Er erschrak, als er Licht unter ihrer Tür hervorleuchten sah. Er preßte sein Ohr dagegen und lauschte.
Erhörte Stimmen. Eine erkannte er sofort, die Bupus. Die andere schien vertraut... aber wo hatte er sie gehört?
»Ja, ich werde dich zum Großbulp zurückschicken, wenn du dorthin zurück möchtest. Aber zuerst mußt du mir sagen, wo der Großbulp ist.«
Die Stimme klang ein wenig aufgebracht. Tolpan legte sein Auge an das Schlüsselloch. Er konnte Bupu sehen; sie funkelte argwöhnisch die rotgekleidete Gestalt an. Jetzt erinnerte sich Tolpan, wo er die Stimme gehört hatte – das war der Mann in der Versammlung, der Par-Salian ständig angezweifelt hatte!
»Der Großbulp sein zu Hause. Du schicken mich zu Hause.«
»Ja, natürlich. Wo ist denn zu Hause?«
»Wo Großbulp sein.«
»Und wo ist der Großbulp?« fragte der rotgekleidete Magier.
»Zu Hause«, bemerkte Bupu kurz und bündig.
»Nun, wie bezeichnest du dein Zuhause? Wie ist der Name?«
»Die Grubbe. Zwei Bs. Phantastischer Name«, sagte Bupu stolz. »Großbulps Idee.«
»Wie nennen Menschen den Namen deiner Grubbe?«
Tolpan sah Bupu finster blicken. »Dummer Name. Hört sich an wie Xak Tsaroth.«
Vor Erleichterung tief aufseufzend, hielt der rotgekleidete Magier seine Hand über Bupus Kopf. Er ließ etwas wie Staub über sie rieseln, und Bupu nieste heftig. Tolpan hörte den Magier seltsame Worte singen.
»Ich gehen zu Hause jetzt?« fragte Bupu hoffnungsfroh.
Der Magier antwortete nicht, sondern sang weiter.
»Er nicht nett«, murmelte sie und nieste wieder, als der Staub langsam ihr Haar und ihren Körper bedeckte. Der Staub begann in einem schwachen Gelb zu glühen. Das Glühen wurde heller und heller, und plötzlich...
»Bupu!« flüsterte Tolpan.
Die Gossenzwergin war verschwunden!
»Und ich bin der nächste!« erkannte Tolpan entsetzt. Tatsächlich hinkte der rotgekleidete Magier durch den Raum zu dem Bett, wo der achtsame Kender eine Attrappe aufgebaut hatte, damit Caramon sich keine Sorgen machen mußte, falls er wach werden sollte.
»Tolpan Barfuß«, rief der rotgekleidete Magier leise. Er war nicht mehr in Tolpans Blickfeld. Der Kender wartete darauf, daß der Magier entdeckte, daß er fehlte. Nicht daß er Angst hatte, erwischt zu werden. Er war daran gewohnt, erwischt zu werden, und war sich recht sicher, daß er sich herausreden konnte. Aber er hatte Angst, nach Hause geschickt zu werden. Sie erwarteten doch nicht wirklich, daß er allein irgendwohin ging!
»Caramon braucht mich!« flüsterte Tolpan. »Sie wissen gar nicht, in welch schlechter Verfassung er sich befindet. Was soll nur passieren, wenn ich nicht bei ihm bin und ihn aus den Tavernen ziehe?«
»Tolpan«, wiederholte die Stimme des rotgekleideten Magiers. Er mußte an das Bett getreten sein.
Eilig steckte Tolpan die Hand in einen seiner Beutel. Er holte einen Ring hervor.
»Caramon!« hörte Tolpan den rotgekleideten Magier streng sagen. Er konnte Caramon brummen und stöhnen hören und stellte sich den Magier vor, wie er Caramon schüttelte. »Caramon, wach auf. Wo ist der Kender?«
Tolpan versuchte zu ignorieren, was in dem Zimmer passierte, und konzentrierte sich darauf, den Ring zu untersuchen. Er war vielleicht magisch. Er hatte ihn im dritten Zimmer zur Linken an sich genommen. Magische Ringe funktionierten normalerweise, indem man sie überstreifte. Es war ein schlichter Ring, aus Ebenholz geschnitzt, mit zwei kleinen rosafarbenen Steinen. Auf der Innenseite befanden sich einige Runen.
»Wa... wa...«, brabbelte Caramon. »Kender? Ich habe zu ihm gesagt, er soll nicht hinausgehen...«
»Verdammt!« Der rotgekleidete Magier steuerte auf die Tür zu.
Tolpan steckte sich den Ring an.
Zuerst geschah nichts. Er konnte die hinkenden Schritte des rotgekleideten Magiers hören, die immer näher zur Tür kamen.
Dann geschah etwas, obgleich es nicht das war, was Tolpan erwartet hatte. Der Gang wurde größer! In den Ohren des Kenders rauschte es, als die Wände an ihm vorbeistürzten und die Decke von ihm wegschwebte. Die Tür wurde immer größer, bis sie eine gewaltige Größe erreichte.
Die riesige Tür öffnete sich mit einem Windstoß, der den Kender fast zu Boden warf. Eine riesenhafte, rotgekleidete Gestalt füllte den Türrahmen.
Aber zu Tolpans Verwunderung schien der rotgekleidete Magier überhaupt nicht beunruhigt wegen seiner plötzlichen Größe. Er spähte nach links und rechts in den Gang und rief: »Tolpan Barfuß!« Er blickte sogar dorthin, wo Tolpan stand – und sah ihn nicht!
Aber jetzt sah der rotgekleidete Magier nach unten. »Und aus welchem Zimmer bist du entflohen, mein kleiner Freund?« fragte er.
Tolpan beobachtete ehrfürchtig, wie eine Riesenhand nach unten griff – sie griff nach ihm! Er war so verblüfft, daß er nicht weglaufen konnte. Alles würde vorbei sein! Sie würden ihn unverzüglich nach Hause schicken!
Die Hand schwebte über ihm, und dann hob sie ihn an seinem Schwanz hoch.
Ein Schwanz! dachte Tolpan wild und krümmte sich zusammen, während die Hand ihn in die Höhe hob. Ich habe doch keinen Schwanz!
Aber da sah er, daß er tatsächlich einen Schwanz hatte! Und nicht nur einen Schwanz, sondern auch vier rosafarbene Füße! Und statt einer leuchtendblauen Hose trug er einen weißen Pelz!
»Nun, nun«, dröhnte die strenge Stimme in seine Ohren, »antworte mir, kleines Nagetier! Wessen Vertrauter bist du?«
16
Vertrauter! Tolpan hielt sich krampfhaft an dem Wort fest. Vertrauter... Gespräche mit Raistlin fielen ihm ein.
»Einige Magier haben Tiere, die ihren Befehlen gehorchen müssen«, hatte Raistlin ihm einst erzählt. »Diese Tiere oder Vertraute, wie sie genannt werden, können wie erweiterte Sinne eines Magiers handeln. Sie können zu Orten gehen, die er nicht betreten kann, Dinge sehen, die er zu sehen nicht in der Lage ist, Gespräche hören, zu denen er nicht eingeladen ist.«
»Nun, antworte mir!« verlangte der rotgekleidete Magier und schüttelte Tolpan am Schwanz. Blut stürzte in den Kopf des Kenders, ließ ihn schwindelig werden, abgesehen davon, daß es recht schmerzhaft war, am Schwanz gehalten zu werden, und ganz zu schweigen von der Erniedrigung!
»Ich gehöre Faikus«, sagte Tolpan, der sich erinnerte, daß ein Mitstudent Raistlins so geheißen hatte.
»Ah«, sagte der rotgekleidete Magier stirnrunzelnd, »das hätte ich mir denken können. Hast du für deinen Meister einen Botengang erledigt, oder streifst du einfach umher?«
Zu Tolpans Glück hielt ihn der Magier nicht mehr am Schwanz, sondern hatte ihn auf seine Hand gesetzt. Die Vorderpfoten des Kenders ruhten nun zitternd auf dem Daumen des rotgekleideten Magiers, seine jetzt runden, leuchtendroten Augen starrten in die kalten, dunklen des Magiers.
»Es – es ist mein freier Abend«, sagte Tolpan entrüstet.
»Pah!« Der Magier schnaufte verächtlich. »Du bist schon zu lange bei diesem faulen Faikus, das steht fest. Ich werde mit diesem jungen Mann morgen früh ein Wörtchen reden. Du brauchst dich nicht so zu winden! Hast du vergessen, daß Sudoras Vertrauter heute abend durch die Gänge streift? Du hättest der Nachtisch von Marigold sein können! Komm mit mir. Wenn ich meine heutige Aufgabe erledigt habe, bringe ich dich zu deinem Herrn zurück.«
Tolpan, der gerade seine scharfen, kleinen Zähne in den Daumen des Magiers graben wollte, fand die Idee plötzlich gut. »Wenn ich meine heutige Aufgabe erledigt habe!« Natürlich, es mußte sich um Caramon handeln! Das war besser, als unsichtbar zu sein! Er würde einfach mitgetragen werden!
Der Kender ließ seinen Kopf in einem Ausdruck der Demut und Reue hängen. Das schien den rotgekleideten Magier zufriedenzustellen, denn er lächelte gedankenverloren und begann, in seinen Roben nach etwas zu suchen.
»Was ist los, Justarius?« Das war Caramon, der immer noch verschlafen aussah. Er spähte den Gang auf und ab. »Hast du Tolpan gefunden?«