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In der adligen und reichen Familie Tarinius aus Palanthas geboren, einer Familie, die fast so alt wie die Stadt selbst war, hatte Crysania jeden Komfort erhalten, den Geld und Rang verschaffen konnten. Intelligent und mit einem starken Willen begabt, wäre sie leicht zu einer dickköpfigen und eigensinnigen Frau herangewachsen. Ihre weisen und liebevollen Eltern jedoch hatten den Willen ihrer Tochter sorgfältig zurechtgestutzt, so daß er zu einem tiefen und beständigen Selbstbewußtsein gereift war. Crysania hatte in ihrem ganzen Leben nur einmal ihre in sie vernarrten Eltern enttäuscht, aber diese Enttäuschung war für sie sehr hart gewesen. Sie hatte sich von einer idealen Heirat mit einem adligen jungen Mann abgewendet, um ihr Leben in den Dienst lang vergessener Götter zu stellen.

Sie hatte von dem Kleriker Elistan gehört, der am Ende des Krieges der Lanze nach Palanthas kam. Seine neue Religion – oder vielleicht sollte man sie lieber als alte Religion bezeichnen – verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf Krynn. Als sie zum ersten Mal zu einer Rede von Elistan ging, war Crysania skeptisch gewesen. Die junge Frau – sie war Mitte zwanzig – war mit Geschichten aufgewachsen, in denen die Götter die Umwälzung auf Krynn herbeigeführt hatten, indem sie das feurige Gebirge hinuntergeschleudert hatten, das das Land auseinanderriß und die heilige Stadt Istar im Blutmeer versinken ließ. Danach, so erzählte man sich, hätten sich die Götter von den Menschen abgewandt und sich geweigert, mit ihnen etwas zu tun zu haben.

Crysania hatte sich vorgenommen, Elistan höflich zuzuhören, aber sich Argumente zurechtgelegt, um seinen Behauptungen entgegenzutreten.

Jedoch war sie von ihm positiv beeindruckt gewesen. Elistan stand in jener Zeit im Zenit seiner Kraft. Gutaussehend und kräftig, selbst im mittleren Alter, wirkte er wie einer der alten Kleriker, die – wie es in einigen Legenden hieß – mit dem mächtigen Ritter Huma in die Schlacht geritten waren. Crysania fand an jenem Abend Anlaß, ihn zu bewundern. Es endete schließlich damit, daß sie vor seinen Füßen kniete und vor Demut und Freude weinte: Ihre Seele hatte schließlich den Anker gefunden, den sie gesucht hatte.

Die Götter hatten sich nicht von den Menschen abgewendet, hieß die Botschaft. Es waren die Menschen gewesen, die sich von den Göttern abgewendet hatten, da sie in ihrem Hochmut das gefordert hatten, was Huma in Demut gesucht hatte. Am folgenden Tag gab Crysania ihr Heim, ihren Reichtum, ihre Diener, ihre Eltern und ihren Verlobten auf und zog in ein kleines Haus, das der Vorläufer zu dem neuen Tempel war, den Elistan in Palanthas zu bauen plante.

Jetzt, zwei Jahre später, war Crysania eine Verehrte Tochter von Paladin, eine der wenigen Auserwählten, die für würdig erachtet wurden, die Kirche durch ihre schmerzhafte Kindheit zu führen. Es war gut, daß die Kirche dieses starke, junge Blut hatte. Elistan hatte sein Leben und seine Energie uneingeschränkt gegeben. Nun schien es, daß der Gott, dem er so treu gedient hatte, seinen Kleriker bald an seine Seite rufen würde. Und wenn dieses traurige Ereignis eintreten sollte, so glaubten viele, würde Crysania seine Arbeit fortsetzen.

Sicherlich wußte Crysania, daß sie auf die Führerschaft über die Kirche vorbereitet war, aber reichte das aus? Wie sie Astinus erzählt hatte, spürte die junge Klerikerin seit langem, daß ihre Bestimmung in einem großen Dienst für die Welt lag. Die Kirche durch ihre tägliche Routine zu führen, da nun der Krieg zu Ende war, schien langweilig und banal. Täglich hatte sie zu Paladin gebetet, ihr eine schwierige Aufgabe zu erteilen. Sie würde alles opfern, schwor sie, sogar ihr Leben im Dienste ihres geliebten Gottes.

Dann war ihr die Antwort gekommen.

Jetzt wartete sie mit einem Eifer, den sie kaum unterdrücken konnte. Sie hatte keine Angst, nicht einmal davor, diesen Mann zu treffen, der angeblich die mächtigste Kraft des Bösen auf ganz Krynn darstellte. Wenn ihre Erziehung es gestattet hätte, würde sie ihre Lippen zu einem verächtlichen und höhnischen Grinsen schürzen. Welches Böse konnte dem mächtigen Schwert ihres Glaubens standhalten? Welches Böse konnte ihre glänzende Rüstung durchdringen?

Wie ein Ritter, der zu einem Turnier reitet, geschmückt mit den Blumengirlanden seiner Geliebten, in dem Wissen, daß er mit diesem im Winde wehenden Pfand nicht verlieren kann, hielt Crysania ihre Augen starr auf die Tür gerichtet, eifrig auf die ersten Hiebe des Turniers wartend. Als sich die Tür öffnete, verkrampfte sie ihre bis dahin ruhig gefalteten Hände vor Aufregung.

Bertrem trat ein. Seine Augen gingen zu Astinus, der unbeweglich wie eine Steinsäule auf einem harten, unbequemen Stuhl am Feuer saß.

»Der Magier, Raistlin Majere«, sagte Bertrem. Seine Stimme schnappte bei der letzten Silbe über. Vielleicht fiel ihm die letzte Gelegenheit ein, als er diesen Gast angekündigt hatte – als Raistlin auf den Stufen der Großen Bibliothek im Sterben gelegen und Blut erbrochen hatte. Astinus runzelte die Stirn über Bertrems mangelnde Selbstbeherrschung, und der Ästhet verließ, so schnell es seine flatternden Roben erlaubten, das Zimmer.

Crysania hielt unbewußt den Atem an. Zuerst sah sie nichts, nur einen dunklen Schatten im Türeingang, als ob die Nacht selbst Gestalt angenommen hätte. Die Dunkelheit rührte sich nicht.

»Tritt ein, mein alter Freund«, sagte Astinus mit seiner tiefen, leidenschaftslosen Stimme.

Der Schatten wurde von einem Schimmer erleuchtet, der Schein des Feuers fiel auf samtweiche schwarze Roben, und dann strahlten winzige Lichtfunken auf silbernen Fäden, eingestickten Runen in einer Samtkapuze. Einen kurzen Augenblick war von der Gestalt nur eine dünne, fast skelettartige Hand sichtbar, die einen Holzstab umklammert hielt. An der Spitze des Stabes saß eine Kristallkugel, die sich im festen Griff einer eingeschnitzten goldenen Drachenklaue befand.

Als die Gestalt das Zimmer betrat, spürte Crysania einen eisigen Schauer der Enttäuschung. Sie hatte Paladin um eine schwierige Aufgabe gebeten! Welches Böse war hier zu bekämpfen? Jetzt, wo sie ihn deutlich erkennen konnte, sah sie einen zerbrechlichen, mageren Mann, die Schultern leicht gebeugt, der sich beim Gehen auf seinen Stab stützte, als ob er sich ohne seine Hilfe nicht bewegen könnte. Sie kannte sein Alter, er war jetzt ungefähr achtundzwanzig Jahre alt. Doch bewegte er sich wie ein Neunzigjähriger – seine Schritte waren langsam und bedächtig, ja sogar schwankend.

Was ist das für eine Glaubensprüfung, diese erbärmliche Kreatur zu besiegen? fragte Crysania im stillen erbittert Paladin. Ich brauche ihn nicht zu bekämpfen. Er wird von seiner eigenen Bösartigkeit verzehrt!

Raistlin stand Astinus mit dem Rücken zu Crysania gegenüber und schob seine schwarze Kapuze zurück. »Ich grüße dich, Unsterblicher«, sagte er mit sanfter Stimme zu Astinus.

»Ich grüße dich, Raistlin Majere«, antwortete Astinus, ohne sich zu erheben. In seiner Stimme lag ein spöttischer Ton, als tausche er mit dem Magier einen geheimen Witz aus. Astinus machte eine Handbewegung. »Darf ich Crysania aus dem Haus Tarinius vorstellen?«

Raistlin drehte sich um.

Crysania keuchte, ein schrecklicher Schmerz in der Brust schnürte ihre Kehle zu, und einen Augenblick konnte sie nicht atmen. Scharfe, beißende Nadeln stachen in ihre Fingerspitzen, Eiseskälte zuckte durch ihren Körper. Ohne sich dessen bewußt zu sein, wich sie auf ihren Stuhl zurück, ihre Hände ballten sich zusammen, ihre Nägel gruben sich in ihr taubes Fleisch.

Alles, was sie sah, waren zwei goldene Augen, die aus den Tiefen der Dunkelheit leuchteten. Die Augen waren wie goldene Spiegel, von der in ihnen wohnenden Seele nichts enthüllend. Die Pupillen – Crysania starrte mit entrücktem Entsetzen auf die dunklen Pupillen. Die Pupillen in den goldenen Augen hatten die Form von Stundengläsern! Und das Gesicht... Von Leiden verzerrt, vom Schmerz der gequälten Existenz gekennzeichnet, die der junge Mann sieben Jahre lang geführt hatte, seitdem die grausigen Prüfungen im Turm der Erzmagier seinen Körper zerschmettert und seine Haut golden gefärbt zurückgelassen hatten, war das Gesicht des Magiers eine metallene Maske, undurchdringlich, gefühllos wie die Klaue des goldenen Drachen an seinem Stab.