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»Du kannst das nicht tun«, flüsterte Crysania. »Es ist falsch.« Sie hielt seine Hand fest.

»Beweise mir, daß es falsch ist«, antwortete Raistlin und zog sie an sich. »Zeig mir, daß es verrucht ist. Überzeug mich, daß die Wege des Guten das Mittel sind, die Welt zu retten.«

»Wirst du zuhören?« fragte Crysania nachdenklich. »Du bist von Dunkelheit umgeben. Wie kann ich dich erreichen?«

»Die Dunkelheit hat sich geteilt, nicht wahr?« antwortete Raistlin. »Die Dunkelheit hat sich geteilt, und du bist hereingekommen.«

»Ja...« Crysania war sich plötzlich der Berührung seiner Hand bewußt, der Wärme seines Körpers. Sie errötete vor Unbehagen und trat zurück. Sie zog ihre Hand aus seinem Griff und rieb sie, als ob sie verletzt wäre. »Leb wohl, Raistlin Majere«, sagte sie, ohne ihn anzusehen.

»Leb wohl, Verehrte Tochter Paladins«, sagte er.

Die Tür öffnete sich, und Dalamar stand auf der Schwelle, obgleich Crysania nicht gehört hatte, daß Raistlin den jungen Lehrling gerufen hätte. Sie zog die weiße Kapuze über ihr Haar, wandte sich von Raistlin ab und ging durch die Tür. Als sie im Korridor war, konnte sie seine goldenen Augen durch ihre Roben brennen spüren, und als sie zur schmalen Wendeltreppe trat, erreichte seine Stimme sie.

»Vielleicht hat Paladin dich nicht geschickt, damit du mich aufhältst, Crysania. Vielleicht hat er dich geschickt, damit du mir hilfst.«

Crysania blieb stehen und sah zurück. Raistlin war verschwunden, der Korridor war düster und leer. Dalamar stand schweigend neben ihr und wartete.

Langam hob sie die Falten ihrer weißen Roben, um nicht auf sie zu treten, und ging die Treppe hinunter.

Und sie ging immer tiefer hinunter, in einen ewigen Schlaf.

12

Der Turm der Erzmagier in Wayreth war seit Jahrhunderten der letzte Außenposten der Magie auf dem Kontinent Ansalon. Hierher waren die Magier gekommen, als der Königspriester sie aus den anderen Türmen vertrieb. Hierher waren sie gekommen, als sie die Türme in Istar und Palanthas verließen.

Der Turm in Wayreth war ein imposantes Bauwerk. Die Außenmauern bildeten ein gleichseitiges Dreieck. An jedem Winkel des vollkommen geometrischen Baues befand sich ein kleiner Turm. In der Mitte erhoben sich die zwei Haupttürme, leicht geneigt; es reichte, daß der Zuschauer sich fragte: Sind sie nicht krumm?

Die Mauern waren aus schwarzem Stein. Hochglänzend poliert strahlte er hell im Sonnenlicht, in der Nacht warf er das Licht der zwei Monde und die Dunkelheit des dritten Mondes zurück. In den Stein waren Runen gegraben, Runen der Macht und der Stärke, die bewachten und abwehrten. Die Mauern endeten oben glatt und eben. Es gab keine Zinnen, die mit Soldaten bemannt werden konnten. Es bestand keine Notwendigkeit dafür.

Von den Zentren der Zivilisation weit abgelegen, war der Türm von Wayreth von seinem magischen Wald umgeben. Niemand konnte eintreten, der nicht dazugehörte, niemand trat ohne Einladung ein. Und so schützten die Magier ihr letztes Bollwerk der Stärke, bewachten es gut vor der Außenwelt.

Dennoch war der Turm nicht leer. Ehrgeizige studierende Zauberkundige kamen aus der ganzen Welt, um sich den strengen Prüfungen zu unterziehen. Hochangesehene Zauberer erschienen täglich, setzten ihre Studien fort, diskutierten, führten gefährliche Experimente durch. Für sie war der Türm Tag und Nacht geöffnet. Sie konnten kommen und gehen, wie es ihnen beliebte – Schwarze Roben, Rote Roben, Weiße Roben.

Obgleich in ihren Denkweisen höchst verschieden, trafen sich die Zauberer friedlich im Turm. Streitereien wurden toleriert, soweit sie dem Fortschritt der Kunst dienten. Jegliche Art des Kampfes war verboten – die Strafe war ein schneller, schrecklicher Tod.

Die Kunst. Sie war es, die alle verband und vereinte. Ihr galt ihre erste Loyalität – gleichgültig, wer sie waren, wem sie dienten, welche Farbe ihre Roben hatten. Die jungen Zauberkundigen, die gelassen dem Tod gegenübertraten, wenn sie sich mit den Prüfungen einverstanden erklärten, verstanden dies. Die uralten Zauberer, die hierher kamen, um nach ihrem letzten Atemzug innerhalb der vertrauten Mauern begraben zu werden, verstanden dies. Die Kunst war alles. Sie war Leben. Sie war Tod.

Par-Salian dachte über all dieses nach, als er in seinen Gemächern stand und beobachtete, wie Caramon und sein kleines Gefolge auf die Tore zukamen.

Es herrschte Zwielicht, als sie den Hof zwischen den Türmen der Erzmagier betraten. Tolpan sah sich verblüfft um. Vor einigen Augenblicken war es noch Morgen gewesen. Als er hochblickte, konnte er rote Strahlen sehen, die über den Himmel streiften und sich schaurig an den polierten Steinmauern spiegelten.

Tolpan schüttelte den Kopf. »Wie wird hier wohl die Zeit gemessen?« fragte er sich. Der riesige Hof war öde. Mit grauen Steinplatten gepflastert, sah er kalt und lieblos aus. Keine Blumen wuchsen, keine Bäume durchbrachen die ununterbrochene Monotonie des grauen Steins. Und er war leer, bemerkte Tolpan enttäuscht.

Oder war doch jemand da? Tolpan erhaschte aus einem Augenwinkel eine Bewegung, ein weißes Flattern. Als er sich schnell umdrehte, konnte er nur feststellen, daß es verschwunden war. Und dann sah er aus dem anderen Augenwinkel ein Gesicht, eine Hand und einen roten Ärmel. Er sah dorthin – und es war verschwunden! Plötzlich hatte er den Eindruck, daß er von Leuten umgeben war, die kamen und gingen, sich unterhielten oder einfach nur dasaßen und schliefen! Trotzdem – der Hof war immer noch still, immer noch leer.

»Das müssen Magier sein, die die Prüfung machen!« sagte Tolpan ehrfürchtig. »Raistlin hat mir erzählt, daß sie umherreisen, aber so habe ich mir das nicht vorgestellt! Ich frage mich, ob sie mich sehen können. Glaubst du, ich kann einen berühren, Caramon, wenn ich... Caramon?«

Tolpan blinzelte. Caramon war verschwunden! Bupu war verschwunden! Die weißgekleideten Gestalten und Crysania waren verschwunden! Er war allein.

Aber nicht lange. Ein gelbes Licht blitzte auf, ein entsetzlicher Geruch erhob sich, und ein schwarzgekleideter Magier ragte vor ihm auf.

Der Magier streckte eine Hand aus, eine Frauenhand. »Du bist gerufen.«

Tolpan schluckte. Langsam hielt er ihr seine Hand entgegen. Die Finger der Frau schlossen sich um sein Handgelenk. Er zitterte bei ihrer kalten Berührung. »Vielleicht werde ich jetzt verzaubert!« sagte er sich hoffnungsvoll.

Der Hof, die schwarzen Steinmauern, die roten Strahlen des Sonnenlichts, die grauen Steinplatten, alles begann sich um Tolpan aufzulösen. Entzückt spürte der Kender die schwarzen Roben der Frau, die sich um ihn wickelten.

Als er wieder zur Besinnung kam, lag er auf einem harten, kalten Steinboden. Neben ihm schnarchte Bupu selig. Caramon saß aufrecht, schüttelte den Kopf und versuchte, sich von Spinnenweben zu befreien.

»Autsch.« Tolpan rieb sich am Nacken. »Witzige Art der Beherbergung, Caramon«, murrte er und erhob sich. »Man könnte doch denken, daß sie zumindest Betten herbeizaubern. Wenn sie möchten, daß man ein Nickerchen macht, warum sagen sie das nicht einfach, anstatt – oh...«

Als Caramon hörte, daß Tolpans Stimme gurgelnd abbrach, sah er schnell auf.

Sie waren nicht allein.

»Ich kenne diesen Ort«, flüsterte Caramon.

Sie waren in einem riesigen, aus Obsidian gehauenen Saal. Er war so groß, daß sich seine Wände im Schatten verloren, so hoch, daß man keine Decke sah. Es gab ein blasses Licht, obwohl niemand seine Quelle benennen konnte. Es war weiß, kalt und freudlos.

Als Caramon das letzte Mal in diesem Saal gewesen war, hatte das Licht auf einen alten Mann gestrahlt, der in weiße Roben gekleidet war und auf einem riesigen Steinstuhl gesessen hatte. Dieses Mal leuchtete das Licht auf den gleichen alten Mann, aber er war nicht allein. Ein Halbkreis von Steinstühlen war um ihn aufgestellt – genau gesagt, einundzwanzig Stühle. Der weißgekleidete Mann saß in der Mitte. Zu seiner Linken saßen drei nicht zu erkennende Gestalten; ob männlich oder weiblich, menschlich oder nicht, war schwierig zu sagen. Ihre Kapuzen waren tief in ihre Gesichter gezogen. Sie waren in rote Roben gekleidet. Neben ihnen saßen sechs schwarzgekleidete Gestalten. Ein Stuhl war leer. Auf der rechten Seite des alten Mannes saßen vier rotgekleidete Gestalten und daneben sechs weißgekleidete. Crysania lag vor ihnen auf einer Bahre, ihr Körper war mit weißem Leinen bedeckt.