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Tolpan folgte seinem Blick. Ganz erstaunt riß er die Augen auf. »Du meinst diesen Dolch? Meine Güte, ich frage mich, wie er dahin kommt! Weißt du«, sagte er nachdenklich, »ich wette, du hast ihn während des Kampfes fallen lassen.«

»Ja«, murmelte Caramon. Knurrend holte er sich seinen Dolch zurück und steckte ihn in die Scheide zurück, als er ein Geräusch hinter sich hörte. Er drehte sich um und bekam einen Eimer eiskalten Wassers direkt ins Gesicht.

»Er nun wach«, verkündete Bupu selbstzufrieden und ließ den Eimer fallen.

Während Caramon seine Kleider trocknete, saß er da und studierte die Bäume; sein Gesicht war vom Schmerz der Erinnerungen angespannt. Schließlich seufzte er auf, zog sich an, überprüfte seine Waffen und erhob sich.

Unverzüglich war Tolpan direkt an seiner Seite. »Laß uns gehen!« sagte er eifrig.

Caramon stockte. »In den Wald?« fragte er mit hoffnungsloser Stimme.

»Natürlich!« sagte Tolpan bestürzt. »Wohin sonst?«

Caramon blickte finster, dann seufzte er und schüttelte den Kopf. »Nein, Tolpan«, sagte er schroff. »Du bleibst hier bei Crysania. Sieh mal«, antwortete er auf das entrüstete Protestgeschrei des Kenders, »ich gehe nur ein wenig in den Wald – um, äh, mich darin umzusehen.«

»Du glaubst, da ist irgend etwas«, beschuldigte Tolpan den großen Mann. »Darum willst du, daß ich fern bleibe! Du gehst da hinein, und dann gibt es einen großen Kampf. Du wirst es wahrscheinlich töten, und ich verpasse die ganze Sache!«

»Das bezweifle ich«, murmelte Caramon. Besorgt sah er auf den nebelverhüllten Wald und schnallte seinen Schwertgurt enger.

»Zumindest könntest du mir sagen, was es deiner Meinung nach sein könnte«, sagte Tolpan. »Und was soll ich tun, wenn es dich tötet? Kann ich dann kommen? Wie lange soll ich warten? Könnte es dich in – sagen wir mal – fünf Minuten töten? In zehn? Nicht daß ich denke, es wird es schaffen«, fügte er hastig hinzu, als er Caramons weitaufgerissene Augen sah. »Aber ich sollte es wirklich wissen. Ich meine, da du mir hier die Leitung überläßt.«

Bupu musterte den schlampigen Krieger abwägend. »Ich sagen – zwei Minuten. Es töten ihn in zwei Minuten. Machst du Wette?« Sie sah Tolpan an.

Caramon funkelte beide wütend an, dann stieß er einen weiteren Seufzer aus. »Ich bin mir nicht sicher, was mich erwartet«, murmelte er. »Ich... ich erinnere mich an das letzte Mal, da... da trafen wir dieses Ding... eine Geistererscheinung. Es – Raist...« Er verstummte. »Ich weiß nicht, was du tun sollst«, sagte er dann. Mit hängenden Schultern wandte er sich ab und begann in den Wald zu gehen. »Das Bestmögliche, denke ich.«

»Ich haben nette Schlange hier, ich sagen, er schaffen zwei Minuten«, sagte Bupu zu Tolpan, während sie in ihrer Tasche wühlte. »Welchen Einsatz bringen du?«

»Pst«, sagte Tolpan leise, der Caramon beobachtete. Dann schüttelte er den Kopf, lief zu Crysania und setzte sich zu ihr. Sie lag auf dem Boden, ihre blinden Augen starrten in den Himmel. Sanft zog Tolpan die weiße Kapuze der Klerikerin über ihren Kopf, um die Sonnenstrahlen von ihr fernzuhalten. Er versuchte diese starrenden Augen zu schließen, aber es schien, als ob sich ihr Fleisch in Marmor verwandelt hätte.

Raistlin schien neben Caramon in den Wald zu laufen. Der Krieger konnte fast das Rascheln der roten Roben seines Bruders hören – damals waren sie rot gewesen! Er konnte die Stimme seines Bruders hören – immer leise, immer sanft, aber mit diesem leicht sarkastischen Zischen, das seinen Freunden so weh getan hatte. Aber es hatte Caramon niemals gestört. Er hatte es verstanden – zumindest hatte er es zu verstehen geglaubt.

Die Bäume im Wald bewegten sich bei Caramons Nahen, so wie sie sich beim Nahen des Kenders bewegt hatten.

Genauso haben sie sich bewegt, als wir uns genähert haben – wie viele Jahre ist es jetzt her? dachte Caramon. Sieben? Sind es wirklich erst sieben Jahre? Nein, erkannte er traurig. Es ist eine ganze Lebensspanne gewesen, eine ganze Lebensspanne für uns beide.

Als Caramon zum Waldrand kam, schwebte der Nebel am Boden, kühlte seine Knöchel mit einer Kälte, die durch das Fleisch ging und in die Knochen biß. Die Bäume starrten ihn an, ihre Zweige krümmten sich im Schmerzenskrampf. Er erinnerte sich an die gequälten Bäume in Silvanesti, und das führte ihn zu weiteren Erinnerungen an seinen Bruder. Er stand einen Augenblick still da und sah in den Wald. Er konnte dunkle und schattenhafte Gestalten auf ihn warten sehen. Und es war kein Raistlin da, um sie in Schach zu halten. Dieses Mal nicht.

»Ich hatte vor nichts Angst, bis ich den Wald von Wayreth betreten habe«, sagte Caramon leise zu sich. »Ich bin das letzte Mal nur hineingegangen, weil du bei mir warst, mein Bruder. Dein Mut allein hat mich am Laufen gehalten. Wie soll ich jetzt ohne dich hineingehen? Ich kann gegen sie nicht kämpfen! Welche Hoffnung liegt hier?« Caramon legte die Hände über die Augen, um den entsetzlichen Anblick auszulöschen. »Ich kann hier nicht hineingehen«, sagte er niedergeschlagen. »Es ist zu viel von mir verlangt!«

Er zog sein Schwert aus der Scheide und streckte es aus. Seine Hand zitterte so heftig, daß er die Waffe fast fallen ließ. »Siehst du?« sagte er verbittert. »Ich könnte nicht einmal gegen ein Kind kämpfen. Es ist zu viel von mir verlangt. Keine Hoffnung. Es gibt keine Hoffnung...«

»Es ist leicht, im Frühling Hoffnung zu haben, Krieger, wenn das Wetter warm ist und die Vallenholzbäume grün sind. Es ist leicht, im Sommer Hoffnung zu haben, wenn die Vallenholzbäume golden glitzern. Es ist leicht, im Herbst Hoffnung zu haben, wenn die Vallenholzbäume rot wie lebendes Blut sind. Aber im Winter, wenn die Luft scharf und bitter ist und der Himmel grau, stirbt dann der Vallenholzbaum, Krieger?«

»Wer hat gesprochen?« schrie Caramon, starrte wild um sich und umklammerte sein Schwert mit zitternder Hand.

»Was macht der Vallenholzbaum im Winter, Krieger, wenn alles dunkel ist und selbst der Boden zugefroren? Er gräbt tief, Krieger. Er schickt seine Wurzeln hinab, hinab in die Erde, hinab zum warmen Herzen der Welt. Dort tief unten findet der Vallenholzbaum Nahrung, um die Dunkelheit und die Kälte zu überleben, so daß er im Frühling wieder erblühen kann.«

»So?« fragte Caramon argwöhnisch, trat einen Schritt zurück und sah sich um.

»So stehst du im dunkelsten Winter deines Lebens, Krieger. Und darum mußt du tief graben, um die Wärme und Stärke zu finden, die dir helfen wird, die bittere Kälte und die entsetzliche Dunkelheit zu überleben. Nicht länger hast du die Blüte des Frühlings oder die Lebenskraft des Sommers. Du mußt die Stärke, die du brauchst, in deinem Herzen finden, in deiner Seele. Dann wirst du, wie die Vallenholzbäume, wieder wachsen.«

»Deine Worte sind angenehm...«, begann Caramon mit finsterem Blick, diesem Gespräch über Frühling und Bäume mißtrauend. Aber er konnte den Satz nicht beenden, es verschlug ihm die Sprache.

Der Wald veränderte sich vor seinen Augen.

Die verzerrten, sich windenden Bäume glätteten sich vor seinem Blick, hoben ihre Äste gen Himmel, wuchsen, wuchsen und wuchsen. Er neigte den Kopf so weit zurück, daß er fast das Gleichgewicht verlor, aber er konnte immer noch nicht ihre Kronen sehen. Es waren Vallenholzbäume! So wie jene in Solace vor der Ankunft der Drachen. Während er sie ehrfürchtig beobachtete, sah er tote Äste zum Leben erwachen – grüne Knospen sprossen, platzten auf, erblühten zu grünen Blättern, die der Sommer golden färbte – die Jahreszeiten wechselten, während er zitternd Luft holte.

Der schädliche Nebel verschwand, an seine Stelle trat süßer Duft, der von wunderschönen, an den Wurzeln der Vallenholzbäume stehenden Blumen kam. Die Dunkelheit im Wald löste sich auf, die Sonne warf ihre hellen Strahlen auf die sich wiegenden Bäume. Und als das Sonnenlicht die Blätter der Bäume berührte, erfüllte der Gesang von Vögeln die duftende Luft.

Caramons Augen füllten sich mit Tränen. Die Schönheit ringsum drang in sein Herz. Da war Hoffnung! Im Wald würde er alle Antworten finden, die Hilfe, die er suchte.