»Vor langer Zeit, als ich noch Lady Mira war und du deine Freiheit hattest, wurde ich zum Aufenthalt in einem Waniyanpi-Gehege verurteilt, und du weigertest dich, mich zu deiner Sklavin zu machen. Doch inzwischen habe ich mich verändert, und die Gründe, die du damals hattest, gelten vielleicht nicht mehr.«
»Du scheinst wirklich eine andere Frau geworden zu sein«, sagte ich.
»Mir ist klar geworden, daß ich eine Sklavin bin, Herr«, sagte sie.
»Ich liebe es, das Transportgestell mit dir zu ziehen, Herr«, sagte sie.
»Ich selbst wünschte mir, vier oder fünf Sklavinnen für diese Arbeit zu haben«, antwortete ich.
»Ja, Herr«, erwiderte sie und senkte den Kopf. »Herr?« fragte sie einige Zeit später.
»Ja?«
»Ich habe noch keinen Namen. Ich hätte gern einen.«
»Wie wär’s mit ›Rübchen‹?«
»Oh, bitte, Herr, nicht diesen Namen!« sagte sie lachend. »Der erinnert mich so sehr an die Waniyanpi.«
»Dein Leben hat sich grundlegend verändert, das wirst du bald erfahren«, sagte ich. »Da würde der Name tatsächlich nicht mehr zu dir passen.«
»Das freut mich zu hören.«
»Vielleicht sollte ich dich ›Wowiyutanye‹ nennen.«
»Und was bedeutet das?«
»Versuchung.«
»Der Herr schmeichelt mir«, sagte sie lächelnd.
»Ah, jetzt habe ich einen Namen für dich«, sagte ich, »einen sehr einfachen, sehr passenden Namen für eine Sklavin.«
»Ja, Herr.« Welchen Namen ich ihr auch aussuchte, sie würde ihn akzeptieren müssen.
»Ich taufe dich …«
»Ja, Herr?«
»Ich taufe dich ›Mira‹«, sagte ich.
»Ich danke dir, Herr!« sagte sie. »Mein Herr weiß eine Sklavin zu beschämen. Dieser Name wurde vor langer Zeit von einer Sklavin getragen, die von ihrer Sklaverei nichts wußte. Nun ist der Name nicht nur der Name einer Sklavin, sondern auch ein Sklavinnenname!«
»Ob du wohl eine zufriedenstellende Sklavin sein wirst?« fragte ich.
»Ich werde dir mit ganzem Herzen dienen, Herr«, sagte sie.
»Dann zieh, Sklave!«
»Ja, Herr!«
31
»Das Lager«, sagte Cuwignaka, »liegt hinter der Anhöhe dort.«
Cuwignaka und ich trotteten hangaufwärts durch das hohe Gras. Es war später Nachmittag.
Hinter uns, etwa fünfzig Meter entfernt, kam das Transportgestell, gezogen von drei Personen. Unterwegs waren wir dem jungen Mann und dem Mädchen begegnet, die von den Waniyanpi verstoßen worden waren. Sie hatten schon viel von ihrer Verklemmung verloren und waren sich in ehrlicher Zuneigung nähergekommen – wobei das Mädchen die Rolle der Sklavin als völlig naturgegeben empfand. Er hatte darauf bestanden, beim Ziehen des Gestells zu helfen; so wurde er nun von Sklavinnen flankiert – links von Mira, rechts von seiner blonden Schönheit. Er hatte seiner Sklavin aus dem Waniyanpi-Gewand eine attraktive Tunika gemacht, in der sie sich frei bewegen konnte. Mira dagegen hatte von mir noch keine Bekleidung erhalten. Darüber wollte ich später entscheiden. Sie hatte früher als Agentin der Kurii gearbeitet; um so intensiver sollte sie ihr Sklavendasein zu spüren bekommen.
»Dort!« rief Cuwignaka, der im hohen Gras auf dem Kamm des kleinen Hügels stand. »Dort liegt das Lager, unter uns, zwischen den Bäumen, an dem kleinen Bach. Man kann einige Zelte erkennen.«
Starr verhielt ich neben Cuwignaka. Kaum beachtete ich das flache Tal mit dem Bach und den zwischen den Bäumen versteckten Zelten.
»Was ist?« fragte Cuwignaka.
Ich brachte kein Wort heraus. Das Blut begann in meinen Adern zu pulsieren, das Herz klopfte mir bis in den Hals. Ich begann hastig zu atmen und zu zittern.
»Was ist los mit dir, Mitakola?« fragte Cuwignaka.
»Dort!« sagte ich und deutete auf den Hang jenseits des Lagers.
»Was?«
»Na, dort!«
Auf der Anhöhe befanden sich zwei Bäume, Bäume mit weißer Rinde, etwa fünfzig Fuß hoch, mit leuchtend grünen Blättern. Die Entfernung zwischen ihnen betrug dreißig bis vierzig Fuß, und beide bildeten vor dem Himmel eine dramatische Silhouette.
»Was ist?« fragte Cuwignaka noch einmal.
Zitternd starrte ich auf die beiden einsamen Bäume. »Die Bäume«, sagte ich. »Die Bäume.« Es waren Hogarthe-Bäume, benannt nach einem der frühen Entdecker des Ödlands. In der Nähe von Wasserläufen sind sie im Ödland häufiger anzutreffen. In der Form erinnern sie an Pappeln, wie es sie auf der Erde gibt.
»Nach den beiden Bäumen«, sagte Cuwignaka, »ist dieser Ort benannt.«
»Und wie heißt er?«
»Zwei Federn«, antwortete Cuwignaka.
»Das hielt ich für einen Männernamen.«
»Es ist ein Name, der Name dieses Ortes«, sagte Cuwignaka.
»Wer führt hier das Kommando?«
»Eigentlich Kahintokapa, Mann-der-vorausgeht, von den Gelben Kaiila-Reitern, wenn er noch lebt.«
»Er muß überlebt haben!« rief ich.
Und ich lief den Hang hinab auf das Lager zu.
»Warte!« rief Cuwignaka. »Da kommt jemand!«
»Tatankasa!« rief Canka, der von den Zelten auf uns zueilte. Aber ich lief an ihm vorbei, ich rannte, als hätte ich den Verstand verloren. Er und vielleicht auch Akihoka, der losgezogen war, um ihn von der Jagd zurückzuholen, mußten Flüchtlinge aus dem überfallenen Lager getroffen haben und mit ihnen in dieses Lager gezogen sein.
»Herr!« rief Winyela.
Aber auch sie ließ ich links liegen.
»Warte doch!« hörte ich Cuwignaka hinter mir rufen.
Aber ich konnte nicht warten. Es war später Nachmittag, die geeignete Zeit für das Sonnen der Schilde, hinter den Zelten auf den Schildgestellen hängend, der Zelteingang nach Osten gerichtet, die Rückseite der Zelte nach Westen.
Frauen hoben erstaunt den Kopf, so kopflos hastete ich durch das Lager. »Tatankasa!« rief mir mehr als eine zu.
»Tatankasa!« rief auch Mahpiyasapa.
Ich, ein Sklave, fiel vor ihm auf die Knie. Er war Häuptling der Isbu-Kaiila.
»Du lebst!« rief er. »Mein Herz singt!«
»Herr!« rief ich. »Wo ist Kahintokapas Zelt?«
»Dort«, sagte Mahpiyasapa verwirrt und zeigte mir die Richtung an.
»Sei bedankt, Herr!« rief ich.
Ich ballte die Fäuste.
»Du darfst aufstehen«, sagte Mahpiyasapa, der genau spürte, daß es mir wichtig war.
Ich sprang auf.
»Tatankasa!« rief Mahpiyasapa.
»Ja?«
»Hast du keine Nachrichten von Hci?«
»Dein Herz hat Grund zur Freude, Herr«, sagte ich. »Dein Sohn lebt!« Ich deutete hinter mich, auf den Hang, auf dem bereits das Transportgestell zu sehen war. Mahpiyasapa eilte strahlend darauf zu. Ich sah, wie sich Canka und Cuwignaka umarmten. Winyela stand daneben und klatschte in die Hände. Aus dem Lager eilten zahlreiche Gestalten auf die Gruppe zu, um sie zu begrüßen.
Ich lief auf Kahintokapas Zelt zu und verlangsamte meine Schritte erst, als ich es erreicht hatte. Gemessenen Schrittes ging ich schließlich um den Bau herum. Sonnenschein wärmte mir den Rücken. Nie zuvor hatte ich Kahintokapas Schild außerhalb der Hülle gesehen, selbst als ich ihm vor langer Zeit zum erstenmal begegnete; damals, mit Canka und den Kampfgefährten am Ort des Überfalls auf den Wagenzug.
Es ist nicht ungewöhnlich, daß ein Krieger seinen Schild, wenn er ihn nicht braucht, in einer Hülle aufbewahrt. Sie wird abgenommen, wenn er den Schild zum Sonnen stellt, um Energie und Medizin zu gewinnen aus den flammenden Strahlen des Sterns zweier Welten, Sol oder Tor-tu-Gor, Licht-auf-dem-Heimstein.
An jenem Sommertag verweilte ich lange Zeit reglos und betrachtete den Schild, der da auf seinem Gestell hing. Das Gebilde bewegte sich im Wind leicht hin und her. Mit Rücksicht auf die Gefühle der roten Wilden sorgte ich dafür, daß mein Schatten nicht darauf fiel, während es in der Sonne hing. In ähnlicher Rücksichtnahme geht man niemals zwischen einem Gast und dem Zeltfeuer vorbei, ohne seine Entschuldigung zu erbitten.
Ich hörte Cuwignaka und Canka näherkommen. Sie betrachteten den Schild ebenfalls.
»Seht ihr es?« fragte ich.
»Natürlich«, sagte Cuwignaka.