»Bist du sicher, daß sie nicht von der Medizinwelt stammen?«
»Du glaubst doch gar nicht an die Medizinwelt!«
»Ich glaube an das, was ich sehe.«
»Sie sind so real wie du und ich«, sagte ich. »Sie haben eine eigene Geschichte, sie haben ihre eigenen Ziele – wie die Menschen.«
»Sie erschrecken mein Volk zutiefst«, stellte Cuwignaka fest.
»Siehst du dort den größten Kur?«
»Ja«, antwortete mein Freund.
Das Ungeheuer hockte an einem Ehrenplatz, am höchsten Punkt des großen Kreises und hatte sein Gewicht auf die Füße und die Handknöchel verteilt. Auf einer Seite saßen Alfred, Hauptmann der Söldner, und einige seiner Leutnants. Auf der anderen Seite sah ich die drei Kriegshäuptlinge der Gelbmesser, die Männer, die zuvor im Lager der Kaiila zu Gast gewesen waren. Zweifellos hatten sie ihre Zeit bei Watonka dazu benutzt, das Lager auszukundschaften. In ihrer Gesellschaft befanden sich etliche Hohekrieger des Stammes.
»Das ist der Anführer der Kurii«, erklärte ich. »Sein Name, auf goreanisch übersetzt, lautet Sardak. Hinter ihm hockt ein zweiter hochstehender Kur, der Kog genannt wird.«
»Solche Wesen haben Namen?« fragte Cuwignaka.
»Ja. Wie viele zählst du? Laß dir Zeit – die Zahl ist sehr wichtig.«
»Sieben.«
»Ich auch«, sagte ich. In der Kolonne Alfreds hatten sich siebzehn der kleinen Wagen befunden, von denen ich vermutete, daß sie Kurii enthielten. Angesichts der Reizbarkeit der Kurii nahm ich an, daß in jedem Wagen nur ein Wesen gehockt hatte. Somit hatte das Hinrichtungskommando ursprünglich aus siebzehn Kurii bestanden, einschließlich der Anführer Sardak und Kog. Als Grunt und ich den Schauplatz des Massakers erreichten, erfuhren wir von Kürbis, dem Waniyanpi-Sklaven, daß die Leichen von neun Ungeheuern gefunden worden waren. Damals hatte ich nicht feststellen können, ob sich Kog und Sardak unter den Toten befanden. Die Leichen der Ungeheuer waren von roten Wilden fortgezerrt worden. Anscheinend hatten sie nichts anderes mit ihnen anzufangen gewußt. Später erfuhr ich von der ehemaligen Lady Mira aus Venna, die von ihren roten Herren zur Waniyanpi-Sklavin gemacht wurde, daß anscheinend eine kleine Gruppe Kurii vom Schlachtfeld hatte entkommen können. Offenbar hatten die Wilden wenig Lust gehabt, die Monstren anzugreifen. Das Mädchen schätzte, daß etwa sieben oder acht Ungeheuer entkommen waren. Außerdem wußte ich von dem Überleben eines Kurs, dem ich dort auf der Prärie begegnet war: Ich verhinderte, daß das Ungeheuer eine Gruppe Waniyanpi angriff.
»Einer würde schon genügen«, sagte Cuwignaka neben mir.
»Was meinst du?« fragte ich. Ich nahm nicht an, daß ein einzelner Kur sich auf einen Kampf auf Leben und Tod mit Zarendargar, auch Halb-Ohr genannt, einlassen würde.
»Einer würde genügen, die Gelbmesser zu unterstützen«, erklärte er, »einer genügt, um die Kaiila zu erschrecken und ihnen jeden Mut zu nehmen.«
»Natürlich«, sagte ich. Befaßt mit meinen Sorgen, mit meinen ureigenen Plänen im Ödland, die darauf hinausliefen, Zarendargar zu finden und vor dieser Gefahr zu warnen, hatte ich die offensichtliche Rolle der wilden Kurii in der Militärpolitik des weiten Graslands östlich der Thentis-Berge zu wenig bedacht. Cuwignaka kannte meine wahre Mission im Ödland nicht. Er glaubte, ich sei ein einfacher Tauschhändler wie Grunt.
»Mit dem Kaiila-Stamm ist es aus«, sagte Cuwignaka resigniert.
»Viele müssen entkommen sein«, tröstete ich ihn.
»Sie sind versprengt und ohne Halt. Das Fleisch für den Winter ist verloren.«
»Einige werden sicher überleben.«
»Vielleicht ähnlich wie die Staubfüße«, sagte Cuwignaka, »als Händler, Diplomaten, Dolmetscher, anderen dienend – nicht länger Ubars der Ebene, Meister über das Grasland.«
Ich schämte mich. Wie dumm war ich doch gewesen! Wie sehr konzentrierte man sich manchmal doch auf die eigenen Dinge, wie wenig Feingefühl entwickelte man für die Gedanken anderer! Mir ging es um das Leben eines Freundes. Cuwignaka machte sich Gedanken um das Überleben eines Volkes.
»Vielleicht werden die Kaiila wieder aufsteigen«, sagte ich.
»Nein, nichts kann sie mehr retten.«
»Das kannst du nicht wissen«, sagte ich.
»Was sollte sie retten?« fragte Cuwignaka.
»Vielleicht gibt es wirklich nichts.«
Cuwignaka blickte von der kleinen Anhöhe auf die Gruppe der Feiernden hinab.
»Dort sind die Sieger«, sagte er.
Auf der großen Fläche wimmelte es von Kriegern und Sklaven. Es gab einen großen Kreis, in dem allerlei Würdenträger ihren Platz hatten, daneben zahlreiche kleinere Runden. In der Mitte jeder Gruppe loderte ein Feuer. Im Mittelpunkt des großen Kreises prasselte das Riesenfeuer, das von zahlreichen zerbrochenen Zeltstäben gespeist wurde. Sklavinnen huschten herum und bedienten oder kümmerten sich um dampfende Töpfe.
»Ja«, sagte ich.
»Dort, Lanzentänzer«, sagte Cuwignaka.
Zwischen den Zelten kam eine lange Reihe von Lanzenträgern hervor. Schlangengleich bewegte sich diese Reihe auf die Feuerstellen zu und begann sich dann dazwischen hindurchzuwinden; die Tänzer schlurften mit den Füßen, bückten sich, richteten sich wieder auf und sangen.
»Ein Tanz der Schlangengemeinschaft, einer Kriegervereinigung der Gelbmesser«, sagte Cuwignaka. »Bei den Kaiila kennen wir einen ähnlichen Tanz, doch jeder Krieger kann ihn vollführen, der schon einmal einen Coup errungen hat.«
»Wenigstens lebt sie noch«, sagte ich.
»Ja«, erwiderte Cuwignaka.
»Ich nehme an, das wolltest du bei unserem kleinen Kundschafterausflug feststellen«, sagte ich.
»Ja«, antwortete Cuwignaka.
»Sie bedient jetzt Iwoso.«
»Ja.«
»Glaubst du, sie gibt eine gute Zofe für sie ab?«
»Sie würde jedem eine gute Sklavin sein!«
»Entrüstet es dich, sie dort als Sklavin zu sehen?«
»Sie hat die Kaiila verraten. Nein!«
»Zweifellos trägt sie jetzt Iwosos Kragen«, sagte ich.
»Zweifellos«, bestätigte er.
»Ich wußte gar nicht, daß Bloketu so schön ist«, sagte ich. Einer Frau, die nur einen Sklavenkragen tragen darf, fällt es schwer, ihre Schönheit zu verbergen.
»Ich frage mich, ob Iwoso nicht vielleicht noch schöner ist«, sagte Cuwignaka.
»Vielleicht wird es eines Tages Sklavenherren geben, die das ganz genau wissen«, sagte ich.
Cuwignaka blickte mich von der Seite an und lächelte. »Vielleicht«, sagte er.
»Hier ist es gefährlich«, sagte ich. »Ob es dir wohl gelingt, den Blick von Bloketu loszureißen?«
»Sie ist hübsch, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich. »Ich vermute, daß die Außenbezirke des Lagers noch immer überwacht werden, damit keine Kaiilakrieger zurückschleichen und sich Nahrung holen. Aus demselben Grunde dürfte es schwierig sein, sich Kaiilatiere zu beschaffen und zu fliehen, ohne Hci zurückzulassen.«
»Sie ist so schön«, sagte Cuwignaka versonnen.
»Dementsprechend möchte ich empfehlen, die Nacht im Lager zu verbringen. Das ist nicht nur in Hcis Interesse, sondern auch in unserem. Morgen früh müssen wir dann zu fliehen versuchen, nachdem die Wachen zurückgerufen worden sind oder sich langsam beruhigt haben – oder das Lager als Ganzes verlassen worden ist.«
»Wirklich schön«, sagte Cuwignaka bewundernd.
»Was sagst du dazu?«
»Wozu?«
»Na, zu meinem Vorschlag, heute nacht im Lager zu bleiben?«
»Selbstverständlich«, sagte Cuwignaka. »Ich könnte das Lager ohnehin nicht vor morgen verlassen.«
»Warum nicht?« fragte ich.
»Du mußt doch wissen, was heute für ein Tag ist!«
Ich schaute ihn verständnislos an.
»Es ist der Höhepunkt unseres Festes – der erste Tag des großen Tanzes!«
»Na und?« fragte ich.
»Ich werde tanzen!«
»Du bist ja verrückt!«
»Das Portal der Tanzhalle dürfte unbewacht sein«, erklärte er. »Niemand wird mir den Eintritt noch verwehren.«
»Aber es wird auch niemand dort sein, mit dir zu tanzen«, sagte ich. »Niemand, der die Einsamkeit und den Schmerz mit dir teilt.«