»Ich schaue nach den Kaiila«, sagte Cuwignaka, »und schirre das Lastengestell an.«
Ich nickte.
Er wischte sich mit dem Unterarm über den Mund. Er hatte im Halbdunkel dicht neben mir gehockt, nur an seinem weißen Kleid zu erkennen, und ebenfalls vom Dörrfleisch gegessen.
Ich lächelte vor mich hin. Beide Kaiila – das Tier, das ihm von seinem Bruder Canka überlassen worden war, und die schwarze Kaiila, die früher mein Eigentum gewesen war und mir jetzt mit Erlaubnis meines Herren Canka von meinem Freund, dem Händler Grunt, überlassen wurde – waren nur wenige Fuß von der Schwelle der Unterkunft entfernt angebunden. Die beiden Lastengestelle, die wir für diesen Tag vorbereitet hatten, lagen ebenfalls griffbereit. Cuwignaka hatte es eilig.
Ich saß auf den Roben und aß Dörrmasse.
Ich hörte, wie ringsum das Lager zum Leben erwachte. Meine Gedanken wanderten zu Sklavinnen, die ich als freier Mann besessen hatte, Mädchen wie Constance, Arlene, Sandra, Vella und Elicia. Sie alle waren heißblütig und boten in ihren Sklavenkragen einen erregenden Anblick. Unter ihnen war keine, deren Lippen ein Mann nicht gern geküßt hätte. Ich dachte an eine andere Frau, olivenhäutig, grünäugig, schwarzhaarig: Talena, die verstoßene Tochter Marlenus’, des Ubar von Ar. Wie stolz sie gewesen war! Wie heftig sie mich abgelehnt hatte, als sie mich hilflos wähnte! Trotz der räumlichen und zeitlichen Entfernung wallte Zorn in mir auf. Ich fragte mich, wie sie sich als entkleidete, gefesselte Sklavin zu meinen Füßen ausmachen würde.
Auf den Roben sitzend, verzehrte ich die Trockenmasse. Meine Gedanken waren bei Talena. Sie hatte einmal Rask aus Treve gehört. Zweifellos hatte er ihr das Los der Sklaverei beigebracht; doch war ich überzeugt, ich hätte einen besseren Lehrmeister abgegeben. Heute lebte sie frei, doch zurückgezogen und entehrt in der Stadt Ar, im Zentralzylinder, dem womöglich bestverteidigten Turm in jener riesigen Stadt. Ein unmöglicher Gedanke, sie dort herauszuholen! Nein, ich mußte sie mir aus den Kopf schlagen. Ich erinnerte mich an ihre Eitelkeit und Arroganz, an ihren Stolz. Im Zentralzylinder war sie vor den Armfesseln und Schlingen räubernder Tarnreiter sicher. Gewiß kam dort niemand an sie heran. Ich dachte an den Spott, die Verachtung, die sie mir bezeugt hatte.
Eines Tages, so überlegte ich, mochte ich in Ar mein Glück versuchen. Angeblich gibt es dort gutaussehende Frauen. Ich fragte mich, ob sich nicht in meiner eigenen Festung ein Platz für eine solche Frau finden ließe, zum Beispiel in meiner Küche. Natürlich konnte ich sie auch als wertloses Etwas, das mich persönlich nicht im geringsten interessierte, einem der unwürdigsten und geizigsten Tavernenwirte Port Kars überlassen. Dieser Gedanke amüsierte mich.
Ich kaute die letzten Brocken Dörrfleisch.
»Bist du noch nicht fertig?« fragte Cuwignaka, der ins Zelt zurückkehrte. »Bist du noch nicht angezogen?«
»Gleich«, sagte ich.
Ich streckte den Arm aus, nahm meine Tunika und zog sie mir über den Kopf. Dann stand ich auf und zupfte den Stoff zurecht.
Cuwignaka verschwand wieder nach draußen.
Die Dörrmasse hatte mich durstig gemacht.
»Bereitet eure Pfeile vor!« hörte ich einen Ruf außerhalb. »Bereitet eure Pfeile vor! Ebenso die Messer! Wir werden Fleisch erringen! Wir werden Fleisch erringen!« Ein Ausrufer der Sleensoldaten mit Namen Agleskala, Gestreifte Echse, wanderte durch das Dorf.
Ich schob mich zur Seite und tastete nach dem Wasserbeutel. Es war ein Beutel, den ich auf meiner Pack-Kaiila mitgebracht hatte. Daß der Beutel und etliche andere Utensilien und Güter im Zelt lagerten, war Grunt zu verdanken. Verschiedene andere Dinge waren von Canka an Cuwignaka oder andere Mitglieder der Isbu verschenkt worden, im allgemeinen an Kampfgefährten. Das eigentliche Fellzelt war ihm von Akihoka geschenkt worden. Mann-der-geschickt-ist, einem von Cankas besten Freunden. Bei den roten Wilden gehört es zu den guten Sitten, füreinander einzustehen. Unser Haushalt war zwar etwas bescheiden ausgestattet, aber es reichte. Eine Robe kam sogar von Mahpiyasapa, dem Zivilhäuptling der Isbu, der auf diese Weise mit gutem Beispiel vorangegangen war und damit, was aus Cuwignakas Sicht noch wichtiger war, sein Recht auf weitere Stammeszugehörigkeit bekräftigt hatte.
Draußen bewegten sich mehrere Kaiila vorbei. Wahrscheinlich Kundschafter, die mit den Herdenwachen Kontakt aufnehmen wollten.
Ich fragte mich, warum die Kailiauk dieses Jahr so früh kamen.
Langsam blickte ich mich im Fellzelt um, das keinen untypischen Anblick bot. Die Stützstangen waren etwa fünfundzwanzig Fuß lang. Sie bestanden aus Tem-Holz, das gute Trocknungseigenschaften besitzt und daher sehr langlebig ist. Die Rinde wird entfernt, wenn die Stangen zugeschnitten und auf eine zumeist einheitliche Dicke gebracht werden. Ihr Umfang beträgt im allgemeinen zwölf Zoll. Der letzte Meter zum oberen Ende hin wird zugespitzt, um das Zusammenziehen und Festbinden zu erleichtern. Beim Bau der Unterkunft werden drei oder vier Stangen zusammengebunden und aufgerichtet, ein Gebilde, das etwa wie ein Dreifuß aussieht. Die anderen Stangen werden in entsprechendem Abstand dagegengelehnt. Eine lange Lederschnur, vom Boden ausgehend, mehrfach umwunden, verbindet schließlich die primären und sekundären Stangen miteinander. Das Ende dieser Schnur hängt in der Nähe des Eingangs, wo man im Notfall sehr schnell mit dem Abbau beginnen kann. Die Abdeckung des Zelts besteht aus mehreren zusammengenähten Kailiaukfellen. Je nach Größe des Baus und der verfügbaren Felle braucht man etwa neunzehn oder zwanzig Felle. Zwei lange Stangen, leichter als die Stützstangen, werden an dieser Zeltdecke festgemacht. Mit Hilfe dieser leichteren Stangen wird die Decke angebracht; sie hängen schließlich in der Nähe des Eingangs. Sie werden nicht nur dazu benutzt, die Felle an Ort und Stelle zu bringen, zurechtzurücken oder zu entfernen, sondern auch um die Rauchöffnung in der Zeltspitze zu regulieren, was natürlich von Außentemperatur und Windrichtung abhängt. Pflöcke halten die Felle am Boden fest. Im Winter wird noch eine Fell-Innenwand gezogen, im allgemeinen etwa fünf Fuß hoch, im Notfall auch durch eine Art Holzzaun als Schneebremse ergänzt. Im Sommer lassen sich die Zeltwände, wie erwähnt, hochrollen und verwandeln den Bau in eine Art Sonnendach.
Das Äußere der Unterkunft kann der Bewohner nach Belieben bemalen. Dabei werden oft Jagd- und Kampfthemen gewählt. Das Zelt ist also eine sehr persönliche Wohnstatt. Nicht alle Stämme verwenden die gleiche Zahl von Zeltstangen. Die Flieher nehmen zwanzig, die Sleen zweiundzwanzig und die Kaiila vierundzwanzig. Auch ihre Lagerplätze wählen die Stämme nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Die Kaiila sind meistens in der Nähe von Wasser zu finden, doch im Freien, einen oder zwei Pasang vom nächsten Wald entfernt. Sie scheinen die Gefahr eines Überfalls besonders zu fürchten. Die Flieher ziehen es ebenfalls vor, im Freien zu lagern, doch in Waldnähe, wahrscheinlich wegen des Feuerholzes. Die Gelbmesser schlagen ihr Lager oft in dünn bewaldeten Bereichen auf, während Sleen eine dichte Bewaldung oder gar Dickichte vorziehen. Was einem Stamm die gefährliche Möglichkeit eines Überfalls zu eröffnen scheint, ist für den anderen der Inbegriff an Schutz und Sicherheit.
Auch die Mokassins sind bei den Stämmen unterschiedlich gestaltet. Von frischen Spuren kann man oft ablesen, ob hier ein Kaiila- oder Flieher-Mokassin entlanggegangen ist. Bei kriegerischen Einsätzen werden solche Besonderheiten zuweilen ausgenutzt, indem man Mokassins mit feindlichen Mustern trägt. Die beim Zeltbau verwendeten Häute sind natürlich durchscheinend, so daß man sich bei Tageslicht im Innern gut orientieren kann, während man bei Nacht von draußen die Schatten der Bewohner erkennt. Von seinem Feuer erleuchtet, kann das Lederzelt dann einen hübschen Anblick bieten – ein Eindruck, der sich bei einer ganzen Gruppe solcher Unterkünfte natürlich verstärkt.
Übrigens geht es in einem Lager nachts gewöhnlich sehr laut zu. Für einen Gelehrten wäre es nicht die richtige Zuflucht. Daß der rote Wilde schweigsam sei, ist ein Gerücht, das vorwiegend auf Begegnungen in angespannter Situation zurückgeht, bei Konfrontationen mit Fremden, die ihm Unbehagen bereiten, oder bei Tauschgeschäften, bei denen er auf der Hut sein muß. In seinen Dörfern ist der Wilde offen, gut gelaunt und lebhaft. Er liebt es, zu wetten, anderen Streiche zu spielen und Geschichten zu erzählen. Man könnte ihn als den idealen Gast bezeichnen – und den bestmöglichen Gastgeber, gehört es doch zu seinen größten Freuden im Leben, Freunde zu beschenken und zu bewirten.