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»Was passiert jetzt?« fragte ich Cuwignaka.

»Paß auf.«

Unter Anleitung von Cancega begannen mehrere Männer den umgestürzten Baum von Rinde und Ästen zu befreien. Zwei Gabeln wurden übriggelassen, die eine etwa achtzehn Fuß, die andere dreiundzwanzig Fuß hoch. Hierbei wurde Rücksicht darauf genommen, daß der Stamm später auf der Tanzfläche in ein etwa acht Fuß tiefes Loch gestellt werden sollte, so daß sich die Astgabeln dann zehn und fünfzehn Fuß über dem Boden befänden.

Der schmale Baumstamm, von Rinde befreit, lag glatt und weiß vor uns.

Ein kleines Tongefäß mit Farbe wurde gebracht. Wieder schob man das Mädchen in den Vordergrund.

Sie war es, die Sklavin, die mit der Farbe verkünden mußte, daß der Pfahl Kaiila sei. Bei solchen großflächigen Anstrichen auf Holz wird ein Pinsel aus kurzgeschnittenem eingedrehten Gras verwendet. Die Farbe war Rot, ein Rot, das wahrscheinlich aus zermahlener Erde oder Ton gewonnen worden war. Vielleicht hatte man auch Felsgestein zerdrückt, das Eisenoxid enthielt. Andere Rottöne lassen sich aus gekochten Wurzeln gewinnen.

Unter Anleitung Cancegas, des Medizinhäuptlings im Sommerlager aller Kaiila-Banden, machte sich Winyela gehorsam daran, die rote Farbe aufzutragen. »Er ist Kaiila!« sangen dabei viele Umstehende. Dreimal vollführte Winyela das Ritual mit dem Pinsel, während der Baumstamm auf Böcken liegend, vor ihr gedreht wurde. »Er ist Kaiila!« riefen die Männer im Singsang.

Die drei roten Farbstreifen schimmerten grell auf dem weißen Stamm. Rote Streifen, eins bis fünf an der Zahl, werden üblicherweise von Kaiilakriegern benutzt, um ihre Waffen zu kennzeichnen, vor allem Lanzen und Pfeile. Diesem Grundzeichen wird das persönliche Muster des einzelnen Kriegers hinzugefügt.

Die Kaiila werden übrigens im Ödland allgemein als ›Halsabschneider-Stamm‹ bezeichnet. Den Farbstreifen wird bei Außenstehenden – aber auch bei Kaiila-Angehörigen – diese Bedeutung gegeben. Ich habe allerdings Kaiila kennengelernt, die eine solche Deutung nicht gelten ließen, sondern meine Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenkten, daß die Kaiila selbst sich selten als ›Halsabschneider‹ sehen und daß das Symbol für einen durchgeschnittenen Hals auf keinen Fall aus mehr als einem Streifen bestehen dürfte. So ist die wahre Herkunft der umschließenden Bänder wohl im Dunkel der Geschichte verloren.

Die Farbe schimmerte hell auf dem Stamm.

Die drei Farbstreifen waren so angebracht, daß sie sich, wenn der Stamm im Lager aufgerichtet wurde, ziemlich am unteren Ende befinden mußten.

»Er ist Kaiila!« riefen die Männer.

Plötzlich schrie das Mädchen auf.

Ich spannte die Muskeln an.

»Misch dich nicht ein!« sagte Cuwignaka.

Die Helfer hatten der Sklavin die Robe vom Leib gerissen, sie streiften ihr die Armreifen ab, entflochten ihr Haar. Nackt kniete sie vor ihren Herren.

»Was geschieht mit ihr?« fragte ich.

»Paß auf!« sagte Cuwignaka.

Cancega stand vor dem Mädchen und deutete auf den Stamm. Rasseln begannen rhythmisch hinter ihr zu klappern. Ermutigend nickte Cancega der Sklavin zu, die nun den Gesten folgte und zögernd zu tanzen begann.

Ich lächelte.

Es schien mir angemessen, daß die Sklavin ihren Körper lasziv vor dem Stamm bewegte.

»Ah«, sagt Cuwignaka.

»Er ist Kaiila!« brüllten die Männer.

Plötzlich schien eine Veränderung mit Winyela vorzugehen. In dem Maß, wie die Rasseln schneller wurden, bewegte sie sich heftiger, erregter.

Ich schaute zu Canka hinüber, der auf dem Rücken seiner Kaiila saß. Er schaute Winyela zu. Seine Augen funkelten. Er wußte, er war ihr Herr.

»Ist sie im Tanzen ausgebildet?« fragte Cuwignaka.

»Meines Wissens nicht«, antwortete ich.

»Jede Frau beherrscht das instinktiv«, sagte Cuwignaka.

Winyela tanzte ihre Unterwerfung vor dem langen Baum und dadurch vor ihren Herren.

Mit dem Tanz führte Winyela natürlich nicht nur ihre persönliche Situation vor, sondern aus Sicht der Kaiila kam im Symbolismus des Tanzes, in der Medizin des Tanzes darüber hinaus zum Ausdruck, daß die Frauen von Feinden nichts anderes sein konnten als Sklavinnen der Kaiila. Zweifellos kannten die Flieher und die Gelb-Messer und die anderen Völker ähnliche Zeremonien, bei denen ein Mann oder eine Frau aus einer anderen Gruppe diese Symbolrolle übernahm. Für mich stimmte der Symbolismus überein mit einem der tiefgreifenden Themen der organischen Natur, dem Thema der Beherrschung und Unterwerfung. Mit dem Tanz, so wie ich ihn sah, brachte Winyela die Herrlichkeit des Lebens und der natürlichen Ordnung zum Ausdruck.

»Er ist Kaiila!« riefen die Männer.

»Kaiila!« brüllte auch Cuwignaka.

Schließlich wurde Winyela zurückgezerrt. Sie atmete schwer von der Anstrengung des Tanzes. Die Männer klatschten sich beifällig auf die Oberschenkel. Die Musik hörte auf. Winyela hob den Kopf, wurde aber plötzlich nicht mehr beachtet. Ihre Kleidung, ihr Schmuck wurde zu einem Bündel zusammengerollt und in der unteren Astgabel des Stammes festgebunden. Zwei lange Gegenstände, an Schnüren befestigt, wurden in der oberen Astgabel festgemacht. Später, wenn der Baum dann auf der Tanzfläche aufgestellt war, würde man die beiden Gegenstände am Pfahl aufhängen. Beide bestanden aus Leder. Der eine war die Darstellung eines Kailiauk. Der andere zeigte den Umriß eines Mannes mit einem übertrieben großen Phallus. Ich mußte an die Medizin des Stammes und an den großen Tanz denken, der darum herum stattfinden sollte. Die Medizin des Stammes und der Tanz hatten offenbar unmittelbar mit der Jagd, mit Fruchtbarkeit und Mannbarkeit zu tun. Für die roten Wilden ist die Medizinwelt etwas sehr Reales.

»Du kannst aufstehen«, sagte Cuwignaka zu Winyela, die sich erstaunt umsah und zu ihrem Herrn Canka eilte, der sie liebevoll vor sich in den Sattel zog.

Unterdessen hatte man Seile an dem Baumstamm festgemacht. Cancega mit seinem Medizinstab trat an die Spitze einer Prozession, in deren Mitte der Stamm, von etlichen Kaiila gezogen, auf den Weg zum Lager gebracht wurde.

4

»Es ist fast soweit! Aufwachen!« rief Cuwignaka und schüttelte mich an der Schulter. »Bald ziehen wir los.«

Ich ließ mich in meiner Robe herumrollen und öffnete die Augen. Ich sah die Zeltstäbe, die über meinem Kopf zusammentrafen, die allesumschließenden Felle. Der Himmel, den ich durch das Rauchloch sehen konnte, war beinahe noch schwarz.

»Beeil dich!« drängte Cuwignaka.

Ich warf die Felle zur Seite und richtete mich auf. Im vagen Licht erblickte ich Cuwignaka, der sein Kleid über den Kopf streifte und aufstand, um es an sich herabzuziehen. Vor einigen Tagen hatte er die Ärmel abgerissen. Wochen zuvor, noch auf dem Schlachtfeld, hatte er es gekürzt und an der linken Seite eingerissen, um sich besser bewegen zu können. Die roten Wilden schlafen im allgemeinen nackt. Auch ich war unbekleidet – bis auf Cankas Kragen. Als Sklave durfte ich ihn nicht abnehmen.

»Wakapapi«, sagte Cuwignaka zu mir, das Kaiila-Wort für Dörrmasse. Ein weiches Etwas wurde mir in die Hand gedrückt. Ich zerkrümelte es. Im Winter können solche Fleischkuchen natürlich steifgefroren sein; man bricht sie in kleinere Stücke, wärmt sie in Hand und Mund auf und ißt sie stückweise. Ich hob die zerbröckelte Dörrmasse an den Mund und aß davon. Die verschiedensten Arten Dörrmasse sind denkbar, je nach Zusätzen von Kräutern, Gewürzen und Gemüse. Ein gebräuchliches Rezept sieht etwa so aus: Kailiaukfleisch wird in kleine Streifen geschnitten, an Stangen in der Sonne getrocknet und dann fast pulverförmig zermahlen. Der Mischung werden dann zerdrückte Früchte beigegeben, im allgemeinen Kirschen. Das Ganze wird mit Kailiaukfett vermengt und dadurch erhärtet, um schließlich in kleine, flache rundliche Kuchen zerschnitten zu werden. Der Fruchtzucker in der Mischung liefert schnelle Energie, während das Fleisch für langfristig wirkende wertvolle Proteine sorgt. Die Masse wird, wie das pure Trockenfleisch, roh oder gekocht gegessen. Es ist durchaus üblich, beides mit auf die Jagd zu nehmen.