Im gleichen Moment jagte ich Kog, dem Begleiter Sardaks, einen Pfeil ins Herz. Er erstarrte und sank zu Boden.
Links und rechts von mir waren andere Kaiilakrieger an der Felskante in Stellung gegangen und zeigten sich dem Gegner. Die Gelbmesser begannen sich zurückzuziehen. Der Kriegshäuptling brüllte Befehle; offenbar wollte er seine Krieger zum Angreifen bewegen, aber er blieb dabei ebenso erfolglos wie Alfred, der seine wenigen Söldner um sich scharte.
In diesem Augenblick erschien der Ubar des Himmels hinter uns, eine schwarze Silhouette vor der Helligkeit des Tages. Er ließ die riesigen Flügel schwingen und stieß den Kampfschrei des Tarns aus.
Die Gelbmesser machten kehrt und flohen.
Kaiilakämpfer schwärmten über die Barrikade aus und schwangen Lanzen und Keulen, Schilde und Messer. Auf dem schmalen Pfad entstand Verwirrung. An einem Dutzend Stellen entbrannten Kämpfe.
»Schaut!« rief ich. Am westlichen Horizont stieg eine Staubwolke auf.
»Sie kommen!« rief Cuwignaka begeistert.
»Ja«, sagte ich.
Es mußte sich um die Staubfüße, Sleen und Flieher handeln – Stämme, zu denen wir Reiter geschickt hatten.
Wir waren hier oben auf dem Ratsfelsen der Köder gewesen, der die Gelbmesser und die Söldner in eine Falle locken sollte, eine Falle, die jene anderen Stämme, gemeinsam vorgehend, nun schließen würden. Dies war unbedingt im Interesse aller Beteiligten. Durch ihre Zusammenarbeit mit den weißen Söldnern hatten die Gelbmesser die ›Erinnerung‹ verraten. Der gemeinschaftlichen Erinnerung zufolge hatte vor langer Zeit eine andere Tragödie, die in den Legenden beinahe vergessen war, auf ähnliche Weise begonnen. Das Ödland mußte beschützt werden. Außerdem war ein Sakrileg begangen worden, der Angriff auf ein Sommerlager. Hierfür galt es Rache zu nehmen. Und was noch schlimmer war: Die Kinyanpi waren erstmals in westliche Länder vorgedrungen. Bündnisse wie zwischen den Gelbmessern, weißen Söldnern und Kinyanpi bedrohten die empfindlichen Stammesbeziehungen im Ödland. Sie konnten Gewohnheiten der Pte verändern und Stämme aus ihren gewohnten Jagdgründen vertreiben. Anscheinend hatten die Argumente unserer Gesandten gewirkt. Für den eigentlichen Kampf kam die Hilfe zu spät, doch konnten die Nachrückenden dem demoralisierten Feind die Fluchtwege abschneiden.
Ich sah, wie Alfred von hinten mit einem hölzernen Canhpi niedergeschlagen wurde. Auf dem Weg unter uns lagen die fünf Kurii, die Sardak und Kog begleitet hatten. Sie waren von zahlreichen Pfeilen durchbohrt.
Es würde lange dauern, bis Kaiila oder Gelbmesser solche Wesen wieder für übernatürliche Kreaturen halten würden, für Besucher aus der Medizinwelt.
Iwoso, die an ihren Pfahl gefesselt war, hatte ergeben die Augen geschlossen.
Ich nahm dem Ubar des Himmels den Sitzgurt ab und entfernte die Zügel von seinem Schnabel.
»Du bist frei, guter Freund«, sagte ich und tätschelte den mächtigen Schnabel, den der Tarn mir sanft in die Seite drückte. Der Ubar des Himmels war kein Sklave des Menschen, sondern ein freies Tier der Lüfte.
»Der Weg ist frei«, sagte ich zu Hci.
»Ja«, antwortete er und wandte sich an Iwoso. »Die Gelbmesser sind besiegt«, fuhr er fort. »Sie sind zersprengt. Sie laufen um ihr Leben.«
»Ja, Herr«, sagte sie.
»Für dich gibt es keine Hoffnung auf Rettung mehr, meine gefesselte Gelbmesser-Dirne«, sagte Hci.
»Nein, Herr«, erwiderte sie.
»Du bist allein und gehörst nun den Kaiila.«
»Ja, Herr«, entgegnete sie resigniert.
42
»An der Schuld dieser beiden besteht kein Zweifel«, sagte Mahpiyasapa.
Die ihn umringenden Männer brummten zustimmend. »Cinto!« sagten mehrere. »Richtig!«
Die beiden Frauen, Bloketu und Iwoso, knieten vor den Männern.
»Die Aussagen sind gemacht worden, die Beweise klar. Ihre Beteiligung an der Vorbereitung des Angriffs auf das Sommerlager ist erwiesen. Sie haben sich gegen das Volk der Kaiila verschworen.«
»Cinto!« riefen die Männer.
»Habt ihr dazu irgend etwas zu sagen?« fragte Mahpiyasapa.
Die Mädchen schluchzten nur.
»Ich spreche euch schuldig«, fuhr Mahpiyasapa fort. »Da aber eine von euch die Tochter eines Kaiilahäuptlings ist, Watonka, einst ein großer Krieger und mein Freund, und die andere ihre Zofe, lasse ich euch nicht foltern.«
»Mahpiyasapa ist gnädig«, sagte jemand.
»Ihr werdet behandelt wie freie Frauen. Morgen früh werdet ihr auf den Gipfel gebracht und in die Tiefe gestürzt.«
Bloketu blickte den Häuptling entsetzt an.
»Nein!« schrie Iwoso. »Nein! Nein!«
Der Wind wehte kühl am oberen Ende des Weges, unweit der Stelle, wo die Barrikade errichtet gewesen war.
Es war kurz nach Tagesanbruch.
»Sind die Gefangenen anwesend?« fragte Mahpiyasapa.
»Ja«, sagte Cuwignaka.
»Dann möge das Urteil vollstreckt werden«, befahl der Häuptling, der von den Mitgliedern des Rates umgeben war. Es hatten sich zahlreiche Zuschauer eingefunden, die sich in größerem Abstand hielten.
Cuwignaka packte Bloketu an den Armen. »Nein!« schrie sie heftig und warf den Kopf in den Nacken. »Ich erflehe die Alternative!« rief sie. »Ich erflehe die Alternative, Herr!« Und sie fiel auf die Knie.
»Herr?« fragte Mahpiyasapa.
»Ja, ›Herr‹!« rief sie. »Als Sklavin muß ich alle freien Männer so ansprechen. Ich unterwerfe mich hiermit als Sklavin. Ich bin seit Jahren schon im tiefsten Herzen Sklavin der Männer. Verzeiht mir, ihr Herren!«
Erstaunt blickte Mahpiyasapa sie an. »Du hast dich zur Sklavin gemacht – nun gibt es kein Zurück mehr.« Er wandte sich an seine Ratsmitglieder. »Einer Sklavin steht der ehrenhafte Tod einer freien Frau nicht mehr zu, nicht wahr?«
Die Ratsmitglieder nickten zustimmend.
Im gleichen Moment löste sich Iwoso aus Hcis Griff und warf sich auf die Knie. »Auch ich bin Sklavin!« schluchzte sie. »Auch ich unterwerfe mich als Sklavin dem Willen aller Männer.«
»Meinst du das ernst?« fragte Mahpiyasapa.
»Ja, Herr.«
»Sie lügt doch nur, um dem Tod zu entgehen«, sagte ein Mann verächtlich.
»Vielleicht glaubt sie zu lügen, doch wenn sie nicht im Grunde ihres Herzen das ist, was sie zu sein behauptet, wäre ihr dieser Ausweg sicher nicht eingefallen.«
»Jedenfalls«, sagte ein Mann, »hat sie sich als Sklavin unterworfen.«
»Euch ist doch klar«, wandte sich Mahpiyasapa an die Mädchen, »daß die Worte allein genügen, daß ihr Sklavinnen wurdet, als ihr sie ausspracht?«
»Ja, Herr.«
»Dann hebe ich mein früheres Urteil hiermit auf.«
Erfreut blickten die Mädchen zu ihm auf.
»Überlaßt sie den Frauen«, fuhr Mahpiyasapa fort.
»Nein«, sagte Cuwignaka und richtete sich auf. »Ich nehme diese Frau zu meiner Sklavin.« Und er deutete auf das Mädchen, das bisher Bloketu geheißen hatte.
Erschaudernd warf sich das Mädchen herum und schmiegte ihre Wange an sein Bein.
Iwoso warf sich vor Hci auf den Boden. »Ich flehe dich an, Herr!« schluchzte sie. »Nimm mich als deine Sklavin!«
Er hockte sich zu ihr nieder. »Du hast gesagt, du würdest lieber sterben, als meine Sklavin zu sein«, sagte er leise.
»Das war gelogen!« rief sie. »Ich habe gelogen! Ich bin Sklavin! Und nicht nur das, ich bin deine Sklavin!«
»Meine Sklavin?« fragte er.
»Seit Jahren«, sagte sie, »wußte ich, daß ich dir ergeben war. Bei jedem Blick auf mich mußt du doch gemerkt haben, daß du mein Herr warst! Gib mir die Gelegenheit, dir zu beweisen, daß ich es wert bin, deine Sklavin zu sein!«
Mit verschränkten Armen richtete er sich wieder auf.
»So sei es denn«, sagte Mahpiyasapa. »Die Angelegenheit ist geregelt.«