur auf, etwa neun Fuß groß, ungefähr neunhundert Pfund schwer. Das Wesen trug einen riesigen Schild mit einer dazu passenden Lanze – die Ausrüstung eines Menschen. Links und rechts dahinter folgten weitere Artgenossen, ähnlich herausgeputzt.
»Aii!« schrie ein Kaiilakämpfer und wendete sich zur Flucht.
»Haltet die Position!« rief Mahpiyasapa.
Aber schon schrien alle Männer, ihre Kaiila wimmelten durcheinander, schon löste sich die Formation auf. Angst wandelte sich zu Flucht, Flucht zu heillosem Chaos, das Chaos zu sinnloser Töterei. Gelbmesser und Söldner drängten nach. Frauen und Kinder schrien.
»Flieht!« brüllte Mahpiyasapa. »Flieht!«
Männer liefen los. Frauen und Kinder versuchten die Kaiila zu besteigen, die man für sie bereitgestellt hatte.