Caramon funkelte ihn an, seine Lippen spitzten sich zu einem Schmollmund. »Weißt du was«, murmelte der große Mann, während er zur Straße schwankte, »du fängst an wie Tika zu reden...«
Von da an ging es rapide bergab.
Am Abend erreichten sie eine Kreuzung.
»Laßt uns hier entlanggehen«, sagte Tolpan. »Crysania wird sicherlich wissen, daß Leute versuchen, sie aufzuhalten. Sie wird eine Straße nehmen, die nicht so stark bereist ist. Ich denke, wir sollten die gleiche Straße nehmen, die wir auch vor zwei Jahren genommen haben, als wir Solace verlassen hatten...«
»Unsinn!« schnaufte Caramon. »Sie ist eine Frau und eine Klerikerin zu Fuß. Sie wird die unbeschwerlichere Straße nehmen. Wir nehmen die Straße nach Haven.«
Tolpan war über diese Entscheidung sehr unschlüssig gewesen, und seine Zweifel hatten sich als begründet erwiesen. Sie hatten nur einige Meilen zurückgelegt, als sie auf eine weitere Taverne stießen.
Caramon ging hinein, um zu erfahren, ob jemand eine Person gesehen hatte, die Crysania glich, und ließ Tolpan mit Bupu zurück. Eine Stunde später tauchte der große Mann wieder auf, sein Gesicht war fröhlich.
»Nun, hat jemand sie gesehen?« fragte Tolpan gereizt.
»Wen gesehen? Nein...«
Und jetzt, zwei Tage später, hatten sie erst den halben Weg nach Haven zurückgelegt. Aber der Kender hätte ein Buch über alle Tavernen auf dem Weg schreiben können.
»In den alten Zeiten«, schäumte Tolpan vor Wut, »wären wir in dieser Zeit nach Tarsis und wieder zurück gelaufen!«
»Damals war ich jünger und unreif. Mein Körper ist jetzt gereift, und ich muß meine Stärke aufbauen«, erklärte Caramon hochmütig, »Schritt für Schritt.«
»Er baut etwas Schritt für Schritt auf«, sagte Tolpan grimmig zu sich, »aber Stärke ist es keineswegs!«
Caramon konnte meistens nicht mehr als eine Stunde laufen und war dann gezwungen, eine Pause einzulegen und sich hinzusetzen. Oft brach er völlig zusammen, stöhnte vor Schmerz auf, Schweiß strömte aus seinem Körper. Tolpan, Bupu und die Flasche Zwergenspiritus waren nötig, um ihn wieder auf die Beine zu bringen. Er beklagte sich bitter und unentwegt. Seine Rüstung scheuerte, er war hungrig, die Sonne brannte zu heiß, er hatte Durst. Am späten Abend bestand er darauf, in einem erbärmlichen Wirtshaus einzukehren. Hier hatte Tolpan das erregende Erlebnis zu beobachten, wie der große Mann sich besinnungslos betrank. Tolpan und der Wirt mußten ihn in sein Zimmer schleifen, in dem er bis spät in den anderen Morgen hinein schlief.
Nach dem dritten Tag und ihrer zwanzigsten Taverne und ohne eine Spur von Crysania begann Tolpan ernsthaft darüber nachzudenken, nach Kenderheim zurückzukehren, sich ein nettes, kleines Haus zu kaufen und sich vom Abenteuerleben zurückzuziehen.
Es war um Mittag, als sie den »Gesprungenen Krug« erreichten und Caramon unverzüglich ins Innere verschwand. Tolpan stieß einen Seufzer aus, während er bei Bupu stand und in grimmigem Schweigen den schlampigen Ort betrachtete.
»Ich nicht mögen dies weiter«, verkündete Bupu. Sie funkelte Tolpan vorwurfsvoll an. »Du sagen, wir finden hübschen Mann in roten Roben. Alles, was wir finden, ist fetter Trunkenbold. Ich gehe zurück nach Hause, zurück zu Großbulp.«
»Nein, geh nicht! Noch nicht!« schrie Tolpan verzweifelt auf. »Wir finden den hübschen Mann. Oder zumindest eine hübsche Frau, die helfen will, den hübschen Mann zu finden. Vielleicht – vielleicht erfahren wir hier etwas.«
Offensichtlich glaubte Bupu ihm nicht. Tolpan glaubte es selber nicht. »Sieh mal«, sagte er, »warte hier einfach auf mich. Es wird nicht lange dauern. Ich hole dir etwas zu essen. Versprichst du mir, nicht zu gehen?«
Bupu leckte sich die Lippen und beäugte dabei zweifelnd Tolpan. »Ich warten«, sagte sie und ließ sich auf die schlammige Straße plumpsen. »Zumindest bis nach dem Mittagessen.«
Tolpan folgte Caramon in die Taverne, sein spitzes Kinn entschlossen vorgeschoben. Er und Caramon würden ein kleines Gespräch führen...
Es stellte sich jedoch heraus, daß es nicht notwendig war.
»Auf eure Gesundheit, meine Herren«, sagte Caramon und hob sein Glas der schlampigen Menge entgegen, die im Wirtshaus versammelt war. Es waren nicht viele – zwei reisende Zwerge, die neben der Tür saßen, und eine Gruppe Menschen, die wie Waldhüter gekleidet waren und ihre Krüge in Erwiderung auf Caramons Trinkspruch hoben.
Tolpan setzte sich neben Caramon; er war so niedergeschlagen, daß er tatsächlich eine Geldbörse zurückgab, die seine Hände aus dem Gürtel eines der Zwerge im Vorbeigehen genommen hatten.
»Ich glaube, du hast das fallen lassen«, murmelte Tolpan und gab sie dem Zwerg zurück, der ihn verwundert anstarrte.
»Wir suchen eine junge Frau«, sagte Caramon, der es sich für den Nachmittag gemütlich machte. Er trug ihre Beschreibung vor, wie er sie in jeder Taverne von Solace an vorgetragen hatte. »Schwarzes Haar, klein, zierlich, blasses Gesicht, weiße Roben. Sie ist eine Klerikerin...«
»Ja, die haben wir gesehen«, sagte einer der Waldhüter.
Bier spritzte aus Caramons Mund. »Ihr habt sie gesehen?« keuchte er würgend.
Tolpan wurde munter. »Wo?« fragte er eifrig.
»Sie wanderte in den Wäldern östlich von hier umher«, sagte der Waldhüter und deutete mit dem Daumen.
»Ach?« machte Caramon argwöhnisch. »Und was habt ihr in den Wäldern zu schaffen?«
»Goblins jagen. In Haven gibt es eine Prämie für sie.«
»Drei Goldstücke für Goblinohren«, sagte sein Freund mit einem zahnlosen Grinsen, »wenn du dein Glück versuchen willst.«
»Was ist mit der Frau?« verfolgte Tolpan das Thema weiter.
»Sie ist verrückt, glaube ich.« Der Waldhüter schüttelte den Kopf. »Wir haben ihr gesagt, daß das ganze Land hier von Goblins wimmelt und sie nicht allein herumlaufen soll. Sie sagte nur, sie sei in den Händen von Paladin, und der würde auf sie aufpassen.«
Caramon stieß einen Seufzer aus und hob sein Glas an die Lippen. »Das hört sich ganz nach ihr an...«
Tolpan sprang hoch und schnappte das Glas aus der Hand des großen Mannes. »Komm schon!« sagte er. »Wir müssen gehen! Vielen Dank für eure Hilfe.« Er zerrte Caramon zur Tür. »Was habt ihr gesagt, wo ihr sie gesehen habt?«
»Ungefähr zehn Meilen östlich von hier. Hinter der Taverne findet ihr einen Weg. Er zweigt von der Hauptstraße ab. Folgt ihm, und er wird euch durch den Wald führen. War früher mal die Abkürzung nach Torweg, bevor es zum Reisen zu gefährlich wurde.«
»Danke nochmals!« Tolpan schob Caramon, der immer noch protestierte, aus der Tür.
»Verdammt noch mal, warum die Eile?« knurrte Caramon wütend und riß sich von Tolpans Händen los. »Wir könnten zumindest zu Mittag essen...«
»Caramon!« sagte Tolpan drängend und tanzte auf und ab. »Denk doch mal nach! Erinnere dich! Ist dir nicht klar, wo sie ist? Zehn Meilen östlich von hier! Sieh mal...« Er riß einen seiner Beutel auf und holte ein ganzes Bündel Karten hervor. Eilig durchsuchte er sie und warf sie in seiner Eile auf den Boden. »Sieh mal«, wiederholte er schließlich, rollte eine auf und hielt sie vor Caramons rotangelaufenes Gesicht.
Der große Mann starrte darauf und versuchte etwas zu erkennen. »Nun?«
»Sieh mal, hier ungefähr sind wir. Und hier ist Haven, südlich von uns. Da drüben ist Torweg. Und hier ist der Weg, über den sie gesprochen haben, und hier...« Tolpan zeigte mit dem Finger.
Caramon krümmte sich. »Düsterwald«, murmelte er. »Düsterwald. Hört sich vertraut an...«
»Natürlich hört sich das vertraut an! Wir wären dort beinahe gestorben!« schrie Tolpan und fuchtelte mit den Armen. »Ohne Raistlin wären wir verloren gewesen...« Als er Caramons finsteren Blick bemerkte, fragte er flehend: »Was ist, wenn sie da allein herumläuft?«
Caramon sah in den Wald hinein, seine trüben Augen beäugten den engen, überwachsenen Pfad. Sein finsterer Blick vertiefte sich. »Vermutlich erwartest du von mir, daß ich sie aufhalte«, murmelte er.