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Die Menge war recht ruhig, als Tika zurückkehrte, und sie hatte Gelegenheit, mit ihrem alten Freund zu sprechen. »Wie geht es Goldmond und eurem Sohn?« fragte sie lebhaft, als sie bemerkte, daß Flußwind sie aufmerksam musterte.

»Es geht ihr gut, und sie schickt dir ihre Liebe«, antwortete Flußwind mit seiner tiefen Baritonstimme. »Mein Sohn« – seine Augen strahlten vor Stolz – »ist erst zwei Jahre alt, aber schon so groß und sitzt auf dem Pferd besser als die meisten Krieger.«

»Ich hatte gehofft, daß Goldmond mit dir kommt«, sagte Tika mit einem Seufzen, das Flußwind nicht hören sollte.

Der riesige Barbar aß schweigend, bevor er antwortete. »Die Götter haben uns mit zwei weiteren Kindern gesegnet«, sagte er und starrte Tika mit einem seltsamen Ausdruck in seinen dunklen Augen an.

»Zwei?« Tika sah ihn verwirrt an. »Oh, Zwillinge!« rief sie erfreut. »Wie Caramon und Rais...« Sie hielt inne, biß sich auf die Lippe.

Flußwind runzelte die Stirn und machte ein Zeichen, um das Böse abzuwehren. Tika errötete und sah weg. In ihren Ohren rauschte es. Die Hitze und der Lärm machten sie schwindelig. Sie schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund hinunter und zwang sich, mehr über Goldmond zu fragen, und nach einer Weile konnte sie sogar Flußwinds Antwort zuhören.

»... immer noch zu wenig Kleriker in unserem Land. Es gibt zwar viele Bekehrte, aber die Kräfte der Götter kehren nur langsam zurück. Sie arbeitet hart, für meine Begriffe zu hart, aber sie wird jeden Tag schöner. Und die Kinder, unsere Töchter, haben beide goldenes Haar...«

Kinder... Tika lächelte traurig. Als Flußwind ihr Gesicht sah, verfiel er in Schweigen, beendete sein Mahl und schob den Teller beiseite. »Mir wäre nichts lieber, als diesen Besuch zu verlängern«, sagte er langsam, »aber ich kann nicht lange von meinem Volk fernbleiben. Du kennst die Dringlichkeit meiner Mission. Wo ist Cara...«

»Ich muß dein Zimmer überprüfen«, sagte Tika und erhob sich so schnell, daß sie an den Tisch stieß. »Dieser Gossenzwerg sollte das Bett richten. Ich werde ihn höchstwahrscheinlich schlafend vorfinden...« Sie verschwand eilig. Aber sie ging nicht nach oben zu den Zimmern. Sie stand draußen an der Küchentür, spürte, wie der Nachtwind ihre fiebrigen Wangen kühlte, und starrte in die Dunkelheit hinaus. »Laß ihn fortgehen!« flüsterte sie. »Bitte...«

2

Tanis fürchtete sich vor dem ersten Anblick des Wirtshauses zur letzten Bleibe. Hier hatte vor drei Jahren im Herbst alles angefangen. Hier waren er und Flint und der unbezähmbare Kender Tolpan Barfuß eingekehrt, um alte Freunde zu treffen. Hier hatte sich seine Welt auf den Kopf gestellt, um sich niemals wieder in die richtige Stellung zu drehen.

Aber als Tanis auf das Wirtshaus zuritt, lösten sich seine Befürchtungen. Es hatte sich so viel verändert, daß es war, als ob er einen fremden Ort aufsuchte, einen Ort, der keine Erinnerungen bereithielt. Das Wirtshaus stand nun auf dem Boden und nicht mehr in den Zweigen eines riesigen Vallenholzbaumes. Es gab neue Anbauten, denn mehr Räume waren vonnöten, um den Zustrom der Reisenden zu beherbergen; es hatte ein neues, bei weitem moderneres Dach. Alle Narben des Krieges waren mitsamt den Erinnerungen beseitigt worden.

Doch dann, als Tanis sich gerade zu entspannen begann, öffnete sich die Vordertür des Wirtshauses. Licht strömte nach draußen, bildete einen goldenen Pfad des Willkommens; der Duft von Würzkartoffeln und das Geräusch von Gelächter kam mit der Abendbrise zu ihm. Die Erinnerungen kehrten schlagartig zurück, und Tanis senkte überwältigt den Kopf.

Aber glücklicherweise blieb ihm keine Zeit, bei der Vergangenheit zu verweilen. Als er und seine Begleiterin sich dem Wirtshaus näherten, lief ein Stalljunge herbei und ergriff die Zügel der Pferde.

»Futter und Wasser«, sagte Tanis, glitt erschöpft aus dem Sattel und warf dem Jungen eine Münze zu. Er streckte sich, um die Muskelkrämpfe zu lindern. »Ich habe eine Nachricht vorausschicken lassen, daß ein frisches Pferd für mich bereitgehalten werden sollte. Mein Name ist Tanis, der Halbelf.«

Der Junge riß die Augen weit auf. »Ja, Herr«, stammelte er, über die Maßen überrascht, von diesem großen Helden angesprochen zu werden. »Das Pferd steht bereit, soll ich es bringen, Herr?«

»Nein.« Tanis lächelte. »Ich will erst etwas essen. Bring es mir in zwei Stunden.«

»Zwei Stunden. Ja, Herr. Ich danke Euch, Herr.«

Als der Junge mit Tanis’ Pferd von dannen eilte, wandte sich der Halbelf seiner Gefährtin zu und half ihr absteigen.

»Du mußt aus Eisen sein«, sagte sie und sah Tanis an, während er ihr auf den Boden half. »Willst du wirklich heute nacht weiterreiten?«

»Um die Wahrheit zu sagen, es schmerzt mich jeder Knochen«, begann Tanis, hielt dann inne, sich unbehaglich fühlend. Er war einfach nicht in der Lage, sich bei dieser Frau wohl zu fühlen.

Tanis konnte ihr Gesicht sehen, das sich im Licht aus dem Wirtshaus widerspiegelte. Er sah Müdigkeit und Schmerz. Ihre Augen lagen tief in blassen, hohlen Wangen. Sie taumelte, als ihre Füße den Boden erreichten, und Tanis reichte ihr schnell seinen Arm.

Tanis konnte sich vorstellen, wie sich diese Frau fühlen mußte, die an körperliche Anstrengungen nicht gewöhnt war, und er mußte sie mit ungewollter Bewunderung betrachten. Sie hatte sich während der langen Reise nicht einmal beklagt. Sie hatte immer Schritt gehalten, war nie zurückgeblieben, hatte seinen Anweisungen ohne Fragen gehorcht.

Warum, fragte er sich, konnte er dann nichts für sie empfinden? Was hatte sie an sich, das ihn verärgerte und reizte? Als Tanis in ihr Gesicht sah, wußte er die Antwort. Die einzige Wärme in ihrem Gesicht war die Wärme, die vom Licht aus dem Wirtshaus kam. Ihr Gesicht selbst war kalt, leidenschaftslos, bar jeder – was? Menschlichkeit? So war sie die ganze lange, gefährliche Reise gewesen. O ja, sie war auf kühle Art höflich, auf kühle Art dankbar, unnahbar gewesen. Sie hätte mich wohl auch auf kühle Art beerdigt, dachte Tanis grimmig. Dann, als ob er sich für seine ehrfurchtslosen Gedanken rügen wollte, wurde sein Blick auf das Medaillon gelenkt, das sie um ihren Hals trug, den Platindrachen von Paladin. Er erinnerte sich an Elistans vertrauliche Abschiedsworte.

»Es ist passend, daß du sie begleitest, Tanis«, hatte der Kleriker gesagt. »In vielerlei Hinsicht beginnt sie eine Reise, die deiner eigenen vor zwei Jahren gleicht – der Suche nach Selbsterkenntnis. Nein, du hast recht, sie ist sich darüber noch nicht im klaren.« Dies war die Antwort auf Tanis’ zweifelnden Blick. »Sie geht mit den Augen starr nach oben zum Himmel gerichtet.« Elistan lächelte traurig. »Sie hat nicht gelernt, daß man dabei auf jeden Fall stolpern wird. Wenn sie es nicht lernt, kann ihr Sturz sehr hart werden.« Kopfschüttelnd murmelte er ein sanftes Gebet. »Aber wir müssen unser Vertrauen in Paladins Hände legen.«

Tanis hatte damals die Stirn gerunzelt, und er runzelte sie auch jetzt, als er darüber nachdachte. Obgleich er im Laufe der Zeit einen starken Glauben an die wahren Götter entwickelt hatte – mehr durch Lauranas Glauben an sie als durch alles andere —, fühlte er sich unbehaglich dabei, ihnen sein Leben anzuvertrauen, und er wurde ungeduldig bei Leuten wie Elistan, die, wie es schien, den Göttern eine zu große Last aufbürdeten. Laßt die Menschen selbst für Veränderungen verantwortlich sein, dachte Tanis verärgert.

»Was ist los, Tanis?« fragte Crysania kühl.

Tanis, dem bewußt wurde, daß er sie die ganze Zeit über angestarrt hatte, hustete verlegen, räusperte sich und sah weg. Glücklicherweise kehrte in diesem Augenblick der Junge wegen Crysanias Pferd zurück, so daß Tanis nicht zu antworten brauchte. Er zeigte zum Wirtshaus, und die beiden gingen darauf zu.

»In der Tat«, sagte Tanis, als das Schweigen unerträglich wurde, »täte ich nichts lieber, als hier bei meinen Freunden zu bleiben. Aber ich muß übermorgen in Qualinesti sein, und ich werde nur rechtzeitig ankommen, wenn ich durchreite. Meine Beziehung zu meinem Schwager ist nicht so, daß ich es mir leisten kann, ihn zu beleidigen, indem ich bei Solostarans Beerdigung fehle.« Mit einem grimmigen Lächeln fügte er hinzu: »In politischer wie auch persönlicher Hinsicht, wenn du verstehst, was ich meine.«