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Dann wirbelten weiße Roben auf, und eine klare Stimme rief Paladin. Der Drakonier verschwand, das Geräusch von Klauenfüßen, die durch das Gebüsch scharrten, war zu hören. Die weißen Roben knieten sich neben ihn, er spürte die Berührung einer sanften Hand auf seinem Kopf und hörte wieder den Namen Paladin. Der Schmerz verschwand. Als er aufschaute, sah er die Hand der Klerikerin Caramon berühren, sah die Lider des großen Mannes zittern und sich zu einem friedlichen Schlaf schließen.

Es ist alles in Ordnung! dachte Tolpan in Hochstimmung. Sie sind verschwunden! Wir werden schon wieder auf die Beine kommen! Dann merkte er, daß seine Hand zitterte. Durch die Heilkräfte der Klerikerin wieder zur Besinnung kommend, die durch seinen Körper strömten, hob der Kender den Kopf.

Irgend etwas kam. Etwas hatte die Drakonier zurückgerufen. Etwas bewegte sich zum Feuer. Tolpan versuchte, eine Warnung zu schreien, aber seine Kehle war wie zugeschnürt.

Er sah, wie Crysania sich erhob, ihre weißen Roben fegten über sein schmutziges Gesicht. Langsam begann sie, vor dem Ding zurückzuweichen, das auf sie zuschritt. Tolpan hörte sie zu Paladin rufen, aber die Worte kamen aus Lippen, die vor Entsetzen starr waren.

Tolpan wollte verzweifelt seine Augen schließen. Angst und Neugierde tobten in seinem Körper. Die Neugierde trug den Sieg davon. Er spähte mit seinem guten Auge und beobachtete die entsetzliche Gestalt, die auf die Klerikerin zuging. Die Gestalt war in die Rüstung eines solamnischen Ritters gekleidet. Als sie sich Crysania näherte, streckte sie einen Arm aus, der nicht in eine Hand überging. Sie sprach Worte, die nicht aus einem Mund kamen. Ihre Augen flackerten orangefarben auf, ihre durchsichtigen Beine schritten durch die glühende Asche des Feuers. Die Eiseskälte der Regionen, in denen sie zum ewigen Leben gezwungen war, strömte von ihrem Körper, ließ das Mark in Tolpans Knochen einfrieren.

Voller Angst hob Tolpan den Kopf. Er sah Crysania zurückweichen. Er sah den toten Ritter mit langsamen, festen Schritten auf sie zugehen.

Der Ritter hob seine rechte Hand und zeigte mit einem blassen, schimmernden Finger auf Crysania. »Stirb!«

In diesem Augenblick sah Tolpan Crysania ihre Hand erheben und das Medaillon umgreifen, das sie um den Hals trug. Er sah einen hellen Blitz reinen weißen Lichtes aus ihren Fingern schießen, und dann fiel sie auf den Boden, als ob sie von dem fleischlosen Finger erstochen worden wäre.

»Nein!« hörte Tolpan sich schreien. Er sah, wie sich die orangefarbenen, flackernden Augen auf ihn richteten, und eine eisige Dunkelheit, wie die Dunkelheit eines Grabes, versiegelte seine Augen und seinen Mund...

8

Dalamar näherte sich beklommen der Tür zum Laboratorium des Magiers; sein nervöser Finger fuhr über die Schutzrunen, die auf das Gewebe seiner schwarzen Roben gestickt waren, als er in Gedanken mehrere Abwehrzauber aufsagte. Ein gewisses Maß an Vorsicht würde man bei einem Lehrling nicht als ungehörig erachten, der sich den inneren, geheimen Kammern eines finsteren und mächtigen Meisters näherte. Aber Dalamars Vorsichtsmaßnahmen waren außergewöhnlich. Und mit gutem Grund. Dalamar hatte eigene Geheimnisse zu verbergen, und er fürchtete den Blick dieser goldenen Stundenglasaugen mehr als alles andere auf der Welt.

Und dennoch, stärker als seine Angst pulsierte wie immer eine unterschwellige Aufregung in Dalamars Blut, wenn er vor dieser Tür stand. Er hatte in dieser Kammer wundervolle Dinge gesehen, wundervolle... beängstigende...

Er hob die rechte Hand, machte vor der Tür ein schnelles Zeichen und murmelte dabei einige Worte in der Sprache der Magie. Es kam keine Antwort. Die Tür war nicht verzaubert worden. Dalamar atmete ein wenig leichter, aber vielleicht war es auch ein Seufzer der Enttäuschung. Sein Meister war nicht mit einer starken, machtvollen Magie beschäftigt, sonst hätte Raistlin einen Zauber gesprochen, um die Tür geschlossen zu halten. Als der Dunkelelf nun zur Tür hinunterschaute, sah er keine flackernden, flammenden Lichter unter der schweren Holztür leuchten. Er roch nichts außer den gewöhnlichen Düften von Gewürzen und Verfall. Dalamar legte die fünf Fingerspitzen seiner linken Hand auf die Tür und wartete schweigend.

Der Dunkelelf hatte gerade Zeit, Atem zu holen, als der leise gesprochene Befehl kam: »Tritt ein, Dalamar.«

Dalamar nahm seinen Mut zusammen und trat in die Kammer. Raistlin saß an einem riesigen und uralten Steintisch, der so groß war, daß ein Angehöriger der riesigen, breitschultrigen Rasse der Minotaurier sich auf ihn hinlegen und in ganzer Größe ausstrecken konnte, und es wäre immer noch Platz frei. Der Steintisch sowie das ganze Laboratorium gehörten zu den ursprünglichen Einrichtungsgegenständen, die Raistlin entdeckte, als er den Turm der Erzmagier in Palanthas für sich beanspruchte.

Die große, schattige Kammer schien größer zu sein, als sie möglicherweise war, dennoch war sich der Dunkelelf nie schlüssig, ob die Kammer größer schien oder ob er selbst kleiner wurde, wenn er sie betrat. Wie im Arbeitszimmer des Magiers reihten sich hier an den Wänden Bücher. Flaschen und Gefäße aus Glas standen auf Tischen an den Seiten der Kammer, ihre Inhalte brodelten in strahlenden Farben und kochten mit verborgener Kraft.

Hier in diesem Laboratorium wurde vor langer Zeit große und mächtige Magie betrieben. Hier hatten sich die Zauberer aller drei Roben – die Weißen Roben des Guten, die Roten Roben der Neutralität und die Schwarzen Roben des Bösen – zum Bund zusammengeschlossen, um die Kugeln der Drachen zu schaffen, von denen sich nun eine in Raistlins Besitz befand.

Hier kamen die drei Roben zusammen in einer letzten verzweifelten Schlacht, um ihre Türme, die Bollwerke ihrer Kräfte, vor Istars Königspriestern und dem Mob zu retten. Hier versagten sie, überzeugt, es sei besser, mit der Niederlage zu leben als zu kämpfen, da sie wußten, daß ihre Magie die Welt zerstören konnte.

Die Magier waren gezwungen gewesen, diesen Turm aufzugeben, und trugen ihre Zauberbücher und andere Utensilien zum Türm der Erzmagier, der tief im Zauberwald von Wayreth verborgen lag. Genau zu der Zeit, als sie diesen Turm verließen, wurde der Zauber auf ihn geworfen. Der Eichenwald von Shoikan wuchs heran, bis – wie es vorausgesagt war – »der Herr über Vergangenheit und Gegenwart mit Macht zurückkehren würde«.

Und der Herr war zurückgekehrt. Jetzt saß er in dem uralten Laboratorium, zusammengekauert hinter dem Steintisch, der vor langer Zeit vom Meeresgrund heraufgeholt worden war. Mit eingeschnitzten Runen versehen, die jeden möglichen Zauber abwehrten, war er von allen Äußerlichkeiten befreit worden, die die Arbeit des Magiers beeinträchtigen konnten. Die Oberfläche des Tisches war fast spiegelgleich glattpoliert. Dalamar konnte die nachtblauen Einbände der Zauberbücher sehen, die sich auf ihm im Kerzenlicht spiegelten.

Auf dem Tisch lagen auch noch andere Gegenstände – entsetzliche und kuriose, furchtbare und liebliche: die Zauberzutaten des Magiers. Daran arbeitete Raistlin gerade, überflog ein Zauberbuch, murmelte leise Worte vor sich hin, während er etwas zwischen seinen zarten Fingern zerbröselte und in eine Phiole, die er in einer Hand hielt, rieseln ließ.

»Meister«, sagte Dalamar.

Raistlin sah auf.

Dalamar spürte den Blick der goldenen Augen, die sein Herz mit undefinierbarem Schmerz durchbohrten. Ein Angstschauer überkam den Dunkelelf, die Worte »Er weiß es!« brodelten in seinem Gehirn. Aber diese Gefühle waren äußerlich nicht sichtbar. Die Gesichtszüge des Dunkelelfs blieben starr, unverändert, kühl. Seine Augen erwiderten Raistlins Blick standhaft. Seine Hände blieben in seinen Roben gefaltet, wie es angemessen war.

So gefährlich war diese Aufgabe, daß, als sie es als notwendig erachteten, einen Spion in den Haushalt des Magiers zu schmuggeln, sie nach Freiwilligen fragten. Dalamar war unverzüglich vorgetreten.

Die Magie war Dalamars einziges Zuhause. Aus Silvanesti stammend, bekannte er sich jetzt nicht mehr zu dieser noblen Elfenrasse. In einer niedrigen Kaste geboren, wurde er nur die elementarsten Dinge der magischen Künste gelehrt, denn das höhere Wissen war den Elfen aus königlichem Blut vorbehalten. Aber Dalamar hatte die Macht geschmeckt, und sie wurde seine Besessenheit. Heimlich arbeitete er, studierte den verbotenen Lehrstoff, der nur für die hochrangigen Elfenmagier vorgesehen war. Die dunklen Künste imponierten ihm am meisten, und als er dann ertappt wurde, wie er die schwarzen Roben trug, wurde er aus seinem Land verstoßen, und er wurde als ein Dunkelelf bekannt, einer, der außerhalb des Lichtes steht. Das sagte Dalamar sehr zu, denn von früh an hatte er erfahren, daß in der Dunkelheit Macht zu finden ist.