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»Es tut mir leid, Caramon«, antwortete Tolpan gelassen. »Ich wünschte wirklich, wir könnten. Aber es geht nicht.«

»Warum?« fauchte Caramon.

Tolpan holte tief Luft. »Wenn ich mich an Raistlins Geschichten richtig erinnere, dann hat uns, vermute ich, der Wald von Wayreth gefunden.«

Caramon starrte Tolpan mit aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen an. »Das ist unmöglich«, sagte er dann; seine Worte waren nicht lauter als ein Flüstern. »Wir sind Meilen von ihm entfernt! Ich – Raistlin und ich, wir brauchten Monate, um den Wald zu finden! Und der Turm ist weit südlich von hier! Er liegt weit hinter Qualinesti, nach deiner Karte.« Caramon musterte Tolpan haßerfüllt. »Das ist doch nicht die gleiche Karte, die Tarsis am Meer zeigt, oder?«

»Es könnte sein«, wich Tolpan vorsichtig aus, rollte hastig die Karte auf und versteckte sie hinter seinem Rücken. »Ich habe so viele...« Er wechselte schnell das Thema. »Aber Raistlin hat gesagt, es sei ein Zauberwald, darum folgere ich, daß er uns hätte finden können, wenn er uns wohlgesinnt ist.«

»Es ist ein Zauberwald«, murmelte Caramon; seine Stimme war tief und bebte. »Es ist ein entsetzlicher Ort.« Er schloß die Augen und schüttelte den Kopf, dann plötzlich sah er auf, sein Gesicht hatte einen schlauen Ausdruck angenommen. »Das ist ein Trick, nicht wahr? Ein Trick, um mich vom Trinken abzuhalten! Nun, das funktioniert nicht...«

»Es ist kein Trick, Caramon.« Tolpan seufzte. »Sieh dort drüben. Es ist genauso, wie Raistlin es mir einmal beschrieben hat.«

Caramon wandte den Kopf und erschrak, sowohl über den Anblick als auch über die bitteren Erinnerungen an seinen Bruder, die damit verbunden waren.

Die Stelle, wo sie übernachtet hatten, war eine kleine, mit Gras bedeckte Lichtung, die etwas entfernt vom Hauptweg lag. Sie war von Ahornbäumen, Pinien, Walnußbäumen und sogar einigen Espen umgeben. Die Bäume waren gerade am Knospen. Caramon hatte sie gesehen, als er Crysanias Grab geschaufelt hatte. Die Zweige glänzten im Sonnenlicht des frühen Morgens in einem gelbgrünen Frühlingsschimmer. Wildblumen erblühten an ihren Wurzeln, die frühen Blumen des Frühlings – Krokusse und Veilchen.

Als Caramon sich jetzt umschaute, sah er, daß sie immer noch von den gleichen Bäumen umgeben waren – an drei Seiten. Aber an der vierten Seite, nach Süden hin, hatten sich die Bäume verändert.

Diese überwiegend toten Bäume standen nebeneinander, gleichmäßig aufgereiht, Reihe um Reihe. Hier und dort, wenn man tiefer in den Wald sah, konnte man einen lebenden Baum erkennen, der wie ein Offizier die stummen Reihen seiner Soldaten beobachtete. Keine Sonne schien in diesem Wald. Ein dicker, verderblicher Nebel schwebte über den Bäumen, verdunkelte das Licht. Die Bäume selbst waren entsetzlich anzusehen, verzerrt und verunstaltet; ihre Äste waren wie riesige Klauen, die am Boden schleiften. Ihre Zweige bewegten sich nicht, kein Wind regte ihre toten Blätter. Caramon und Tolpan beobachteten, wie Schatten zwischen den Baumstämmen huschten und im dornigen Gebüsch herumschlichen.

»Jetzt sieh dir das an«, sagte Tolpan. Caramons warnenden Ruf ignorierend, lief der Kender direkt auf den Wald zu. Dabei teilten sich die Bäume! Ein Weg öffnete sich, der direkt in das dunkle Herz des Waldes führte. »Das darf doch nicht wahr sein!« schrie Tolpan verwundert auf und hielt an, bevor er einen Fuß auf den Pfad setzte. »Und wenn ich zurückgehe...«

Er entfernte sich von den Bäumen, und die Baumstämme glitten wieder zurück, schlossen die Reihe und stellten eine feste Schranke dar.

»Du hast recht«, sagte Caramon heiser. »Das ist der Wald von Wayreth. So erschien er uns auch eines Morgens.« Er senkte den Kopf. »Ich wollte nicht hineingehen. Ich versuchte Raistlin aufzuhalten. Aber er hatte keine Angst! Die Bäume teilten sich für ihn, und er trat ein. ›Bleib bei mir, mein Bruder‹, sagte er zu mir, ›ich werde dich vor Gefahren beschützen.‹ Wie oft hatte ich diese Worte zu ihm gesagt! Er hatte keine Angst! Ich hatte keine Angst!«

Plötzlich stand Caramon auf. »Laßt uns von hier verschwinden!« Mit zitternden Händen ergriff er seine Bettrolle und schüttete dabei den ganzen Inhalt der Flasche über die Decke.

»Nicht gut«, sagte Tolpan kurz und treffend. »Ich habe es versucht. Paß auf!«

Er wandte den Bäumen den Rücken zu und ging in nördlicher Richtung. Die Bäume rührten sich nicht. Aber unerklärlicherweise ging Tolpan wieder auf den Wald zu. Er konnte alles Mögliche versuchen, sich drehen, wie er wollte; es endete damit, daß er auf die nebelumhüllten, alptraumhaften Reihen der Bäume zuging.

Seufzend ging Tolpan zu Caramon hinüber. Der Kender sah eindringlich zu den tränenverschmierten, rotumränderten Augen des großen Mannes auf, streckte seine kleine Hand aus und ließ sie auf dem einst starken Arm des Kriegers ruhen. »Caramon, du bist der einzige, der hier schon durchgegangen ist! Du kennst als einziger den Weg. Und da ist noch etwas.« Er deutete in eine bestimmte Richtung. Caramon wandte den Kopf. »Du hast nach Crysania gefragt. Sie ist dort. Sie lebt, aber gleichzeitig ist sie auch tot. Ihre Haut ist wie Eis. Ihre Augen sind zu einem schrecklichen Blick erstarrt. Sie atmet, ihr Herz schlägt, aber man könnte genauso gut dieses Würzzeug durch ihren Körper pumpen, das die Elfen zum Konservieren ihrer Toten verwenden!« Er holte zitternd Luft. »Wir müssen Hilfe für sie holen, Caramon. Vielleicht«, Tolpan zeigte in den Wald, »können die Magier ihr helfen! Ich kann sie nicht tragen.« Er hob hilflos die Hände. »Ich brauche dich, Caramon. Sie braucht dich! Ich denke, du schuldest ihr deine Hilfe.«

»Weil es meine Schuld ist, daß sie verletzt ist?« murmelte Caramon heftig.

»Nein, so meinte ich das nicht«, beschwichtigte Tolpan, ließ den Kopf hängen und fuhr sich über die Augen. »Ich glaube, niemand hat Schuld.«

»Nein, es ist meine Schuld«, sagte Caramon.

Tolpan sah zu ihm auf; er hörte in Caramons Stimme einen Ton, den er seit langer, langer Zeit nicht mehr gehört hatte.

Der große Mann stand da und starrte auf die Flasche in seinen Händen. »Es ist an der Zeit, mich dem zu stellen. Ich habe anderen die Schuld gegeben – Raistlin, Tika... Aber die ganze Zeit wußte ich, daß ich es bin. Es ist mir in diesem Traum klar geworden. Ich lag in einem Grab, und ich erkannte, das ist der Grund! Ich kann nicht tiefer gehen. Entweder bleibe ich hier und lasse Erde auf mich werfen – so wie ich Crysania begraben wollte —, oder ich klettere heraus.« Er seufzte, ein langes, zitterndes Seufzen. Dann, in plötzlicher Entschlossenheit, steckte er den Korken in die Flasche und reichte sie Tolpan. »Hier«, sagte er leise. »Es wird ein langes Klettern werden, und ich werde Hilfe brauchen, vermute ich. Aber nicht diese Art von Hilfe.«

»O Caramon!« Tolpan warf, so weit er konnte, seine Arme um den großen Mann und drückte ihn an sich. »Ich hatte keine Angst vor diesem gespenstischen Wald, nicht richtig. Aber ich habe mich gefragt, wie ich da allein durchkommen soll. Ganz zu schweigen von Crysania und – O Caramon! Ich bin so froh, daß du wieder da bist! Ich...«

»Nun, nun«, murmelte Caramon, errötete vor Verlegenheit und schob Tolpan sanft von sich. »Es ist alles in Ordnung. Ich werde bestimmt keine große Hilfe sein – als ich das erste Mal diesen Wald betrat, war ich zu Tode verängstigt. Aber du hast recht. Vielleicht können sie Crysania helfen.« Sein Gesicht verhärtete sich. »Vielleicht können sie mir auch ein paar Fragen über Raistlin beantworten. Nun, wo ist diese Gossenzwergin? Und«, er sah auf seinen Gürtel, »wo ist mein Dolch?«

»Welcher Dolch?« fragte Tolpan, der auf den Wald schauend herumhüpfte.

Caramon griff mit grimmigem Gesicht nach dem Kender und hielt ihn fest. Sein Blick wanderte zu Tolpans Gürtel.