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Dalamar wurde schwindlig. Was würden sie dazu sagen? Bei all ihren Spekulationen hatten sie diese gewiß nicht vorausgesehen!

»Ruhig Blut, Lehrling.« Raistlins sanfte Stimme schien Dalamar von weit her zu erreichen. »Das hat dich aus der Fassung gebracht. Etwas Wein?«

Der Magier ging zum Tisch. Er hob eine Karaffe, goß eine blutrote Flüssigkeit in ein kleines Glas und überreichte es dem Dunkelelfen. Dalamar nahm das Glas dankbar entgegen, verblüfft sah er, daß seine Hand zitterte. Raistlin goß auch für sich ein Glas voll.

»Ich trinke diesen starken Wein nicht häufig, aber heute abend sollten wir feiern. Einen Toast auf – wie hast du es ausgedrückt? – einen mit wahren heiligen Kräften! Dann auf Crysania!«

Raistlin trank seinen Wein in kleinen Schlucken.

Dalamar stürzte ihn hinunter. Das starke Getränk biß in seine Kehle. Er hustete. »Meister, wenn der Lebendige richtig berichtet hat, dann hat Fürst Soth einen Todeszauber auf Crysania geworfen, und dennoch lebt sie. Hast du sie ins Leben zurückgerufen?«

Raistlin schüttelte den Kopf. »Nein, ich verlieh ihr einfach sichtbare Anzeichen von Leben, damit mein teurer Bruder sie nicht begräbt. Ich bin mir nicht ganz sicher, was geschehen ist, aber es ist nicht schwierig, Vermutungen anzustellen. Den toten Ritter vor sich sehend und ihr Schicksal erkennend, bekämpfte die Verehrte Tochter seinen Zauber mit der einzigen ihr verbliebenen Waffe, und sie war eine mächtige – das heilige Medaillon von Paladin. Der Gott beschützte sie, beförderte ihre Seele zu den Reichen, wo die Götter leben, ließ ihren Körper wie eine Schale auf dem Boden zurück. Es gibt niemanden, der ihre Seele und ihren Körper wieder zusammenbringen kann. Nur ein hoher Kleriker Paladins hat diese Kraft.«

»Elistan?«

»Pah, der Mann ist krank, sterbend...«

»Dann hast du sie verloren!«

»Nein«, erwiderte Raistlin sanft. »Du verstehst nicht, Lehrling. Durch Unaufmerksamkeit habe ich die Kontrolle verloren. Aber ich habe sie schnell wiedererlangt. Nicht nur das, ich werde es zu meinem Vorteil nutzen. Gerade jetzt nähern sie sich dem Turm der Erzmagier. Crysania war auf dem Weg dorthin, um die Hilfe der Magier zu suchen. Wenn sie ankommt, wird sie diese Hilfe finden, und auch mein Bruder.«

»Du willst, daß sie ihr helfen?« fragte Dalamar verwirrt. »Sie plant, dich zu vernichten!«

Raistlin nippte gelassen an seinem Wein, während er den jungen Lehrling aufmerksam musterte. »Denk darüber nach, Dalamar«, sagte er sanft, »denk darüber nach, und du wirst es allmählich verstehen. Aber«, er stellte sein leeres Glas ab, »ich habe dich zu lange aufgehalten.«

Dalamar blickte aus dem Fenster. Der rote Mond Lunitari begann hinter den schwarzen, zerklüfteten Rändern der Berge zu verschwinden. Die Nacht erreichte fast ihren Höhepunkt.

»Du mußt deine Reise unternehmen und zurück sein, bevor ich am Morgen aufbreche«, fuhr Raistlin fort. »Du wirst hier während meiner Abwesenheit die Leitung übernehmen.«

Dalamar nickte, dann runzelte er die Stirn. »Ihr habt von meiner Reise gesprochen, Meister? Ich gehe nirgendwohin...« Er stockte, würgte, als er sich daran erinnerte, daß er in der Tat zur Berichterstattung irgendwohin mußte.

Raistlin musterte schweigend den jungen Elf; der Blick entsetzter Erkenntnis, der in Dalamars Gesicht dämmerte, spiegelte sich in den Augen des Magiers wider. Dann ging Raistlin langsam auf den jungen Lehrling zu, seine schwarzen Roben raschelten über seine Knöchel. Vor Entsetzen gelähmt, konnte Dalamar sich nicht bewegen. Er konnte an nichts denken, nichts sehen außer zwei flachen, gefühllosen goldenen Augen.

Langsam hob Raistlin seine Hand und legte sie sanft auf Dalamars Brust, berührte die schwarzen Roben des jungen Mannes mit den fünf Fingerspitzen.

Der Schmerz war unerträglich. Dalamars Gesicht lief weiß an, seine Augen weiteten sich, er keuchte vor Qualen auf. Aber er konnte sich dieser entsetzlichen Berührung nicht entziehen. Von Raistlins Blick festgehalten, konnte er nicht einmal schreien.

»Teile ihnen genau mit, was ich dir gesagt habe«, flüsterte Raistlin, »und was du vielleicht vermutet hast. Und grüße den großen Par-Salian von mir... Lehrling!« Er zog seine Hand zurück.

Dalamar brach auf dem Boden zusammen. Raistlin ging um ihn herum, ohne ihm einen Blick zuzuwerfen. Der Dunkelelf konnte hören, wie er das Zimmer verließ; die Tür öffnete und schloß sich.

Rasend vor Schmerz riß Dalamar seine Roben auf. Fünf rote, glänzende Blutspuren flossen aus seiner Brust, durchtränkten das schwarze Tuch, aus fünf Löchern herrührend, die in sein Fleisch eingebrannt waren.

10

»Caramon! Steh auf! Wach auf!«

Nein. Ich bin in meinem Grab. Hier unter der Erde ist es warm, warm und sicher. Du kannst mich nicht wecken, du kannst mich nicht erreichen. Ich bin in der feuchten Erde verborgen, du kannst mich nicht finden.

»Caramon, du mußt das unbedingt sehen! Wach auf!«

Eine Hand schob die Dunkelheit beiseite, zog an ihm.

Nein, Tika, verschwinde! Du hast mich einmal ins Leben zurückgeholt, zurück zu Schmerz und Leid. Du hättest mich in dem süßen Reich der Dunkelheit unter dem Blutmeer von Istar zurücklassen sollen. Aber jetzt habe ich endlich Frieden gefunden. Ich habe mein Grab geschaufelt und mich selbst eingegraben.

»He, Caramon, du wirst jetzt besser wach und siehst dir das an!«

Diese Worte! Sie waren vertraut. Natürlich, ich sagte sie! Ich sagte sie zu Raistlin vor langer Zeit, als er und ich zum ersten Mal in diesen Wald kamen. Wie kann ich sie dann jetzt hören? Ich bin Raistlin... Ach ja, das ist...

Da war eine Hand an seinem Augenlid! Zwei Finger schoben es zurück. Bei der Berührung lief Angst prickelnd durch Caramons Blut, ließ sein Herz mit einem Ruck schlagen.

Caramon brüllte auf, versuchte, in die Erde zu kriechen, als das gezwungenermaßen geöffnete Auge ein riesiges Gesicht über sich schweben sah – das Gesicht eines Gossenzwergs!

»Er wach«, meldete Bupu. »Hier«, sagte sie zu Tolpan, »halte das Auge fest. Ich öffnen anderes.«

»Nein!« schrie Tolpan hastig. Er zog Bupu von Caramon fort und schob sie hinter sich. »Hol etwas Wasser.«

»Gute Idee«, bemerkte Bupu und zog von dannen.

»Es – es ist alles in Ordnung, Caramon«, sagte Tolpan, kniete sich neben den großen Mann und tätschelte ihn beruhigend. »Es war nur Bupu. Es tut mir leid, aber ich sah zur... nun ja, du wirst verstehen... und ich vergaß, auf sie aufzupassen.«

Caramon bedeckte stöhnend sein Gesicht mit der Hand. Mit Tolpans Hilfe mühte er sich, sich aufzusetzen. »Ich habe geträumt, daß ich tot bin«, sagte er mit schwerer Stimme. »Dann sah ich das Gesicht – ich wußte, alles ist vorbei. Ich war in der Hölle.«

»Du könntest dir wünschen, dort zu sein«, sagte Tolpan melancholisch.

Caramon sah bei dem für den Kender ungewöhnlich ernsten Ton auf. »Warum? Wie meinst du das?« fragte er barsch.

Anstatt zu antworten, fragte Tolpan: »Wie geht es dir?«

Caramon knurrte. »Ich bin nüchtern, wenn du das wissen willst«, murmelte er. »Und ich wünschte bei den Göttern, ich wäre es nicht. So sieht es aus.«

Tolpan musterte ihn nachdenklich, dann griff er langsam in einen Beutel und holte eine kleine Flasche hervor. »Hier, Caramon«, sagte er gelassen, »wenn du wirklich glaubst, daß du es nötig hast.«

Die Augen des großen Mannes funkelten. Gierig streckte er eine zitternde Hand aus und ergriff die Flasche. Er öffnete den Korken, schnüffelte an der Öffnung, lächelte und hob sie an die Lippen. »Hör auf, mich so anzustarren!« befahl er Tolpan mürrisch.

»Es tut mir leid.« Tolpan lief rot an. Er erhob sich. »Ich werde nach Crysania sehen...«

»Crysania...« Caramon senkte die Flasche, ohne getrunken zu haben. Er rieb seine verklebten Augen. »Ach ja, ich habe sie vergessen. Gute Idee, daß du nach ihr siehst. Verschwinde von hier, du und deine vom Ungeziefer heimgesuchte Gossenzwergin! Verschwindet und laßt mich in Ruhe!« Er hob wieder die Flasche an die Lippen und nahm einen großen Schluck. Er hustete, senkte die Flasche und wischte den Mund mit dem Handrücken ab. »Geht schon«, wiederholte er und starrte Tolpan benommen an, »verschwindet von hier! Alle! Laßt mich in Ruhe!«