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»Du bist recht unangenehm aufgefallen«, fuhr Tika mit erstickter Stimme fort. »Vor der ganzen Stadt plus der Hälfte der Elfen, die auf Krynn leben. Ganz zu schweigen von unseren alten Freunden.« Jetzt weinte sie leise vor sich hin. »Unseren besten Freunden...«

Caramon stöhnte wieder auf. Jetzt weinte er auch. »Warum? Warum?« schluchzte er. »Tanis, ausgerechnet er...« Seine Selbstanklagen wurden von einem Klopfen an der Haustür unterbrochen.

»Und jetzt?« murmelte Tika, erhob sich und wischte die Tränen mit dem Ärmel ihrer Bluse weg. »Vielleicht ist es Tanis, trotz allem.« Caramon hob den Kopf. »Versuch zumindest, wie der Mann auszusehen, der du einst warst«, sagte Tika im Flüsterton, während sie zur Tür eilte.

Sie zog den Riegel zurück und öffnete die Tür. »Otik?« sagte sie erstaunt. »Was machst... Was ist das für Essen?«

Der dickliche, ältere Wirt stand in der Tür und hielt einen Teller mit dampfendem Essen in einer Hand. Er sah an Tika vorbei. »Ist sie nicht hier?« fragte er verblüfft.

»Wer ist hier?« erwiderte Tika verwirrt. »Niemand ist hier.«

Otiks Gesicht wurde düster. Geistesabwesend begann er vom Teller zu essen. »Dann hat der Stallbursche vermutlich doch recht. Sie ist verschwunden – obwohl ich doch dieses schöne Frühstück bereitet habe.«

»Wer ist verschwunden?« verlangte Tika aufgebracht zu wissen und fragte sich, ob er Dezra meinte.

»Crysania. Sie ist nicht in ihrem Zimmer. Auch ihr Gepäck ist nicht da. Und der Stallbursche sagte, sie sei am Morgen gekommen, habe ihm befohlen, das Pferd zu satteln, und sei davongeritten. Ich dachte...«

»Crysania!« keuchte Tika. »Sie ist allein weggeritten? Natürlich will sie...«

»Was?« fragte Otik kauend.

»Nichts«, sagte Tika. Sie erblaßte. »Nichts, Otik. Oh, du gehst besser zurück ins Wirtshaus. Ich... Ich komme heute etwas später.«

»Sicher, Tika«, meinte Otik freundlich, nachdem er Caramon über dem Tisch zusammengekrümmt gesehen hatte. »Komm rüber, wenn du kannst.« Dann ging er; er aß im Laufen. Tika schloß die Tür hinter sich.

Als Caramon sah, daß Tika wiederkam, und wußte, daß er nun eine Strafpredigt anzuhören hatte, erhob er sich unbeholfen. »Mir geht es nicht so gut«, sagte er. Er taumelte zurück in das Schlafzimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Tika konnte gequältes Schluchzen hören.

Sie setzte sich an den Tisch und dachte nach. Crysania war verschwunden, sie hatte sich allein auf den Weg zum Wald von Wayreth gemacht. Oder besser gesagt, sie hatte sich auf die Suche begeben. Niemand fand den Wald gemäß der Legende. Er findet dich! Tika erschauerte und erinnerte sich an Caramons Geschichten. Der grauenhafte Wald war auf Karten verzeichnet, aber wenn man sie verglich, stimmten zwei Karten niemals über seinen Standort überein. Und immer stand ein Warnsymbol daneben geschrieben. In seinem Zentrum befand sich der Turm der Erzmagier von Wayreth, in dem die Kräfte aller Magier auf Ansalon konzentriert waren. Nun ja, fast alle...

In einem plötzlichen Entschluß erhob sich Tika und warf die Tür zum Schlafzimmer auf. Als sie eintrat, fand sie Caramon auf dem Bett weinend und schluchzend wie ein Kind vor. Sie verhärtete ihr Herz gegenüber diesem mitleiderregenden Anblick und ging mit festen Schritten hinüber zum Kleiderschrank. Als sie ihn öffnete und die Kleidungsstücke durchwühlte, fand sie die Flasche, warf sie aber einfach in eine Ecke des Zimmers. Dann – ganz unten – holte sie das hervor, wonach sie gesucht hatte.

Caramons Rüstung.

Sie nahm einen Beinharnisch am Lederriemen, erhob sich, drehte sich um und schleuderte das polierte Metallstück direkt auf Caramon. Es traf ihn an der Schulter und schlug dann klappernd auf den Boden.

»Au!« schrie der große Mann und setzte sich auf. »Im Namen der Hölle, Tika! Laß mich in Ruhe...«

»Du gehst ihr nach«, sagte Tika mit fester Stimme, während sie einen weiteren Teil der Rüstung hochhob. »Du gehst ihr nach, und wenn ich dich im Schubkarren hier herausfahren muß!«

»Entschuldigt mich«, sagte ein Kender zu einem Mann, der neben der Straße am Stadtrand von Solace herumschlenderte. Der Mann schloß sofort die Hand um seine Geldbörse. »Ich suche das Haus eines Freundes von mir. Nun, in der Tat sind es zwei Freunde von mir. Es ist eine Frau, hübsch, mit roten Locken. Ihr Name ist Tika Waylan...«

Der Mann funkelte den Kender an, dann deutete er mit dem Daumen. »Dort drüben.«

Tolpan folgte dem Daumen. »Dort?« fragte er beeindruckt. »Das wahrhaft herrliche Haus aus neuem Vallenholz?«

»Was?« Der Mann stieß ein kurzes, scharfes Lachen aus. »Wie nennst du es? Wahrhaft herrlich? Das ist gut!« Immer noch lachend ging er davon und zählte hastig die Münzen in seiner Börse.

Wie ungehobelt! dachte Tolpan und ließ geistesabwesend das Taschenmesser des Mannes in einen seiner Beutel gleiten. Dann vergaß der Kender unverzüglich den Vorfall und steuerte auf Tikas Haus zu. Sein Blick ruhte liebevoll auf jeder Einzelheit des schönen Hauses, das in den Zweigen des immer noch wachsenden Vallenholzbaumes stand.

»Ich freue mich ja so für Tika«, bemerkte Tolpan zu etwas, das wie ein Kleiderbündel auf Füßen aussah und neben ihm lief. »Und natürlich auch für Caramon«, fügte er hinzu. »Aber Tika hat wirklich niemals ein eigenes Zuhause gehabt. Wie stolz sie sein muß!«

Als Tolpan das Haus erreichte, erkannte er, daß es eines der besseren Häuser in der Stadt war. Es war in der jahrhundertealten Tradition von Solace gebaut. Die zierlichen Biegungen des gewölbten Giebels waren so geformt, daß es den Anschein hatte, als wären sie ein Teil des Baumes. Jeder Raum ging vom Hauptbeieich des Hauses ab, das Holz der Wände war so geschnitzt und poliert, daß es dem Baumstamm glich. Das Bauwerk paßte sich der Form des Baumes an, eine friedliche Harmonie bestand zwischen der Arbeit des Menschen und der Natur. Tolpan spürte ein warmes Glühen in seinem Herzen, als er an seine zwei Freunde dachte, die in diesem wunderschönen Haus lebten und arbeiteten. Dann...

»Das ist ja witzig«, sagte Tolpan zu sich. »Ich frage mich, warum es kein Dach gibt.«

Als er näher kam und das Haus aufmerksamer betrachtete, bemerkte er, daß einige Dinge fehlten – unter anderem ein Dach. Die riesigen, gewölbten Giebel hatten in der Tat keine andere Funktion, als den Rahmen für ein Dach zu bilden, das nicht da war. Die Wände der Räume erstreckten sich nur teilweise um das Gebäude. Der Boden war nur eine dürftige Plattform.

Als Tolpan darunter stand, blickte er nach oben und fragte sich, was hier vor sich ging. Er konnte Hämmer und Äxte und Sägen sehen, die Rost ansetzten. So wie sie aussahen, waren sie seit Monaten nicht mehr benutzt worden. Das Bauwerk selbst zeigte die Einwirkung des Wetters. Tolpan zog nachdenklich an seinem Zopf.

Aber ein Teil des Hauses war fertig. Das Glas war sorgfältig in die Fensterrahmen eingesetzt worden, die Wände waren vollständig, ein Dach beschützte das Zimmer vor den Naturgewalten. Zumindest hatte Tika ein eigenes Zimmer, dachte der Kender. Aber als er das Zimmer genauer inspizierte, verblaßte sein Lächeln. Über der Tür, das konnte er deutlich trotz der Verwitterung erkennen, markierte ein sorgfältig ausgeführtes Zeichen den Wohnsitz eines Zauberers.

»Ich hätte es wissen müssen«, sagte Tolpan kopfschüttelnd. Er schaute sich um. »Nun, Tika und Caramon können hier auf keinen Fall leben. Aber der Mann sagte... Oh.«

Als er um den riesigen Vallenholzbaum ging, stieß er auf ein kleines Haus, das unter überwachsenen Unkräutern fast verloren ging, verborgen im Schatten des Vallenholzbaumes. Wenn ein Gebäude überhaupt unglücklich aussehen konnte, so sinnierte Tolpan, dann war es dieses hier. Die Farbe wies Risse auf und löste sich. Dennoch gab es Blumen in den Fensterkästen und gekräuselte Gardinen an den Fenstern. Der Kender seufzte. Das war also Tikas Haus, im Schatten eines Traumes gebaut.

Als er das kleine Haus erreichte, blieb er vor der Tür stehen und lauschte aufmerksam. Im Inneren schien eine schreckliche Unruhe zu herrschen. Er konnte dumpfe Schläge und zerbrechendes Glas und Schreie hören.