»Der Stamm der Kaiila wird wiederauferstehen«, sagte Hci.
»Unsere Pläne machen Fortschritte«, sagte Cuwignaka.
»Ja«, sagte ich. »Die Ratsversammlung aller Banden der Kaiila, der Isbu, der Casmu, der Isanna, der Napoktan und der Wismahi, aller Überreste des Kaiila-Volks, wird Ende Canwapegiwi am Ratsfelsen stattfinden.«
Cuwignaka, Hci und ich gaben uns die Hände. Dann verschwanden meine Freunde durch den Schnitt in der Zeltwand.
Ich betrachtete die beiden hübschen Gefangenen, die in ihren Säcken hilflos waren, und begann das Feuer zu schüren. Ich mußte ein Weilchen warten.
Nach einiger Zeit stand ich auf.
Die Mädchen blickten mich angstvoll an, als ich mich neben ihnen niederhockte, ein Lederseil durch die Griffschlaufen über ihren Köpfen zog und beide Säcke auf diese Weise miteinander verband.
Iwoso bewegte heftig den Kopf hin und her und stieß energische Laute aus.
»Du möchtest etwas sagen, nicht wahr, Lady Iwoso?« fragte ich.
Sie nickte nachdrücklich.
»Würdest du mir versprechen, still zu sein«, fragte ich, »wenn ich dir den Knebel abnehme?«
Sie nickte.
»Könnte ich mich in dieser Situation auf dein Wort verlassen?« wollte ich wissen.
Wieder nickte sie.
Meine Hände näherten sich der Fessel. Dann schien ich es mir zu überlegen. »Ich wage den Knebel doch nicht herauszunehmen«, sagte ich. »Du bist eine sehr intelligente und schlaue Frau. Du würdest mich sicher hereinlegen.«
Beruhigend schüttelte sie den Kopf.
Ich betrachtete sie nachdenklich. »Unbequem, nicht wahr?« fragte ich.
Wimmernd nickte sie.
»Die roten Wilden behandeln ihre Frauen manchmal zu streng, nicht wahr?«
Iwoso signalisierte mir Zustimmung.
»Na, vielleicht schadet es doch nichts, wenn ich dir den Knebel ein wenig lockere.«
Iwoso wimmerte dankbar.
Ich löste den Knoten hinter Iwosos Hals, steckte ihr den Finger in den Mund und lockerte den Knebelballen. Als bekäme ich plötzlich Angst, zu großzügig gewesen zu sein, machte ich die Knebelschnur wieder zu, aber nicht mehr so fest wie vorher; außerdem sicherte ich sie mit einem einfachen Knoten, der keiner langen Beanspruchung standhalten konnte.
»Ist es besser so?« fragte ich die Gefangene.
Sie wimmerte mich flehend an, doch ich wandte mich ab und lächelte innerlich. Glaubte sie wirklich, daß eine Frau wie sie, eine wohlgeformte Sklavin, Rücksichtnahme verdiente?
Ich ergriff das Seil, das auf dem Boden lag, verließ das Zelt durch die Rückseite und machte das Leder am Sattelknauf der Kaiila fest, die dort auf mich wartete. Dann kehrte ich ins Zelt zurück, legte eine tarnende Robe an, stieg auf und ritt ohne Eile an. Die beiden Säcke wurden hinter meiner Kaiila aus der Schnittöffnung des Zeltes gezogen.
Ich hörte Iwoso leise verzweifelte Laute ausstoßen. In diesem Moment begann sie wirkliche Angst zu empfinden. Vermutlich machte sie sich zum erstenmal klar, daß wir sie vielleicht tatsächlich aus dem Gelbmesserlager entführen konnten – mit allen Konsequenzen, die das für sie haben würde.
Doch noch hatte ich keine Eile.
Im Schritt lenkte ich meine Kaiila auf den breiten leeren Weg zwischen den Gelbmesser-Zelten. Ich spürte die Spannung in den Seilen, die links und rechts von der Kaiila zu den schleifenden Säcken führten.
Einmal schaute ich zurück. Iwoso wand sich in ihrem engen Behältnis heftig hin und her. Glaubte die sicher gefesselte kleine Dirne wirklich, sie könne freikommen? War ihr nicht klar, daß sie von einem Kaiila-Krieger gefesselt worden war, von Hci? Aber es gab eine einfache Methode, dem Gezappel ein Ende zu machen: Ich erhöhte das Tempo der Kaiila.
Am Ende der Promenade wendete ich mein Tier und galoppierte mitten auf dem breiten Weg durch das Lager. Am anderen Ende machte ich ebenfalls kehrt – in weitem Bogen, um die Seile nicht durcheinanderzubringen.
Inzwischen mußte Iwoso genug Zeit gehabt haben, ihren Knebel zu lockern und auszuspucken.
Hoffentlich hatte ich ihn nicht zu fest gelassen.
Im Galopp schaute ich zurück. Die Säcke und Seile waren staubbedeckt. Plötzlich gab es hinter mir lautes Geschrei, eine schrille Stimme äußerte Worte, vermutlich in der Gelbmessersprache.
Ich verhielt meine Kaiila. Iwoso hatte wirklich lange genug gebraucht, sich von dem Knebel zu befreien.
Sie hatte sich in ihrem Sack aufgerichtet und beugte sich schreiend vor. Ihre Stimme mußte das Lager wecken.
Um mir eine günstige Ausgangsposition am Ende der breiten Passage zu schaffen, setzte ich meine Kaiila wieder in Bewegung; das sich straffende Seil zerrte Iwoso wieder in eine liegende Stellung. Unentwegt kreischte sie. Ich hielt es für angebracht, die Kaiila zu schneller Gangart anzutreiben, schon um sie davon zu überzeugen, daß ich besorgt sei. Hier und dort kamen Gelbmesser-Krieger aus ihren Zelten.
Am Ende des breiten Weges ließ ich die Kaiila erneut halten. Von hier vermochte ich in die Nacht zu entkommen.
»Bitte sei still, Lady Iwoso!« rief ich nach hinten.
Sie verhielt es wie erwartet für angebracht, meine Empfehlung zu mißachten, so wohlmeinend sie auch gewesen war.
Etliche Männer liefen auf uns zu. Mehr Sorgen machten mir jene, die ich nicht sehen konnte, die vielleicht schon hinter ihren Zelten auf Kaiilarücken sprangen.
Andere Männer und Frauen verharrten in der Nähe ihrer Zelte, als versuchten sie zu ergründen, was geschehen sei. Ich ließ Iwoso noch einige Augenblicke schreien; zu meiner Freude schien sie nicht nur Hilfe herbeirufen zu wollen, sondern längere Ausführungen zu machen. Offensichtlich wollte sie den Gelbmessern etwas Wichtiges mitteilen. Ich beherrschte die Gelbmessersprache nicht, glaubte aber ziemlich sicher zu wissen, wie ihre Botschaft aussah. Es war eine Nachricht, die sie unbedingt loswerden wollte, denn damit hoffte sie das Fundament für ihre spätere Befreiung zu legen.
»Jetzt reicht’s, Lady Iwoso«, sagte ich auf Kaiila zu ihr und warf mit einer vielleicht etwas übertriebenen Geste die Robe zur Seite, die ich getragen hatte. Ich hatte Glück – sie landete auf einem Gelbmesser, der mich von der Seite angreifen wollte, und ließ ihn zu Boden gehen. Ich preßte meiner Kaiila die Hacken in die Flanken und ließ sie losgaloppieren. Ein Gelbmesserkrieger stürzte sich auf Iwosos Sack, erreichte sein Ziel aber nicht mehr und fiel in den Staub. Einige Meter entfernt verhielt ich mein Tier erneut. Im Lager herrschte ein lautes Durcheinander. Ich hörte Wutgeschrei. Männer liefen hin und her. Nun ritt ich weiter in die Nacht. Ich hatte keine Zeit mehr. Ich mußte zwei Frauen abliefern, die eine an Cuwignaka, die andere an Hci.
Mein Ziel war ein erhöhter flacher Stein. Die Übergabe hatten wir mehrmals mit Mira geübt. Normalerweise hätte ich keine Chance gehabt, Gelbmesser-Kaiilas davonzugaloppieren, auf keinen Fall mit einem so geringen Vorsprung und so schweren Lasten.
Ich vernahm Geschrei hinter mir. Die Verfolger waren näher, als mir lieb sein konnte.
Wenige Ehn später erreichte ich den Felsen und trieb die Kaiila den Hang hinauf. Ihre Hufe rutschten, aber dann fand sie Halt und erreichte die Gipfelplattform, die etwa vierzig Fuß höher lag als die umgebende Prärie.
Drei volle Monde standen am Himmel.
Ich stieg ab und zerrte die beiden Sklavensäcke zu mir hoch. Ich löste das lange Seil vom Sattelknopf und zerschnitt es in der Mitte. Einen Teil zog ich durch die Schlaufe von Bloketus Sack, band die Enden zusammen und zog die Schlinge als zwei parallele Doppelschlaufen aufwärts. Die gleiche Vorbereitung traf ich bei Iwosos Sack.
Die führenden Gelbmesserreiter hatten angehalten. Sie schienen unsicher zu sein, wohin ich geritten war. Vielleicht hatten sie eine fremde Spur gekreuzt. Andere Reiter, die aus dem Dorf nachrückten, schlossen sich der Gruppe an.
Ich suchte den Himmel ab. Von Cuwignaka oder Hci war noch nichts zu sehen.
Ich schaute auf Iwoso hinab, die hilflos vor mir lag.
»Dir scheint der Knebel zu fehlen«, sagte ich.
Sie blieb still. Hatte sie mich nicht dazu verleitet, ihr den Knebel zu lockern, und sich damit die Gelegenheit verschafft, das Lager zu alarmieren? Kein Wunder, daß sie stumm blieb, wußte sie doch, daß sie hier und jetzt gegen meinen Zorn nichts ausrichten konnte.