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»Der Jäger, der vor langer Zeit im Schnee jagte, war Kahintokapa«, sagte ich.

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Cuwignaka.

»Zwei Federn«, sagte ich. »Das war kein Männername, sondern die Bezeichnung für diesen Ort.«

»Was meint er?« fragte Canka.

»Keine Ahnung«, sagte Cuwignaka.

»Schaut euch den Schild an«, sagte ich.

Wir alle betrachteten den Schild. Das Gesicht eines Kur war darauf gemalt, detailgetreu, schwarz umrissen, mit farbigen Pigmenten ausgefüllt. Es war ein breiter, gefährlich aussehender Kopf. Die vorragenden Reißzähne waren deutlich auszumachen. Die Augen fand ich besonders gut gelungen. Sie schienen uns zu mustern. Das linke Ohr war halb fortgerissen.

»Zarendargar, Halb-Ohr«, sagte ich.

»Wer ist Zarendargar?« wollte Cuwignaka wissen.

»Ein Wesen, mit dem ich einmal vor langer Zeit und an einem fernen Ort Paga getrunken habe«, sagte ich.

»Es ist Kahintokapas Medizinhelfer«, sagte Canka.

»Ich würde ihn gern kennenlernen«, sagte ich.

»Diese Wesen sind sehr persönlich«, erwiderte Canka. »Sie werden in Träumen gesehen, in Visionen. Wie kann man den Medizinhelfer eines anderen Mannes kennenlernen?«

»Ich muß mit Kahintokapa sprechen«, sagte ich.

»Kahintokapa ist schwer verwundet«, antwortete Canka.

»Würdet ihr ihm meinen Wunsch begreiflich machen?« fragte ich.

»Ja.«

Ich betrachtete das Gesicht auf dem Schild. Der Kur war gut getroffen. Unter der Habe, die auf dem Lastenschlepper aus Grunts Zelt im Festlager mitgeführt worden war, befand sich das bebilderte Leder, das vor langer Zeit im Delta des Vosk in meinen Besitz gekommen war. Auf diesem Leder wurden eine Jagd und die Begegnung mit einem Medizinhelfer geschildert. Diese Darstellung war der Schlüssel, der nicht nur Kog und Sardak und ihre Verbündeten in das Ödland gelockt hatte, sondern auch mich. Am Ende der Schilderung auf dem Leder hatte der Künstler ein Bild des Medizinhelfers niedergelegt, als Porträt auf einem Schild. Schon diese Nachbildung hatte mich klar an Zarendargar erinnert. Nun hatte ich den eigentlichen Schild vor mir, hier, tief im Ödland, nördlich des Nördlichen Kaiila-Flusses, im Land der Casmu-Kaiila.

Ich drehte mich um.

Inzwischen hatten sich etliche Zuschauer eingefunden.

Ich schaute an ihnen vorbei, fort vom Lager, über die Prärie.

Dann wandte ich mich wieder Cuwignaka und Canka zu.

»Ich möchte gern mit Kahintokapa sprechen«, sagte ich.

»Du suchst seinen Medizinhelfer?« fragte Canka.

»Ja.«

»Wenn du das tust«, sagte Canka, »mußt du so handeln, wie es bei uns üblich ist.«

»Natürlich gehe ich auf eure Wünsche ein«, sagte ich.

»Cuwignaka und ich werden mit Kahintokapa sprechen«, sagte Canka. »Wir werden für dich eintreten.«

»Ich bin euch dankbar«, sagte ich.

32

»Die Leiche wurde nie gefunden«, sagte ich.

»Das würde einem Tuchuk schon etwas ausmachen«, sagte Kamchak von den Tuchuks.

Ein kalter Wind wehte über das flache Dach des Justizzylinders in Ar.

Kalt waren die Steine, etwa zwanzig Pasangs westlich des Casmu-Kaiila-Lagers bei Zwei Federn.

Wieder hielt ich Gras und Erde mit Kamchak von den Tuchuks. Ich spürte sie kühl in der Hand, zwischen den Fingern.

Es begann zu regnen. Der Regen wusch mir Schmutz und Gras von den Händen. Die Brücken Tharnas hatten grau und kühl im gemächlichen Regen gelegen.

Aus der Ferne hörte ich das Gebrüll der Zuschauermassen im Tarn-Stadion von Ar.

Die Silbermaske schien unnatürlich groß zu sein. Die Frauenstimme, die dahinter erklang, schien von weither zu tönen. Dennoch vernahm ich den wütenden Unterton. »Wir werden uns wiedersehen!« sagte sie.

Der Tarn erhob sich vom Dach des Palasts. Eine frische Brise zupfte an meiner Kleidung.

Die Dorna war ein Schiff, ein Tarnschiff, ein Rammschiff mit geringem Tiefgang, geradem Kiel und einer Ruderebene. Es besaß ein Lateinersegel und war grün bemalt auf dem bewegten Wasser des Thassa vor Port Kar kaum auszumachen.

Lara, die ehemalige Tatrix von Tharna, kniete im Lager des Sklavenhändlers Targo auf einem roten Teppich vor mir und hielt mir unterwürfig zwei gelbe Schnüre entgegen.

Misk, der bei Nacht im Sardargebirge stand, herablassend, geschmeidig, ein großartiger Anblick vor den Monden, während der Wind seine Tentakel bewegte.

An jenem Abend hätte ich vielleicht in die Taverne Sapedons in Lydius zurückkehren müssen, um Vella beim Tanz zuzuschauen. Ich hatte Geschäfte erledigt.

»Ein Hurrikan aus Steinen!« brüllte Hassan, und der Wind zerrte an seinem Burnus.

»Vielleicht wird es heute nacht kalt«, sagte Imnak und beugte sich über die Schieferspitze seiner Harpune, die er im Licht einer kleinen Sleenöl-Lampe methodisch mit einem Stein schärfte.

»Ja«, stimmte ich ihm zu.

Über die tobende See des Nordens vernahm ich Ivar Gabelbarts mächtiges Lachen.

Blitze umzuckten die zerklüfteten Gipfel der Voltai-Berge.

»Peitscht ihn aus!« befahl Marlenus aus Ar.

Hiebe wurden ausgeteilt.

Meine Wange berührte die kalten, nassen Steine. Man verläßt den Ort der Visionen nicht. Es regnete. Ich streckte die Hand aus und umfaßte Eis. Prasselnd landete es ringsum, prallte von den Steinen zurück. Mein Rücken begann zu bluten. Der weiße Kalk, der meinen Körper bedeckte, wies zahlreiche Furchen auf. Ich bedeckte meinen Kopf und blieb auf den Steinen liegen. Man verläßt den Ort der Visionen nicht.

Es war heiß.

Ich hörte Vogelgeschrei im Dschungel der Ua.

»Wir wollen weitermarschieren«, sagte Kisu, und auf dem breiten Fluß, der sich zwischen den feuchten, verfilzten grünen Dschungeldickichten erstreckte, tauchten wir erneut unsere Paddel ein.

Mir war schwindlig. Vielleicht lag es an der Sonne. Ich lag auf dem Rücken. Die hochstehende, heiße Sonne der Tahari brannte erbarmungslos.

»Trink!« sagte Hassan, der sich über mich beugte. »Schade«, fügte er hinzu. »Der Wasserbeutel ist leer.«

»Wenigstens ist es jetzt kühler«, sagte Samos. »Das ist immerhin eine Erleichterung.«

»Ja«, sagte ich.

»Ein Sturm kommt auf, Kapitän«, meldete Thurnock. »Um diese Jahreszeit läuft ein vernünftiger Kapitän den Hafen an.«

Ich schlug das Schwert aus der Hand Marlenus’ aus Ar.

»Will man Medizinhelfer zu Gesicht bekommen, muß man bestimmte Wege beschreiten«, sagte Canka. »Wenn du etwas erreichen willst, mußt du auf die richtige Weise danach streben.«

»Ich werde auf deine Wünsche eingehen«, sagte ich.

»Es gibt keine Garantie, daß sich der Medizinhelfer wirklich blicken läßt«, sagte Kahintokapa.

»Das verstehe ich.«

»Die Sache ist nicht einfach«, sagte Cuwignaka.

»Das ist mir klar.«

Hcis Schild stieg empor wie ein Mond, unaufhaltsam, und entblößte ihn der Lanze des Gelbmessers. Der Mond bewegte sich schnell hinter den Wolken. Es gibt viele Möglichkeiten, das Gesehene zu deuten.

Ein kleines Paket, schwer, rechteckig, zwischen den Sachen in Grunts Zelt hervorgekramt, lag in meiner Nähe auf den Steinen. Ich versuchte mich auf den Steinen aufzurichten und stemmte dazu die Hände auf die Knie.

Ich spürte Regen.

Blitze zuckten am Himmel, Donner grollte wie eine Brandung zwischen den Küsten des Horizonts.

Kalter Regen, windgetrieben, prasselte herab, dröhnte auf die Steine, zerrte an den Blättern einiger Bäume.

»Wer ist die Frau?« fragte ich.

»Es heißt, sie war einmal die Tochter Marlenus’ aus Ar«, erhielt ich zur Antwort. »Weil sie ihn entehrte, wurde sie verstoßen.« Ihre Gestalt, die eine Verhüllungsrobe trug, war aus dem Korridor verschwunden.

Und wieder erhellten Blitze den Unwetterhimmel und die Regenbahnen, doch dann waren Blitze und Regen verschwunden, und es ertönten laute, widerhallende Schläge, und der schwere Hammer Krons, eines Mitglieds der Kaste der Metallarbeiter, hob und senkte sich und traf einen riesigen Amboß und ließ Funken durch die Nacht stieben, die in das stille Meer fielen und dort wie Diamanten funkelten, und ich ließ mich auf den Rücken rollen und bemerkte emporschauend, daß die Diamanten am Himmel hingen und Sterne waren.