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»Die Flieger-Krieger fanden ihn auf der Prärie«, sagte ein Mann, »und brachten ihn her.«
Zwei dicke Seile führten zu seinem Hals und endeten am Sattel zweier Kaiila, zwischen denen das Wesen geführt wurde. Männer mit Lanzen bewachten es überdies von hinten.
Es war der Kur, den ich insgeheim den achten Kur nannte. Anscheinend war er während des Massakers am Wagenzug von seinen Artgenossen getrennt worden. Ich war ihm schon einmal begegnet; der Kur war auf das Schlachtfeld zurückgekehrt, um zu fressen, und hatte dabei die Waniyanpi bedroht. Nachdem Grunt und ich diesen Kur in die Flucht geschlagen hatten, erfuhr ich von Kürbis, daß neun tote Kurii auf dem Schlachtfeld gefunden und von den roten Wilden fortgezerrt worden waren. So hatte ich nicht feststellen können, ob Kog und Sardak zu den Kur-Überlebenden gehörten. Insgesamt hatten Alfreds Söldner siebzehn Kur-Wagen begleitet. Bei neun Toten blieben acht überlebende Kur, mit denen ich im Ödland rechnen mußte.
Als Cuwignaka und ich die Siegesfeier der Gelbmesser und Söldner im Sommerlager beobachteten, hatten wir dort, Kog und Sardak eingerechnet, sieben Kurii gezählt. Hier war nun der achte, der anscheinend von seinen Artgenossen getrennt worden war. Nun hatten Flieger ihn eingefangen, was vermutlich kein Zufall war. Wahrscheinlich war er den Kriegern gefolgt, in der Hoffnung, daß ihr Ausrücken mit den Plänen seiner Vorgesetzten zusammenhing.
»Was tun wir mit ihm?« fragte ein Mann. »Die Flieger wollen ihn nicht behalten. Und sie scheinen Bedenken zu haben, das Wesen zu töten.«
»Bringt ihn zum Zelt des schwarzen Gasts«, sagte ich.
Der Blick des Kur ruhte auf mir. Anscheinend erinnerte er sich an unsere erste Begegnung ebenso klar wie ich.
Die nackte, schwerbrüstige rothaarige Sklavin stöhnte hilflos ihre Unterwerfung heraus. Sie war noch immer ziemlich verschmutzt.
Ich hatte sie als Beuteanteil von den Gelbmessern erhalten.
»Herr! Herr!« japste sie und starrte mit glasigem Blick zu mir empor.
»Cespu! Mira!« rief ich. Die beiden Sklavinnen eilten herbei, mein Mädchen Mira und Cuwignakas Sklavin, die ehemalige Bloketu, die nun den Namen Cespu trug, ›Warze‹.
Ich deutete auf den Rotschopf vor mir.
»Säubert sie von Kopf bis Fuß und kämmt sie gründlich. Sie soll den besten Eindruck machen.«
»Ja, Herr«, sagte Mira.
»Dann bringt ihr sie als mein Geschenk zu Grunt«, fuhr ich fort. »Er wird schon wissen, was er mit ihr anfangen muß.«
»Ja, Herr«, sagte Cespu.
»Ja, Herr«, sagte auch Mira.
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»Wo finden wir den Mann, der sich Cuwignaka nennt?« übersetzte der junge hellhäutige, muskulöse Mann.
Der Krieger, von dem diese Frage ausging, war ein Flieger, der sein Haar in einer hohen, zurückgekämmten Frisur trug. Er war Mitglied der Blauen Himmelsreiter. Grunt und ich hatten ihn vor langer Zeit schon einmal gesehen, in der Nähe der Stelle, wo sich das Wagenzug-Massaker ereignet hatte.
»Ich bin Cuwignaka«, sagte mein Freund und trat vor. Er trug inzwischen einen Lendenschurz, hatte aber noch immer die weißen Fetzen des Kleides um den Oberkörper geschlungen. Auch seine Worte wurden von dem hellhäutigen Jüngling übersetzt.
»Ich hatte geglaubt, tot zu sein«, hatte Grunt mir gestern anvertraut. »Jetzt aber habe ich das Gegenteil entdeckt. Ich habe bei den Staubfüßen einen Sohn!«
Grunt hatte den Jungen beim Besuch des Staubfuß-Stammes nach dem Massaker im Sommerlager gefunden. Vorwiegend wegen Grunts Fürsprache hatten die Staubfüße den langen Ritt zum Ratsfelsen unternommen, um den Kaiila zu helfen. Die Mutter des Jungen hatte Grunt vor langer Zeit geliebt. Angeblich lebte sie noch. Der Junge besaß Grunts Sprachtalent und Geschäftssinn. Er gehörte zu den wenigen Staubfüßen, die in Flieger-Lagern willkommen waren, und hatte ihre Sprache erlernt.
Grunt und sein Junge hatten beschlossen, künftig als Partner zu arbeiten – sicher würden sie im Ödland bald Berühmtheit erlangen. Diesen Winter, so hatte Grunt mir gesagt, wollte er nicht in die Ihanke zurückkehren, sondern bei den Staubfuß-Kriegern bleiben. Es gebe dort eine Frau, die ihm einmal viel bedeutet habe. Er wollte sie wiedersehen.
Der Flieger-Krieger musterte Cuwignaka. »Ich habe von dir gehört«, ließ er übersetzen. »Auf den Ebenen ist allgemein bekannt, daß bei den Kaiila ein Mann lebt, der Cuwignaka, Frauenkleid, genannt wird und der keinen Händel mit den Fliegern hat.«
Cuwignaka musterte sein Gegenüber wortlos.
»Deinetwegen«, fuhr der Flieger, »nur deinetwegen sind wir zum Ratsfelsen gekommen.«
Cuwignaka schaute den anderen verwirrt an.
»Weißt du, warum wir zum Ratsfelsen gekommen sind?« fragte der Flieger, »und warum, unseretwegen, die Sleen mitgekommen sind?«
»Nein«, antwortete Cuwignaka. Die Flieger und Sleen sind Verbündete.
»Weil wir keinen Händel mit Cuwignaka haben«, sagte der Flieger lachend.
Dann wendete er seine Kaiila und ritt davon.
»Du bist jetzt ein großer Krieger, mein Freund«, sagte Hci zu Cuwignaka. »Welchen Namen willst du annehmen? Hast du dir schon einen ausgesucht?«
»Willst du deinen alten Namen Petuste wieder annehmen?« In der Kaiilasprache bedeutet dieses Wort ›Feuerscheit‹.
»Nein«, antwortete Cuwignaka. »Ich behalte meinen Namen Cuwignaka.«
Hci lächelte. »Du hast diesen Namen zu einem Kriegernamen gemacht«, sagte er.
»Und was ist mit dir, mein Freund?« wandte sich Cuwignaka an Hci. »Vor langer Zeit warst du als Ihdazicaka bekannt.« In der Übersetzung bedeutete dieser Name ›Mann-der-sich-reich-schätzt‹.
»Nein«, antwortete Hci lächelnd. »Obwohl ich mich nun wirklich reich schätzen kann, werde ich den Namen Hci behalten. Es ist ein Name, auf den ich stolz bin. In der Zeit, in der ich diesen Namen trug, habe ich die höchsten Coups erringen können. Und zum erstenmal in meinem Leben Freunde gefunden.«
Wir gaben uns die Hände.
Die Niederlage der Gelbmesser lag zehn Tage zurück.
Wir befanden uns in einem großen Siegeslager, an einem Flußlauf gelegen, sieben oder acht Pasangs vom Ratsfelsen entfernt. In diesem Lager lebten Flieger, Sleen, Staubfüße und Kaiila einträchtig nebeneinander. Feiern und Tänze hatten stattgefunden. Die Beute aus den Gelbmesser-Lagern war aufgeteilt worden, und es war zu einem lebhaften Austausch von Geschenken gekommen, sogar zwischen Erbfeinden wie den Fliegern und den Kaiila.
Doch so selten solche Friedensfeste auch waren – das Braunwerden des Grases und der kühle Wind kündeten nur zu klar vom Fortschreiten der Jahreszeiten. Schon verließen erste kleine Gruppen das große Lager.
Auch ich mußte mich bald auf den Weg machen. Ich mußte das Ödland verlassen und die lange Reise zur Ihanke und von dort zu den Thentis-Bergen und dem Vosk antreten, von wo ich den Tamber-Golf und Port Kar erreichen würde.
Ich machte mich auf den Rückweg zu dem Zelt, das ich mit Cuwignaka teilte. Bei uns wohnten seine Sklavin Cespu, die ehemalige Bloketu, und Mira, die inzwischen rechtmäßig mein Mädchen war. Cuwignaka wollte sie mir schenken, doch ich hatte darauf bestanden, vier Felle für sie zu bezahlen.
Ein wenig abseits knieten vier Sklavinnen, die einmal Grunt gehört hatten und ihm von Gelbmessern genommen worden waren: Lois, Inez, Corinne und Priscilla. Nach der Niederlage waren sie Grunt als Beuteanteil zurückgegeben worden. Zwei Mädchen hatte er bereits mit gutem Gewinn weiterverkauft; sie waren nur noch nicht abgeholt worden. Zwei andere Mädchen wollte er als Lastenträgerinnen bei sich behalten.
Ich blieb vor Lois stehen und zog ihren Kopf am Haar herum. »Du hast Alarm geschlagen, als ich mit zwei Freunden in einem Gelbmesserlager Kinyanpi-Tarns stehlen wollte.«
Sie erschauderte.
»Wußtest du, daß ich zu den Angreifern gehörte?« fragte ich. »Hattest du mich erkannt?«
»Ja, Herr«, flüsterte sie zitternd.
»Gut gemacht«, sagte ich.
Erstaunt blickte sie mich an.
»Sieh zu, daß du deinem neuen Herrn womöglich noch besser dienst«, sagte ich.